Eisbären sind bei den aktuellen Wetterbedingungen nicht zu beneiden. Selbst wenn die Rechtswissenschaft Alaskas sich ihrer annimmt, erhöhte Temperaturen treffen sie wohl doch. Auch die bundesweit bekannt gewordenen "Húntún" schwäbischer Provinienz, die die Öffentlichkeit erhitzten, wärmt Martin Rath in seiner etwas anderen Literaturübersicht noch einmal auf.
Die Sonne scheint dieser Tage erbarmungslos und kündigt noch in der schattigsten Kanzlei, dem kühlsten Büro an: Es ist Urlaubszeit! Damit Sie daheim oder unterwegs nicht das schlechte Gewissen überfällt, Sie hätten neben Akten, Strandkrimi und Reiseführern vielleicht auch noch eine Handvoll juristischer Fachaufsätze zum entspannten Studium mitnehmen sollen, bietet Ihnen LTO eine – im Detail nicht immer ganz bitter ernste – Vorschlagsliste.
Alle reden vom Wetter, keiner vom Klima?
Wer über Eisbären reden will, kann in den USA von Schlangen nicht schweigen. Denn was dem deutschen Juristen der Feldhamster, ist dem Amerikaner seine Schlange. Als im Baugebiet eines geplanten Staudamms der Tennessee Valley Authority eine gefährdete Schlangenart entdeckt wurde, führte das zu erregten Diskussionen über Geld, wirtschaftliche Wohlfahrt und Artenschutz.
Dem setzte der US-Kongress mit einer Ausnahmeregelung ein Ende, wie Maggie Kuhn in ihrem Aufsatz "Climate Change and the Polar Bear: Is the Endangered Species Act up to the Ask?" ausführt.
Um nicht mehr selbst dabei Hand anlegen zu müssen, wenn es gilt, Mutter Natur ein wenig Fell über die Ohren zu ziehen, delegierte der US-Gesetzgeber die Aufgabe – um im Einzelfall möglichst zugunsten von Bauherren und anderen Umweltverbrauchern zu entscheiden – an ein Gremium, für das der angelsächsische Juristenhumor die Bezeichnung "God Squad" geprägt hat.
Maggie Kuhn prüft nun in ihrem Aufsatz (Alaska Law Review 27, 126-149), inwieweit dem Eisbären – zweifellos vom Klimawandel bedroht – durch Schutzmaßnahmen nach dem Endangered Species Act geholfen werden kann.
Der Klimaschutz - zu groß für die Juristerei?
Sie vermutet, dass klimaschützende Maßnahmen zugunsten des Bären im Zweifelsfall einer Güterabwägung durch die "God Squad" zum Opfer fielen. Schutz biete derzeit eher sein Status als "Ikone des Klimaschutzes". Insgesamt sei Klimaschutz aber ein zu großes Problem, als das es durch das Nadelöhr der Artenschutzgesetzgebung gefädelt werden könne.
Klimaschutz sei ein zu großes Problem, stellen auch Alexandros Chatzineratzis und Benjamin Herz in "Climate Change Litigation – Der Klimawandel im Spiegel des Haftungsrechts" fest, zu groß, um es mit den Mitteln des Umwelthaftungsgesetzes anzugehen.
Für jeden, der hofft, Größtschadensvorgänge könnten mit den Mitteln des Rechts zumindest behindert werden, dürfte die Lektüre des Aufsatzes (NJOZ 2010, 594-598) der beiden Linklaters-Juristen frustrierend sein, fertigen sie doch mit guten juristischen Argumenten gleich auch alle nur erdenklichen haftungsrechtlichen Phantasien in Sachen Klimaschutz ab.
Mag sein, beim Klimaschutz hilft doch einmal politischer Wille – oder ein Hamster auf dem Baugrund eines Kohlekraftwerks.
Nudeln – juristisch heiß diskutiert
Viel heißer als der Klimawandel, der Chatzineratzis/Herz zufolge haftungsrechtlich kaum zu greifen ist, wurde auch in der juristischen Öffentlichkeit ein schwäbisches Nudelgericht diskutiert.
Es ist Alexander Schall zu verdanken, dass der notorische Maultaschenfall nicht nur zum arbeitsrechtlichen Lehrbuchbeispiel werden dürfte. Denn sein Aufsatz "Maultaschen im Sachenrecht" (NJW 2010, 1248-1252) würdigt die mobiliarrechtliche Seite des Falls, der von einer Arbeitnehmerin ausging, die verbotswidrig sechs Maultaschen mit nach Hause nahm, welche zum Wegwerfen bestimmt waren.
Was Schall mit seiner sachenrechtlichen Würdigung von Nahrungsmitteln im Gastronomiebetrieb leistet, ist die juristische Anatomie eines Vorgangs aus dem täglichen Leben, die so schnell kein Mensch auf der Welt nachmachen wird – ob Jurist oder Laie.
"Húntún" im Sachenrecht – ob es der Chinese versteht?
Ob wenigstens die chinesischen Juristen ihren deutschen Kollegen in Fragen sachenrechtlicher Feingliederungsarbeit dermaleinst das Wasser werden reichen können, ist längst nicht ausgemacht, erklärt der Aufsatz von Yuanshi Bu: "Verfügung und Verpflichtung im chinesischen Zivil- und Immaterialgüterrecht" (JZ 2010, 26-32).
Die Freiburger Professorin für Ostasienrecht referiert einige dogmatische Probleme, die sich im chinesischen Sachenrecht der Gegenwart auftun – insbesondere durch die unzureichende Rezeption des außerhalb Deutschlands ja nicht sonderlich populären Trennungs- und Abstraktionsprinzips. Sie deutet einerseits an, dass eine zu hohe gedankliche Abstraktion des Zivilrechts der politisch geforderten "Volkstümlichkeit" widersprechen könnte. Andererseits sieht Yuanshi Bu im deutschen Sachenrecht offenbar einen im internationalen Vergleich denkbar hohen Entwicklungsstand erreicht.
Ob jener schwäbische Streit um die nicht zuletzt sachenrechtlich richtige Würdigung eines Nudelgerichts jemals auch chinesischen Juristen den vollen dogmatischen Genuss bereiten wird, den der Maultaschen-Fall hierzulande verbreitete, mag dahingestellt bleiben.
Der Streitgegenstand immerhin dürfte im Heimatland der Nudeln bekannt sein: "Húntún", zu deutsch "Maultasche" oder "Ravioli"
Der Autor Martin Rath ist Journalist und Lektor in Köln.
Martin Rath, Recht frech: Die etwas andere Literaturübersicht: . In: Legal Tribune Online, 18.07.2010 , https://www.lto.de/persistent/a_id/1002 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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