2/2: "Gescheiteste und radikalste Suffragette"
Dem Hamburger Nachrichtenmagazin Spiegel, dem seinerzeit eine heute nur noch schwer nachvollziehbare Bedeutung in der politischen Meinungsbildung der jungen Bundesrepublik zuwuchs, bot die ungestüme Düsseldorfer Richterin mitunter Anlass zum Spott: Angesichts der damals noch in § 172 Strafgesetzbuch (StGB) vorgesehenen Strafbarkeit außerehelicher Sexualkontakte hatte Krüger de lege ferenda vorgeschlagen, den Männern nach einem Seitensprung aufzuerlegen, sich bei der beteiligten Frau zu erkundigen, ob eine Schwangerschaft eingetreten sei.
Der Vorschlag trug Krüger medienübergreifende Häme ein – ob der Mann mit Blumen kommen müsse oder ein Telefonat ausreiche –, doch kam der Spiegel nicht umhin, Krüger zur "gescheitesten und radikalsten Suffragette der Nachkriegszeit" zu erklären. In diesem boshaften Testat kann man heute, nicht nur mit Blick auf die elende prozess- und rechtspolitische Publizistik einer Alice Schwarzer eine gewisse Freundlichkeit lesen.
Allein, wer kennt die Krüger? Obwohl sogenannte Frauengeschichtsvereine inzwischen jede Hexe hinterm Offen hervorholen, um ihr eine zumindest lokalhistorische Aufmerksamkeit zu verschaffen, ist die 1909 in Wandsbek geborene, in den 1930er-Jahren mit Spitzen-Staatsexamen studierte, zu Lebzeiten bis an die Schmerzgrenze und darüber hinaus streitbare Hildegard Krüger, die Anfang der Neunziger in Köln verstarb, heute fast völlig vergessen.
Richtige Patriarchen findet man ohnehin nur in Somalia
Zu der grundgesetzkonformen Gestaltung des Ehenamensrechts, wie sie das BVerfG 1991 vorgab und der Gesetzgeber 1994 ins bürgerliche Recht implantierte, wird in der Literatur kritisch angemerkt, dass sie den klassischen Funktionen nicht mehr genüge. Wenn beispielsweise beide Eheleute ihre Geburtsnamen beibehalten, wird die Abstammung der Kinder nicht mehr zwingend an ihrem Namen erkennbar. Als der Gesetzgeber 1896 für den 1. Januar 1900 festschrieb, dass die "Frau […] den Familiennamen des Mannes [erhält]" war das ja nicht nur Ausdruck des patriarchalen Zeitgeists, sondern diente auch dazu, soziale Zugehörigkeit transparent zu machen – ein zeitübergreifendes Bedürfnis staatlicher Autoritäten, das heute von einem dichtmaschigen Melderechtssystem befriedigt wird, in dem die liberal-konservativen Parlamentarier des Kaiserreichs wohl einen sozialistischen Alptraum gesehen hätten.
Andererseits könnte, nachdem dieser Alptraum Staatspraxis ist, das Namensrecht sich Freiräume leisten. Als Wissenschaft von dem, was Menschen kulturell so alles treiben, gibt vor allem die Ethnologie für den menschlichen Namen und das Namensrecht den Rahmen des Möglichen vor: So gut wie jeder kleine Ziegenhirte in Somalia kann z.B. die Namen seiner Vorväter bis zu sieben Generationen aufsagen, ein ernsthaft patriarchales System versteht diese Kette an Vornamen der Vorfahren seriös als Vornamen des Nachfahren – dagegen wirkt sogar der § 1355 vom 1. Januar 1900 harmlos. Anderenorts, beispielsweise in manchen Kulturen Ostasiens, wechseln Kinder mit der Adoleszenz ihren Namen, so wie es die moderne Erziehungspraxis verwirrter Großstadtbewohner für die religiöse Kindeserziehung (und neuerdings für die sexuelle Orientierung) vorsieht: "Das soll er/sie sich später mal selbst aussuchen."
Namensrecht: Was kommt als übernächstes?
Im Grunde könnte bei so viel weltweit anzutreffender Bandbreite gegenüber der hierzulande – noch – üblichen Verbindlichkeit im (Ehe-)Namensrecht die Zukunft im Laissez-faire liegen: Warum tauschen Eheleute ihre Namen nicht wie die Ringe? Oder warum sollten sie den Nachnamen ihrer Kinder nicht aus den beiden Geburtsnamen der Eltern scrabbeln dürfen, statt sich auf einen ihrer Geburtsnamen zu verständigen?
Die Antwort könnte das BVerfG vorläufig mit dem Volkszählungsurteil gegeben haben (Urt. v. 15.12.1983, Az. 1 BvR 209/83 u. a.): Solange eine Personenkennziffer nur verschämt durch die Hintertür eingeführt wird, beispielsweise als Steueridentifikationsnummer, nicht aber als jederzeit greifbares Identifikationsmerkmal im sozialen Alltag zulässig ist, wird es bei der relativen Unfreiheit der Namenswahl wohl bleiben.
Mag sein, dass die Abneigung gegen die staatliche Personenkennziffer in Zukunft verlorengehen wird. Die Liberalisierung und Egalisierung des Ehenamensrechts, die vor zwanzig Jahren ins Gesetz kam, könnte dann nur der Auftakt zu einem weiteren Namens-Laissez-faire gewesen sein.
Martin Rath, 20 Jahre Namensrecht: . In: Legal Tribune Online, 06.04.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/11573 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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