2/2: Stolpersteine gibt es schon woanders
Der Palandt ist aber das falsche Beispiel für solche Überlegungen. Sein Wirken ist gerade nicht historisch ambivalent, denn abgesehen von seiner Mitwirkung bei der Gleichschaltung der Justiz im Dritten Reich hat er in seinem Leben nichts besonders Erinnerungswürdiges geleistet. Was wir demgegenüber verurteilenswert finden, ist gerade untrennbar und eindeutig mit der Benennung des Kommentars verbunden.
Die Lösung, den Kommentarnamen beizubehalten und mit dem Begriff "Stolperstein" zu adeln, ist im Übrigen nicht unproblematisch. Das Projekt, das mit dem Begriff "Stolperstein" verbunden ist, erinnert mit in die Straße eingelassenen Messingtafeln an sonst namenlos gebliebene Opfer (nicht: Täter) des Nationalsozialismus. Braucht man im Vergleich dazu wirklich die Mahnung an einen Justizbürokraten des Dritten Reiches? Muss als Bühne dafür immer noch der Einband eines anerkannten Praxiskommentars herhalten?
Es ist doch grotesk, dass in der Justizausbildung ein Kommentar zur verpflichtenden Prüfhilfe erhoben wird, dessen Namensgeber eine derart unrühmliche Rolle in eben dieser gespielt hat. Der Stolpersteinidee um einiges gerechter würde es, den Kommentar beispielsweise nach Otto Liebmann zu benennen, der sich gezwungen sah, seinen Verlag an Heinrich Beck zu verkaufen, und der die Tradition der Taschenkommentare begründete, an die unter anderem der Palandt anschloss.
Die angebliche Maßlosigkeit moralischer Konsequenz
Auch der von Rath erhobene Vorwurf, die Initiative zeige moralischen Rigorismus, der keine Kompromisse kenne, unterliegt einem Missverständnis. In der – ja – moralisch unterfütterten Forderung, den Palandt umzubenennen, ist nämlich keine Maßlosigkeit angelegt. Ihr geht es nicht darum, andere Meinungen zu unterdrücken und die Erinnerung an (selbst in den Grauzonen) gelebte Geschichte auszulöschen. So kann in einem Vorwort des umbenannten Kommentars die Namensgeschichte ohne weiteres präsent gehalten werden.
Die Initiative weist allerdings darauf hin, dass scheinbar banale Alltäglichkeiten wie die Namensgebung eines Kommentars nicht neutralisiert werden können, sondern – sei es auch ungewollt – Positionierungen enthalten. Daraus leiten die Initiatoren ab, dass eine von vielen geteilte Haltung zu Juristen in der NS-Zeit die Konsequenz stützt, den Kommentar umzubenennen. Dass der Verlag C.H. Beck andere Konsequenzen aus eben dieser Haltung ziehen könnte, entwertet diese Position nicht. Dass es weitere Beispiele für problematische Namensgebungen gibt (zum Beispiel Schönfelder oder Maunz), belegt, dass die Argumentation der Initiative gegebenenfalls übertragbar ist, aber nicht, dass sie totalitäre Ausmaße annehmen würde.
Wir wollen die Öffentlichkeit und den Verlag C.H. Beck von der Richtigkeit der Umbenennung des Palandt-Kommentars überzeugen. Zwang sollen nicht die Initiative, sondern ihre Argumente ausüben. Im Wesentlichen stehen sich dabei als Positionen gegenüber: der Wert der Marke "Palandt", der sich von der ursprünglichen Person gelöst hat, auf der einen Seite, und die Assoziation mit einer nationalsozialistischen Figur, die durch die Beibehaltung des Namens perpetuiert wird, auf der anderen.
Ersteres setzt zu stark auf das Vergessen, die Umbenennung hingegen auf konsequentes Handeln. Ein "Stolpervorwort" ist aus unserer Sicht zwar konsequent, aber nicht konsequent genug. Zu lang haben wir alle dieses steingraue "Denkmal wider Willen" für einen "nationalsozialistischen Justizfunktionär" letztlich achselzuckend hingenommen.
Die Autoren Stefan Martini und Kilian Wegner sind Juristen und Mitglieder der Initiative Palandt umbenennen.
Umbenennung des Palandt: . In: Legal Tribune Online, 27.09.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/24729 (abgerufen am: 04.11.2024 )
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