In Nebraska ist es verboten, in der Öffentlichkeit zu niesen. Ebenso macht sich strafbar, wer in Tennessee Fische per Lasso fängt oder in einem kalifornischen Hotelzimmer eine Orange schält. Listen solcher Gesetze haarsträubenden Inhalts erfreuen sich im Internet großer Beliebtheit. Constantin Baron van Lijnden über Entstehung und Authentizität der oft unglaublichen Normen.
Fast jeder hat schon einmal Aufzählungen reichlich befremdlicher Gesetze überwiegend amerikanischer Provenienz gelesen. Entsprechende Listen machen in Foren und Mailinglisten die Runde und führen meist zu verständnislosem Kopfschütteln der Leser.
Zwar sind diese Listen lustiger Legislation oft mit dem Hinweis versehen, die genannten Normen hätten nur noch historischen Wert und seien aus den entsprechenden Gesetzen entfernt oder würden zumindest nicht mehr angewendet. Dennoch ist ihre schiere Existenz mehr als verwunderlich.
Offensichtlich müssen die Gesetzgeber vergangener Jahrhunderte sehr spezifische Vorstellungen von Recht und Unrecht gehabt haben - oder wie sonst ist es zu erklären, dass man in Idaho nicht Forellen fischen darf, während man auf einer Giraffe sitzt, und die harte Hand des Gesetzes jeden Friseur in Nebraska ergreift, der sich den Verzehr roher Zwiebeln zuschulden kommen lässt? Oder ist es etwa möglich, dass diese Rechtsvorschriften gar nicht der Feder eines übereifrigen Normgebers entstammen, sondern der bunten Fantasie einiger Scherzbolde, deren ganz eigene Form von Humor im Internet eine lauffeuerartige Verbreitung erfahren hat?
Alles nur erfunden?
Die Wahrheit liegt, wie so oft, irgendwo in der Mitte. Einige der absonderlichen Gesetze - wie viele genau, lässt sich angesichts der Höhe der in Zirkulation befindlichen Gesamtzahl kaum sagen - sind tatsächlich frei erfunden. Dass der Schwindel nicht auffliegt, braucht nicht zu verwundern, denn kaum jemand macht sich die Mühe, jedes im Internet entdeckte Kuriosum auf seine Authentizität hin zu überprüfen.
Zudem wird der Mangel an Glaubwürdigkeit immerhin dadurch gemindert, dass die vermeintlich außer Kontrolle geratene Gesetzgebung gleich zwei gängige Vorurteile bestätigt, nämlich erstens: Die Amis spinnen und zweitens: Die Juristen spinnen. Auf der anderen Seite begünstigt der hey-ist-ja-witzig-kennst-du-das-schon?-Faktor solcher und ähnlicher fun "facts" eine schnelle und großflächige Verbreitung, wohingegen man nach entsprechenden Gegendarstellungen schon sehr gezielt suchen muss.
Bei der überwiegenden Mehrheit handelt es sich allerdings gar nicht um Erfindungen neuer, sondern eher um kreative Auslegungen existierender - oftmals auch noch in Kraft befindlicher - Gesetze. So wird zum Beispiel aus einer Rechtsvorschrift, die es allgemein verbietet, Tiere in öffentliche Gebäude mitzunehmen, die Behauptung, verwitwete Frauen dürften ihren Igel nicht in einen Gerichtssaal führen – ein Verhalten, welches das Gesetz zwar tatsächlich verbietet, aber nicht expressis verbis in genau dieser Form.
Ob diese sinnentstellenden Ausformulierungen ihren Ursprung nun in tatsächlich irgendwann einmal ergangenen Urteilen haben oder beliebig ausgewählt wurden, mag von Fall zu Fall unterschiedlich sein. Die dahinter stehenden Rechtsnormen sind jedenfalls weitaus weniger spektakulär als die jeweils gewählten Beispiele.
Historische Überbleibsel der kuriosen Art
Schließlich gibt es noch eine dritte Kategorie: Gesetze, die weder erfunden noch vom Abstrakten ins Konkrete abgeleitet wurden, sondern tatsächlich bereits in ihrem ursprünglichen Wortlaut unbegreifliche Dinge anordnen: So etwa ein englischer Paragraph, der es verbietet, an Weihnachten "mince pies" (mit einer süßen Fruchtmasse gefüllte Pasteten) zu essen, oder ein anderer, der es gestattet, nach Einbruch der Dunkelheit jeden Schotten innerhalb der Stadtmauern von York mit Pfeil und Bogen zu töten.
Solche Normen stellen historische Kuriositäten dar, die aus einer zu früheren Zeiten möglicherweise nachvollziehbaren Motivation heraus erlassen wurden, in der heutigen Welt aber reichlich absurd anmuten. So wurde die Stadt York im Mittelalter mehrfach von Schotten gestürmt, und das Verbot von "mince pies" durch den puritanischen Oliver Cromwell war Produkt seiner Abneigung gegen eine Zelebration des Weihnachtsfestes, die seiner Meinung nach zu ausschweifend und an weltlichen Genüssen orientiert war.
Auch in deutschen Landen trifft man bisweilen auf historisch überholte, aber nie überarbeitete Gesetzgebung: Die Verfassung des Landes Hessen sieht in Art. 21 Abs. 1 S. 2 beispielsweise noch die Todesstrafe vor. Die Vorschrift wird natürlich durch höherrangiges Bundesrecht verdrängt; ihre schiere Existenz mag dennoch das Moralempfinden des einen oder anderen in Rebellion versetzen.
Um solche und ähnliche legislative Altlasten zu bewältigen, werden üblicherweise Kommissionen eingerichtet, die für die Außerkraftsetzung historisch überflüssig gewordener Normen zuständig sind; allein in England sind bereits über 2000 Paragraphen solchen Entschlackungsmaßnahmen zum Opfer gefallen. Da dieser Prozess aber einiges an bürokratischem Aufwand notwendig macht und buchstäblich reine Makulatur ist - schließlich sind die betreffenden Normen weitestgehend unbekannt und würden von einem Richter ohnehin nicht angewendet werden -, wird er nicht überall auf der Welt mit besonderer Eile betrieben.
Einige Gesetze früherer Jahrhunderte haben somit - zumindest formell - auch heute noch Rechtskraft. Die USA - vermeintlich weltweit führend unter den Emittenten eigenartiger Rechtsvorschriften - dürften zu dieser dritten Kategorie übrigens einen eher geringen Beitrag leisten: Als relativ junge Nation hatten sie einfach noch nicht so viel Zeit, ihre eigenen Gesetze historisch zu überholen.
Mehr auf LTO.de:
Recht frech / Die etwas andere Literaturübersicht: Transparenz, ein juristischer Wechselbalg
Constantin Baron van Lijnden, Recht verstanden: . In: Legal Tribune Online, 23.06.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/3569 (abgerufen am: 12.11.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag