Das größte Volksfest der Welt hält derzeit die Polizei in Atem. Auf der Theresienwiese kommt es zu Bierkrugübergriffen, Wild-Pinkeln, Taschendiebstählen und mehr. LTO-Reporterin Gil Eilin Jung erklärt, warum beißende Italienerinnen nichts mit verlorenen Möpsen zu tun haben und sprach mit Münchens Polizeisprecher über die speziellen Herausforderungen der Wiesn-Cops.
Der Preis der Maß – wie das Oktoberfest-Bier im 1-Liter-Humpen genannt wird – ist Jahr für Jahr der Aufreger, wenn es um das meistkopierte Volksfest der Welt geht. Dass der Krug in 2011 nun erstmals die 9-Euro-Marke überschritten hat, lässt Münchens Polizeisprecher Wolfgang Wenger jedoch ziemlich kalt. Wengers Sorge gilt eher dem Gefäß als solchem, das in der Hand eines angetrunkenen Gastes ganz gut als Waffe benutzt werden kann und auch wird. Das ist unter anderem der Grund für den Einsatz von rund 500 speziell für die Wiesn abgestellte Polizisten.
"Das Thema Gewalt spielt immer eine Rolle", sagt Wenger im Gespräch mit LTO. Dennoch sei bei geschätzten sechs bis acht Millionen Besuchern der dreiwöchigen Sause, die noch bis zum 3. Oktober anhält (und an diesem Wochenende ihr Bergfest erreicht), die Zahl der Übergriffe "relativ gering".
Im beinahe Karl-Valentin'esken "Wiesnreport", dem täglichen Update der Münchner Polizei, lässt sich nachlesen, um welche Art von Gewaltakte es sich handelt. "Gegen 18.15 Uhr", heißt es etwa in einem Bericht, "gerieten ein 35-jähriger Bosnier und ein 33-jähriger Deutscher in einen Streit. Im Verlaufe dessen würgte der Bosnier seinen Kontrahenten für einige Sekunden am Hals. Dieser befreite sich mit einem Faustschlag, woraufhin der Bosnier nun wieder mit einem gefüllten Maßkrug zuschlug, so dass der Krug zerbrach." Nicht selten werden Übergriffe mit solch einer "Waffe" schnell als versuchter Totschlag eingestuft.
Taxi ergattert mit anschließender Beutesicherung
An anderer Stelle ist im schönsten Beamtendeutsch von einer 37-jährigen Italienerin die Rede, die sich ihr hart erarbeitetes Taxi nicht mit einer spontan dazugestiegenen Deutschen teilen wollte. "Darauf hin stieg die Italienerin wieder aus", heißt es, "öffnete die Tür der Münchnerin und zog diese an den Haaren aus dem Taxi. Hierbei gingen auch noch ein Armband und eine Halskette der Frau zu Bruch." Als Polizisten eingriffen, ging es auch denen an den Kragen: "Hierbei wehrte sich die Frau aus Italien nach Leibeskräften und biss einem 28-Jährigen Polizeibeamten in den rechten Unterarm. Einen weiteren Polizeibeamten bespuckte sie". Das brachte eine Anzeige wegen gefährlicher Körperverletzung, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, Beleidigung und Sachbeschädigung mit sich.
Wolfgang Wenger bestätigt, dass die Zahl der Übergriffe auf Polizisten zugenommen habe. "Das ist eine allgemeine, gesellschaftliche Entwicklung", sagt Wenger, wiewohl die Zahl der Straftaten im Vergleich zu den Vorjahren stabil sei. Tendenz leicht steigend. "Wir sind sehr einsatzerfahren", sagt Wenger. Das Konzept hieße Präsenz. "Die Kollegen sind ständig draußen auf Streife, was wichtig ist für das subjektive Sicherheitsgefühl der Besucher." Man führe in den Eingangsbereichen Kontrollen durch, durchsuche Handtaschen und Rucksäcke nach auffälligem Inhalt, checke das Gelände täglich mit Sprengstoffspürhunden. Zivile Fahnder achteten zudem auf die Einhaltung des Jugendschutzes.
Hochmut kommt meist vor dem Fall
Harmlosere Delikte und nicht die große Gefahr stehen nach wie vor im Vordergrund. Rund 170 Taten ereigneten sich allein in den ersten fünf Wiesn-Tagen. Darunter der Fall von zwei Italienern, die wegen des "Hitler-Grußes" vorübergehend festgenommen wurden. Oder zwei bosnische Taschendiebe, die in flagranti dingfest gemacht werden konnten, jedoch schnell wieder auf freien Fuß gesetzt wurden, weil sie feste Adressen in München hatten. Einfach nur Pech hatte eine 23-jährige Australierin, die im Alkoholrausch Lust auf eine Kletterpartie über die Budendächer bekam. Sie stürzte drei Meter in die Tiefe und landete mit einem gebrochenen Unterschenkel und Gehirnerschütterung in der Notaufnahme.
Unter den zahlreichen Wiesn-Delikten steht Taschendiebstahl mit an oberster Stelle. 60 Festnahmen hat es 2010 gegeben. 17 Festgenommene gehörten organisierten Gruppen an. Um sich gegen diese Gefahr zu Wehr zu setzen – "Die Wiesn lockt die Profis an", so Wenger, hat die Münchner Polizei in diesem Jahr spezielle Taschendiebfahnder im Einsatz. Zur Prävention rät man auf das Mitnehmen von Taschen möglichst ganz zu verzichten, Wertsachen dicht am Körper und keinesfalls etwas von Wert in Außentaschen zu tragen.
Internationale Unterstützung erhalten die Münchner Beamten von Kollegen aus Ungarn, Belgien, Frankreich, Österreich und der Schweiz. Zum etablierten "Italiener-Wochenende" zur Mitte des Oktoberfestes, zu dem viele Gäste aus dem Mittelmeerland anreisen, sind auch Beamte der italienischen Staatspolizei in ihren Uniformen an der Seite der bayerischen Kollegen.
Videokameras beobachten das Wild-Biesln und -Schnacksln
Zu den üblichen Vergehen einer solchen Massenparty gehört auch immer wieder das sogenannte Wild-Biesln hinters Bierzelt. Das Eintreiben der Strafe für unerlaubtes und nicht goutiertes Urinieren ("Moacht’s nett den Ernst-August bei uns!" mahnten die Wiesn-Organisatoren) veranlasse das Ordnungsamt, sagt Wenger. "Aber wir unterbinden das natürlich, wenn wir so etwas sehen". Mit guten Worten ist es beim Tatbestand des "Wild-Schnackslns" jedoch nicht getan. 2010 war in einem bild.de-Video deutlich zu erkennen, wie ein junges Paar - immerhin korrekt in Tracht gekleidet - auf einer Bierbank in einem vollbesetzten Zelt munter vor sich hin kopulierte.
Was tut man da? Einen Eimer Wasser schmeißen? "Eingreifen ist gut gesagt", sagt Wenger, "wir müssen immer erst mal schauen, ob das freiwillig oder erzwungen ist." Sexualdelikte kämen öfter vor auf dem Oktoberfest. Alkohol enthemmt, wie Wenger sagt. Auch zu Platzverweisen wegen unbotmäßigen Verhaltens käme es regelmäßig. "Wenn uns jemand auffällt, der besonders aggressiv erscheint, gehen wir vor die Lage und greifen vorsorglich ein", so Wenger.
Auf der 42 Hektar großen Anlage sind 17 Kameras installiert, um auch sofort auf Gefahrensituationen reagieren zu können. Seit Terrorzeiten gebe es ein spezifisches Profil. "Wir haben drei Sperrringe aufgebaut", erklärt der Polizei-Sprecher, nachdem es vor drei Jahren Drohanrufe und -videos gegeben habe. Vom äußeren bis zum inneren Ring verschärfen sich die Zufahrtsberechtigungen und Fahrzeugkontrollen. Seit diesem Jahr sorgen zudem 180 versenkbare Poller für eine noch größere Sicherheit.
Interessant wird die Statistik 2011 bestimmt ausfallen, was Straftaten und Übergriffe betrifft. Interessant ist aber auch jedes Jahr, was übrig bleibt vom Fest. Jährlich werden nur 25 Prozent aller Fundsachen abgeholt. Der Rest landet womöglich auf Auktionen. 2010 waren unter den 4.500 Funden 770 Ausweise, 420 Geldbörsen, 366 Schlüssel, über 400 Handys, 90 Fotoapparate und 80 Regenschirme. Außerdem ein Buddelschiff, ein Mops, ein Kaninchen, vier paar Damenpumps, eine Tuba, ein Hörgerät und ein Gebiss. Ja mei...
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Gil Eilin Jung, Oktoberfest 2011: . In: Legal Tribune Online, 24.09.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/4385 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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