Für die Gleichbehandlung gleichgeschlechtlicher Paare, gegen Vorratsdatenspeicherung, für kürzere Gerichtsverfahren, gegen Anti-Terror-Gesetze – die Positionen von Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger zeugen von liberaler Weltsicht. Die FDP-Frontfrau wird 60 - und ist noch immer nicht müde, ihre Partei an ihre freiheitlich-bürgerlichen Wurzeln zu erinnern.
Als Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, geb. Leutheusser, am 21. Juli 1951 in Minden zur Welt kam, schien eine Laufbahn in der Politik durchaus vorgezeichnet. Schon ihr Großvater hatte 1924 als Kreisdirektor und später als Landrat von Gotha fungiert – dessen Erzählungen über seinen Widerstand gegen die erstarkenden Nationalsozialisten entfachten in dem jungen Mädchen jene Begeisterung, die noch bis heute anhält.
Weniger klar war allerdings, dass ausgerechnet die Tochter eines Rechtsanwalts und CDU-Politikers eines Tages zur Galionsfigur liberaler Politik in Deutschland werden würde. Während ihr Vater es 1964 unter den Christdemokraten bis zum stellvertretenden Bürgermeister ihrer Geburtsstadt brachte, fühlte die junge Sabine sich von freiheitlicherem Denken angezogen – sicher auch aus "jugendlicher Widerborstigkeit gegen ein eher konservatives Elternhaus", wie sie heute unumwunden zugibt.
Nach dem Abitur im Jahre 1970 folgen Jurastudium und Referendariat, welches sie 1978 als Volljuristin verlässt. Im selben Jahr tritt sie der FDP bei und beginnt, sich politisch zu engagieren. Ihre hauptberufliche Tätigkeit beim Deutschen Patentamt in München legt sie 1990 nieder, um im selben Jahr erstmalig in den Bundestag einzuziehen.
Trotz kleinem Wurf bis an die Grenzen
Von da an verläuft die Karriere rasant: 1992 tritt Außenminister Genscher zurück, woraufhin Justizminister Kinkel seinen Platz einnimmt. Dessen plötzlich freigewordene Stelle gilt es zu besetzen, und da der Anwärter Burkhard Hirsch von Teilen der FDP und dem Koalitionspartner politisch unlieb ist, fällt die Wahl mit 56 zu 27 Stimmen auf Leutheusser-Schnarrenberger. Das Ergebnis ist weniger eine Entscheidung für sie, als gegen ihren Konkurrenten, so dass ihr augenblicklich der Ruf als Verlegenheitskandidatin anhängt. Nach der Wahl bringt Fraktions-Rechtsexperte Detlef Kleinert die Stimmung eher unschmeichelhaft auf den Punkt: "Es ist nicht die Zeit der großen Würfe. Die Frau ist praktisch und normal."
Solche Unkenrufe wandeln sich schon bald in Erstaunen und sodann wahlweise in Entzücken oder Entsetzen, als Leutheusser-Schnarrenberger beginnt, unerwartet tiefe Spurrillen in ihr politisches Profil zu graben. Sie ist die erste Frau in der Geschichte der BRD, die eines der klassischen politischen Ressorts leitet, und wie wenig glanzvoll der Weg dahin auch gewesen sein mag – einmal angekommen, gibt sie sich keineswegs damit zufrieden, Gesetzentwürfe unbesehen abzunicken und im Übrigen in Glanz und Glorie ihres Amtes zu baden.
So lassen die ersten Reibereien nicht lange auf sich warten: Anfang August 1992 wendet sich der Parlamentarische Staatssekretär im Justizministerium, Reinhard Göhner (CDU), an die Presse und verlautet, dass die soeben verabschiedete Reform des "Abtreibungsparagraphen" 218 StGB nicht mit dem Grundgesetz zu vereinbaren sei. Seine kurz zuvor inthronisierte Dienstherrin, selbst Befürworterin des Entwurfes, macht aus ihrer mangelnden Begeisterung über so wenig Loyalität keinen Hehl und spricht davon, dass Göhners Verhalten "hart an die Grenzen" des Zumutbaren gehe.
Ein Rücktritt unter Tränen
Auch in den nächsten Jahren mangelt es nicht an Konfliktpotential zwischen der liberalen Justizministerin und dem großen, christdemokratischen Koalitionspartner: Leutheusser-Schnarrenberger spricht sich so vehement für die Rechte von Asylbewerbern aus, dass Horst Eymann (CDU) sie als "die heilige Johanna des Rechts" betitelt und damit einen Spitznamen prägt, der ihr noch bis heute anhaftet.
Der Vergleich ist einerseits schmeichelhaft: Die besser als Jeanne d’Arc bekannte Heilige der katholischen Kirche war eine couragierte, kämpferische Frau, die sich in einer reinen Männerwelt gegen die Invasoren durchsetzte, obwohl – oder gerade weil – sie sich zuallererst ihren eigenen Visionen verpflichtet sah.
Auf der anderen Seite beweist Eymann mit seinem Vergleich prophetisches Gespür, denn sowohl Jeanne d’Arc als auch ihrem deutschen Pendant sollten die eigenen Überzeugungen zum Verhängnis werden: Während jene als Häretikerin auf dem Scheiterhaufen ihr Ende fand, stirbt diese im Jahr 1996 den politischen Märtyrertod.
Auslöser dafür war die Debatte um die als „großer Lauschangriff“ bekannt gewordene Gesetzesreform, welche den Ermittlungsbehörden den Weg zur akustischen Wohnraumüberwachung ebnen sollte. Leutheusser-Schnarrenberger war vehemente Gegnerin des Entwurfes, womit sie sich nicht nur zur CDU, sondern auch zu ihren eigenen Parteileuten in Opposition setzte. Nachdem eine Mitgliederbefragung innerhalb der FDP eine Mehrheit für den großen Lauschangriff ergeben hatte, zog sie 1996 ihre Konsequenzen und legte ihr Amt im Justizministerium unter Tränen nieder – bis heute der einzige Rücktritt einer Bundesministerin aus reinen Gewissensgründen.
Karlsruher Siege und der Wiederaufstieg
Was ihren politischen Gegnern in den eigenen Reihen ein willkommener Abgang war, bestätigte für ihre Anhänger die Integrität und das politische Profil der Ex-Ministerin – ein Profil, das ihrer Partei verloren zu gehen drohte. Trotz der Enttäuschung hielt sie ihr jedoch die Treue – vielleicht auch aus Mangel an Alternativen: "Es gibt keine andere liberale Partei. Ich jedenfalls finde keine."
In den folgenden Jahren wird es etwas ruhiger um Leutheusser-Schnarrenberger, die zwischenzeitlich zur Vorsitzenden des bayerischen Landesverbandes, zur stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden, zur rechtspolitischen Sprecherin und zum Mitglied der parlamentarischen Versammlung des Europarates berufen wird.
Politisch kämpft sie gegen die "Haiderisierung" der FDP an, wettert gegen Möllemanns rechte Tendenzen ebenso wie gegen Westerwelles neoliberalen Kurs und macht sich ganz allgemein für eine Rückbesinnung auf die Rolle als freiheitliche Bürgerrechtspartei stark.
Eine gewisse Genugtuung erhält sie 2004, als das Bundesverfassungsgericht der (u.a.) von ihr geführten Beschwerde gegen den "großen Lauschangriff" stattgibt und die 1998 eingeführten Befugnisse in weiten Teilen als verfassungswidrig erklärt. Die Geschichte wiederholt sich, als Leutheusser-Schnarrenberger 2007 erneut und diesmal mit Blick auf das Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung nach Karlsruhe zieht, wo die Richter 2010 ein weiteres Mal in ihrem Sinne entscheiden.
Neues (altes) Amt: Das verkörperte schlechte Gewissen
Als es so weit ist, sitzt Leutheusser-Schnarrenberger jedoch gewissermaßen zwischen den Stühlen: Seit dem überwältigenden Wahlerfolg der FDP 2009 und der erneuten Bildung einer schwarz-gelben Koalition findet sie sich, 13 Jahre nach ihrem Rücktritt, erneut im Amt der Justizministerin wieder – und ist damit zumindest formell zur Verteidigung jenes Gesetzes berufen, dem sie 2007 den Kampf angesagt hat.
Die zweite Amtszeit, die bis heute andauert, bringt erwartungsgemäß viele der gleichen Probleme mit sich, die die Ministerin bereits im vergangenen Jahrtausend plagten: Ihre linksliberale Haltung verträgt sich kaum mit dem Kurs der CDU, und auch eine Rückendeckung durch die erstarkte FDP ist ihr nicht in allen Fragen sicher.
Doch sie hat längst gelernt, mit Kompromissen zu leben: Den Bankdatenaustausch mit den Amerikanern beim Swift-Verfahren konnte sie nicht verhindern, auch bei der Verlängerung der Anti-Terror-Gesetze musste sie Innenminister Friedrich weit entgegenkommen. Dafür konnte sie sich bei der Frage nach Internetsperren gegen Ursula von der Leyen durchsetzen, und eine Vorratsdatenspeicherung wird es zumindest nicht in der sehr weitgehenden Form von 2007 geben.
So wird die Frau mit dem unbequemen Nachnamen auch in Zukunft unbequeme Positionen vertreten und ihrer Rolle als verkörpertes schlechtes Gewissen der freiheitlichen Republik gerecht werden, immer getreu ihrem Motto: "So wenig Staat wie denkbar, so viel Freiheit und Selbstverantwortung der Bürger wie möglich."
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Constantin Baron van Lijnden, Leutheusser-Schnarrenberger zum 60.: . In: Legal Tribune Online, 26.07.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/3855 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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