Aufrüstung der Polizei: Oster­montag 1986 und das CS-Gas

von Martin Rath

28.03.2016

2/2: 1988 – VGH München zum Ostermontagsfall 1986

Dem Ostermontagsdemonstranten des Jahres 1986 attestierte der Bayerische Verwaltungsgerichtshof mit Urteil vom 16. Mai 1988 (Az. 21 B 87.02889) das Pech gehabt zu haben, sich nicht zusammen mit den gewalttätigen Demonstranten und bloßen Schaulustigen buchstäblich vom Acker gemacht zu haben.

Die Münchener Richter glaubten dem Mann, dass er friedliche Absichten gehabt habe und, durch Bildung einer Menschenkette, sogar aktiv darum bemüht gewesen sei, gewaltbereite Atomkraftgegner von Straftaten gegen den Bauzaun und die dahinter versammelte Polizei abzuhalten.

Möglichkeiten einer weniger martialischen Einsatztaktik der Polizei mochten die Verwaltungsrichter aber nicht entdecken. Dass die Polizei eher sparsam mit dem Reizgas umgegangen sei, war nach Erkenntnis des Gerichts schon daran zu sehen, dass die "immer wieder davon getroffenen Gewalttäter … ihre Angriffe trotzdem an immer neuen Stellen bis in die Dämmerung gegen 18.00 Uhr fortgesetzt" hätten.

Etwaige Dauerschäden des Klägers durch das Reizgas führten "nicht zur Unverhältnismäßigkeit des letztlich auf die Abwehr eines bürgerkriegsähnlichen Gesamtgeschehens gerichteten Mittels". Dass im Verlauf des Ostermontags 1986 ein anderer Demonstrant zu Wackersdorf "einen dann tödlichen Asthmaanfall erlitt" tue nichts zur Sache, weil dieser aufgrund der Windrichtung mit den Reizstoffen gar nicht "irgendwie in Berührung gekommen" sein könne.

Natürlich befassten die bayerischen Richter sich auch mit dem befremdlichen Umstand, dass der CS-Einsatz gegenüber fremden Soldaten, nicht aber gegenüber der eigenen Bevölkerung verboten ist – schließlich hieß es in der amtlichen Übersetzung des völkerrechtlichen Übereinkommens von 1929, dass „die Verwendung von erstickenden, giftigen oder gleichartigen Gasen ... im Kriege mit Recht in der allgemeinen Meinung der zivilisierten Welt verurteilt worden ist."

Zivilisation ist eben nur im Krieg wichtig, in einem "bürgerkriegsähnlichen Gesamtgeschehen" muss auch der friedliche Bürger im Zweifel einmal beide Augen zudrücken.

Staat in Rüstung

Die Bauarbeiten an der Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf wurden 1989 eingestellt, weil den Betreibern der deutschen Atomkraftwerke die Leistungen britischer und französischer Anbieter der Aufbereitung von Kernbrennstäben günstiger zu stehen kam als ihr bayerischer Eigenbetrieb. Der Freistaat Bayern hatte bis dahin neben erheblichen Kosten für das Gelände und die Polizeieinsätze auch ideell Schaden genommen. Die auf bis zu 14 Tage ausdehnbare Dauer des Unterbindungsgewahrsams nach Artt. 17, 20 Polizeiaufgabengesetz Bayern ist als rechtspolitische Reaktion darauf zu verstehen, Land und Leute in der Gefahr "bürgerkriegsähnlicher" Zustände zu rücken.

Die Ausstattung der Polizei mit Schutzkleidung und nichttödlicher Bewaffnung hat seither kein Ende gefunden. Wenn Polizistinnen und Polizisten heute Schwarzfahrern beim Ausstieg aus der Straßenbahn in einer Rüstung gegenübertreten, als kämen sie als Rittersleute frisch vom Schlachtfeld eines mittelalterlichen Krieges, steht dieses zusehends martialische Äußere auch in der Tradition jener historischen Ausschreitungen am Ostermontag 1986.

Autor: Martin Rath arbeitet als freier Lektor und Journalist in Ohligs.

Zitiervorschlag

Martin Rath, Aufrüstung der Polizei: . In: Legal Tribune Online, 28.03.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/18891 (abgerufen am: 22.11.2024 )

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