Fortpflanzungsmedizin und Recht: Samen­spende statt "ero­tischer Kompo­nente"

14.06.2015

2/2: Künstliche Befruchtung als Scheidungsgrund?

Ein zentraler juristischer Aspekt betraf die Herkunft des männlichen Ausgangsmaterials. Die sogenannte homologe Insemination, die ärztliche Nachhilfe bei ehelichen Zeugungsabsichten, hakt Koerner rasch ab. Hierzu gibt er, ebenso wie für die heterologe Insemination, die Nutzung von Fremdsperma, den interessierten Medizinern vor allem den Rat, die Identität des Spenders gründlich zu prüfen und zu dokumentieren, um sich keinen Schadensersatzansprüchen auszusetzen, die etwa von übergangenen Ehemännern geltend gemacht werden könnten.

Ein bedeutendes Rechtsproblem der heterologen Insemination sah Koerner im Ehebruch, dem wichtigsten Scheidungsgrund im Eherecht der US-Bundesstaaten seiner Zeit. Vor dem Bezirksgericht von Chicago war zwar 1945 das Scheidungsbegehren eines Ehemanns abgewiesen worden, dessen Gattin künstlich befruchtet worden war, und der geltend machte, das Kind sei nicht das seine. Der zuständige Richter befand, dass im hergebrachten Konzept des Ehebruchs - das die Vorstellung sexueller Handlungen enthielt - künstliche Befruchtung nicht erfasst werde. Ohne erotische Komponente also kein Ehebruch. Aber das musste man ja in anderen Gerichtsbarkeiten und Rechtsordnungen nicht zwingend auch so sehen.

Alfred Koerner begrüßt die Trennung zwischen Eros und Fortpflanzungspotenzial als Ausdruck "modernen juristischen Denkens". Wer heterologe künstliche Befruchtung als Ehebruch werte, betone eine Art Eigentumsrecht am Nachwuchs, worin der US-Anwalt einen "Rückfall ins Reich feudalistischen Denkens" sieht. Mehr juristischen Gedankenschmalz solle man darauf verwenden, Ärzte gegen andere rechtliche Risiken abzusichern: Beispielsweise müssten sich die Mediziner wohl schon bald der gerichtlichen Auseinandersetzung stellen, welche Sorgfaltspflichten sie bei der Auswahl der Samenspender an den Tag gelegt hätten.

Sorgfaltspflichten des Reproduktionsmediziners 1948

Man erkennt hier die enorme prognostische Leistungsfähigkeit der Rechtswissenschaft, denn Alfred Koerners 1948 formulierte Vorausschau wurde spätestens 2014 juristische Gegenwart mit der "Ohio Sperm-Bank Controversy": Einem hellhäutigen lesbischen Paar war der Nachwuchs zu negroid geraten. Koerner dachte 1948 an etwas weniger rassistische Probleme, als er die Sorgfalts- und Haftungsmaßstäbe für einschlägig tätige Mediziner erwog: "Die Neigungen und das geistige Niveau der Familie, in die das künstlich befruchtete Kind hineinkommt, müssen sorgfältig beachtet werden. Es wäre verhängnisvoll, ein künstlerisch begabtes Kind in den Haushalt eines hartherzigen Geschäftsmanns zu bringen." Überhaupt wäre es schön, wenn die Samenspende dazu beitrüge, die Empfängerfamilie in Sachen IQ schlauer zu machen.

Von solchen Sorgfaltserwägungen abgesehen, in denen sich für den Mediziner rechtliche Risiken verbergen, galt dem Arzt und Anwalt Alfred Koerner die künstliche Befruchtung als Mittel, das Institut der Ehe zu schützen. Zustimmend zitiert er den sächsischen Sexualmediziner Hermann Rohleder (1866-1934), einen Pionier in Sachen heterologer Insemination, der beobachtet haben wollte, dass es gebärwilligen Ehefrauen lieber sei, einen zeugungsfähigen Liebhaber hinzuzuziehen, als beispielsweise mit ihrem sterilen Ehemann ein Kind zu adoptieren.

Allerdings sollten die Fortpflanzungsmediziner bei der Auswahl der Spender dann wiederum auch nicht zu kundinnenfreundlich sein und etwa auf den Gedanken kommen, Männer auszusuchen, die allzu sehr den zeugungsunfähigen Gatten ähnelten – hier drohe dann, dass sich die Frau in den Spender verliebe, was wiederum das Institut der Ehe gefährden und Schadensersatzforderungen an die Adresse des Arztes nach sich ziehen könnte.

Wo der Jurist noch komisch ist, wird der Arzt größenwahnsinnig

Neben seiner Gründlichkeit im Durchdenken rechtlicher Konsequenzen künstlicher Befruchtung leistete Alfred Koerner 1948 auch einen Beitrag zur juristischen Hochkomik, indem er die Leser der "Louisiana Law Review" davon zu überzeugen versuchte, dass künstliche Befruchtung nicht schon allein deshalb moralisch verwerflich sei, weil ihr masturbatorische Handlungen des Spenders vorangingen. Es kommt eben darauf an, auf die Zuwendungsabsicht sozusagen. Wann wurden je in einer rechtswissenschaftlichen Zeitschrift solche Vorbehalte erwogen?

Glücklicherweise sind diese frühen Versuche von juristischer Seite, die Fragen der Reproduktionsmedizin zu klären, trotz solch detailverliebter Komik noch harmlos im Vergleich zu den nicht mehr komischen Allmachtsphantasien anderer akademischer Fächer. Dr. med. Hermann Rohleder, Leipzig, der bereits erwähnte Vorreiter der Reproduktionsmedizin, ein sächsischer "Specialarzt für sexuelle Erkrankungen" warb beispielsweise nicht nur darum, der künstlichen Besamung als Heilmittel für bedrohte Ehen eine Chance zu geben. Rohleder mühte sich um das Jahr 1900 auch darum, ein Projekt auf die Beine zu stellen, bei dem versucht werden sollte, mittels künstlicher Befruchtung Mischwesen aus Mensch und Schimpanse zu zeugen. Das tat er ganz seriös in medizinischen Publikationen und unter Beifall der naturwissenschaftlichen Prominenz des Kaiserreichs.

Der Autor Martin Rath arbeitet als freier Lektor und Journalist in Köln.

Zitiervorschlag

Fortpflanzungsmedizin und Recht: . In: Legal Tribune Online, 14.06.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/15850 (abgerufen am: 22.11.2024 )

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