Mit einem Urteil zur bayerischen Braukunst aus dem Jahr 1893 fand der Ekel seinen Platz in der deutschen Rechtswissenschaft. Als Ausdruck für tiefe Abscheu reicht "Ekel" aber weit darüber hinaus – bis in die Innereien der Staatslehre.
Das Urteil des Landgerichts (LG) Nürnberg mag bis heute geeignet sein, den Leuten das Biertrinken madig zu machen: Ein Brauer hatte 70 Hektoliter (7.000 Liter) seines Produkts verkauft, obwohl er wusste, dass bei der Herstellung "eine in die Maischpfanne gefallene Katze oder ein anderes Tier von ähnlicher Größe mitgesotten" worden war. Am chemischen Aufschluss des Getreides hatte also ein nicht ganz kleiner Kadaver teilgenommen.
Das Reichsgericht (RG) entschied mit Urteil vom 30. Januar 1893 über die Revision der Staatsanwaltschaft.
Zu prüfen war, ob sich der Brauer damit nach § 10 Nr. 2 des "Gesetzes, betreffend den Verkehr mit Nahrungsmitteln und Gebrauchsgegenständen" vom 14. Mai 1879 strafbar gemacht hatte. Die Vorschrift bedrohte mit Gefängnis bis zu sechs Monaten oder Geldstrafe bis zu 1.500 Mark "wer wissentlich Nahrungs- oder Genußmittel, welche verdorben oder nachgemacht oder verfälscht sind, unter Verschweigung dieses Umstands verkauft oder unter einer zur Täuschung geeigneten Bezeichnung feilhält".
Das Landgericht hatte den Brauer auf der Grundlage eines Gutachtens freigesprochen, in dem der Sachverständige einerseits zwar festgestellt hatte, dass "die fleischlichen Bestandteile des Tieres in der Maische fast vollständig verkocht seien". Die "fleischlichen Bestandteile", die das verkaufte Produkt aufgewiesen habe, seien von "so minimaler Art", dass "in keinem Falle von Verdorbensein des Bieres gesprochen werden könne".
Jedoch hatte der Gutachter nicht erklärt, dass durch den Herstellungsprozess die Überreste der Katze gänzlich aus dem Bier entfernt worden seien.
Das Reichsgericht stellte daher fest, dass es für das juristische Urteil, ob ein Lebensmittel "verdorben" sei, nicht allein auf die chemisch-biologische Verschlechterung durch die Zersetzung ankomme, sondern es genügen könne, dass sein Genuss nach allgemeiner Anschauung Ekel erregt. Jedenfalls hätte der Brauer den Verbraucher aufklären müssen, dass sein Bier auch Katze enthielt (RG, Urt. v. 14.05.1893, Az. 4024/92, RGSt 23, 409–414).
Lebensmittelrechtlicher Ekel bleibt nicht allein
Ein Lebensmittel war damit als "verdorben" zu behandeln, wenn es Ekel oder Widerwillen auszulösen geeignet war. Verkauft werden durfte es aber noch mit dem entsprechenden Hinweis. Als zwingend vom Verbrauch auszuschließen galt es aber erst, wenn es etwa durch Krankheitskeime oder erhebliche Verschmutzungen bedenklich wurde.
In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) wurde an diesen Unterschied beispielsweise noch einmal in einem Urteil vom 26. November 1963 erinnert, das einen Milcherzeuger betraf – einer seiner Mitarbeiter schied chronisch Typhuserreger aus (Az. 1 StR 367/63).
Seither sind strafrechtliche Erörterungen zu Lebensmitteln, die Ekel erregen könnten, seltener geworden. Grund wird sein, dass der Lebensmittelhandel seit den 1960er Jahren immer großräumiger, sogar europäisch organisiert wurde. Hersteller und Händler müssen angesichts der damit bewirkten Konkurrenz penibel darauf achten, dass beim Publikum nicht der Eindruck entsteht, sie würden ihren Wissensvorsprung zu Produkteigenschaften auf Kosten des Verbrauchers ausnutzen. Niemand mag es gern so weit kommen lassen, dass vor Gericht der Ekel quantifiziert werden müsste.
Ein weniger leicht greifbares Feld des justizrelevanten Ekels betrifft die Abscheu vor Menschen. Hier reicht das Spektrum von der Feststellung des Reichsgerichts, dass einer Ehegattin nicht zugemutet werden könne, sich den "physischen und moralischen Ekel" anzutun, der vom Zusammenleben mit ihrem alkoholkranken Mann ausgeht (RG, Urt. v. 01.11.1892, Az. II 198/92) bis zum Bundeswehroffizier, der alsbald "Reue, Scham und Ekel" vor seinem Verhalten empfunden haben wollte, nachdem er mit der Gattin eines seiner Kameraden geschlafen hatte (Bundesdisziplinarhof, Urt. v. 15.11.1962, Az. WD 68/62). Auch deutete der Bundesdisziplinarhof an, es sei nachvollziehbar, wenn ein Soldat seinen Vorgesetzten nach homosexuellen Übergriffen aus Ekel nicht länger dienstlich grüße (Urt. v. 28.01.1960, Az. 39/59).
Wann ekelt sich ein Mensch überhaupt?
Die Frage, wann eine Abneigung oder Abscheu so ausgeprägt ist, dass man sie als "Ekel" bezeichnen sollte, wurde lange Zeit tendenziell restriktiv beantwortet. Beispielsweise definiert der "Brockhaus" im Jahr 1901 noch: "Ekel (nausea), derjenige höhere Grad des Widerwillens (der Abneigung oder Antipathie), der sich mit der körperlichen Empfindung von Übelsein und beginnender Brechneigung verbindet."
Was nicht physischen Brechreiz auslöst, ähnlich der Seekrankheit, von der auch der medizinische Ausdruck rührt – "nausea", vom griechischen "naus", dem Schiff – verdiente damit im Zweifel noch nicht die Bezeichnung "Ekel".
Die semantische Verbindung von "Ekel" mit dem nicht oder nur schwer zu unterdrückenden Brechreiz wurde insbesondere in Fällen relevant, in denen der Versuch einer Vergewaltigung abgebrochen wurde. Ein BGH-Urteil zitiert die Vorinstanz:
"Das beabsichtigte Verbrechen ist nicht zur Vollendung gekommen, weil die Zeugin vor Angst in den Wagen uriniert hatte. Der Angeklagte hat vermutlich deshalb von ihr abgelassen, weil er aus physischen Ekel beim Wasserlassen durch die Zeugin die Lust verloren hatte."
Nach älterem Recht blieb der Rücktritt vom Versuch dann straflos, wenn der Täter "die Ausführung der beabsichtigten Handlung aufgegeben hat, ohne daß er an dieser Ausführung durch Umstände gehindert worden ist, welche von seinem Willen unabhängig waren" (§ 46 Nr. 1 Strafgesetzbuch [StGB] a.F.).
Auf seinen Ekel vor der körperlichen Reaktion des – potenziellen – Tatopfers, das in seiner Notlage Kot oder Urin ausschied, hatte der Täter idealtypisch keinen Einfluss. Daher konnte es bei der vollen Strafwürdigkeit bleiben (vgl. BGH, Urt. v. 18.07.1961, Az. 1 StR 247/61 & Urt. v. 14.04.1967, Az. 5 StR 118/67).
Wovor ekelt sich ein Mensch überhaupt?
Schwer zu greifen ist auch, wovor sich Menschen ekeln. Zunächst lässt sich zwar sagen, dass Ekel im Zweifel durch den Magen geht, das physische Dasein betrifft. So erklärt die an der Universität Duisburg-Essen lehrende Kulturwissenschaftlerin Andrea Pontzen:
"Ekel gilt als Elementaremotion; aus entwicklungsbiologischer Sicht übernimmt er eine Schutzfunktion gegenüber allem, was die körperliche Unversehrtheit gefährden könnte: verdorbene Nahrung, schlechte Dünste, Aas und Tiere, die als Krankheitsüberträger gelten könnten."
Jedoch erläutert Pontzen weiter, dass dieses Gefühl in den menschlichen Kulturen "mit unterschiedlichen Gegenständen und Erfahrungen verbunden" sei, sodass sich "kaum universelle Ekelerreger ausmachen" ließen.
Einerseits steht der Befund: Auch ohne physische Anwesenheit, vergeistigt also, kann schon die "bloße Vorstellung, mit Fäkalien, toten Tieren, Kadavern oder Körperflüssigkeiten wie Eiter, Schweiß, Blut und Sperma in Berührung zu kommen" das Gefühl von Ekel wecken. Andererseits führt Pontzen unter anderem Beispiele aus der modernen Lyrik an, die jedenfalls formal recht schön gefasste Beschreibung von Leichen und Verwesung in Gedichten von Charles Baudelaire (1821–1867, "Une Charogne") oder von Gottfried Benn (1886–1956, "Mann und Frau gehen durch die Krebsbaracke").
Die introspektive Selbstprüfung ergibt: Im Zivildienst geholfen zu haben, wie einer alten, psychisch kranken Frau ein gefühlter Deziliter Eiter aus ihren verletzten Kniegelenken gesaugt wird, löste keinen Ekel aus; einen zugesagten Text nicht angemessen fertig zu bekommen, kann Selbstekel bis zur völligen Selbstblockade auslösen.
Kulturwissenschaft trifft Staatslehre in einem Ekelproblem
Trotz der damit wohl einigermaßen beliebigen Gegenstände, vor denen sich Menschen ekeln könnten, hat die Kulturwissenschaft einen Bereich ausgemacht – und der könnte sogar für den juristischen Hausgebrauch etwas erklären helfen. Natürlich, wie könnte es anders sein, geht es um die Geschlechterverhältnisse.
In seinem sehr einflussreichen Werk "Männerphantasien" (1977/78) hat der Kulturtheoretiker Klaus Theweleit (1942–) insbesondere aus der Analyse von Freikorps-Literatur der 1920er Jahre eine Selbstauffassung von Männern am Beginn des 20. Jahrhunderts extrahiert, die sich durch Vorstellungen von physischer wie seelischer Härte, Glätte, Sauberkeit auszeichnete, verkörpert durch den Typus des "Soldatischen".
Damit einher ging die bis zum Ekel gesteigerte Abneigung gegen Menschen und soziale Verhältnisse, die als weich, vermischt, feucht und schmutzig betrachtet wurden. Das betraf neben Frauen – soweit sie sich nicht zu Müttern oder Heiligen stilisieren ließen – auch Juden, die Demokratie und die moderne Gesellschaft. Der Soziologe Nicolaus Sombart (1923–2008) hat diese Denkungsart auch beim Staatsrechtslehrer Carl Schmitt (1888–1985) ausgemacht.
Weil wir seit Jahrzehnten in einer Gesellschaft leben, die mit dieser Sorte schrecklichster Gewalt gegen sich selbst und gegen andere Menschen nur wenig anfangen kann, ist einerseits das Klagelied des Gegenwartsfeminismus etwas seltsam, der ohne Unterlass die Herrschaft des Patriarchats beenden will. Vom historischen Horror dieses "soldatischen" Ekels vor einer "weiblich gelesenen" Moderne hat er sichtlich keine Ahnung.
Bundesrepublik Deutschland als Weibsperson verstanden
Andererseits sind abflauende Reste nicht zu leugnen. Im Vollbild zeigte sich das noch im Urteil des BGH vom 22. Mai 1959 (Az. 1 StE 3/58) in der Strafsache gegen den rechtsextremen Verleger Robert Kremer, der "wegen Herstellung und Verbreitung verfassungsfeindlicher Schriften in Tateinheit mit Beschimpfung der Bundesrepublik, und ihrer verfassungsmäßigen Ordnung sowie mit Beleidigung und Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener" zu zwei Jahren Gefängnis und fünfjährigem Berufsverbot verurteilt wurde.
Kremer ließ nichts aus, was seinen erklärten Ekel vor dem modernen Deutschland anging: "Unrecht im Rechtsstaat", "Pseudo-Demokratie", "Raubstaat", die Bundesrepublik als "Kolonialstaat" oder "diktatorisches Matriarchat", bevölkert von "Minus-Seelen" und "Wirtschaftswunderparasiten", "Umerziehung des deutschen Volkes", Antisemitismus und überhaupt der "Huren- und Kaschemmenbetrieb" trotz "'christlicher' Staatsleitung".
In schon sehr verdünnter Form findet sich die Berufung auf einen solchen Ekel vor der modernen, liberalen Gesellschaft noch später (z. B. Bundesverwaltungsgericht, Urt. v. 20.05.1983, Az. 2 WD 11/82).
Angesichts der mehr als 100 Jahre alten Tradition, die westliche, liberale Lebens- und Denkungsart als weiblich, jüdisch, bequem, weich, unsoldatisch und in der Summe als ekelhaft zu empfinden – oder diese Empfindung jedenfalls zu behaupten –, musste es nicht wundern, dass die NPD ihre Besorgnis der Befangenheit gegen Peter Müller (1955–), Richter des Bundesverfassungsgerichts, damit begründete, er habe einige Jahre zuvor seinerseits das Gedankengut dieser Partei als "ekelerregend" bezeichnet.
Der Beschluss zur Befangenheit von Richter Müller dokumentiert damit auch eine feine juristische Ironie: Es sahen sich die rechtsextremen Herrschaften um das angemaßte Privileg gebracht, Menschen oder ihre Denkungsart als ekelhaft zu bezeichnen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 23.06.2021, Az. 2 BvB 1/19).
Hinweise: Zum Lemma "Ekel" trug Andrea Pontzen bei in: "EGB. Emotionales Gesetzbuch. Dekalog der Gefühle". Hg. von Rainer Maria Kiesow & Martin Korte. Köln u.a. (Böhlau) 2005. Nicolaus Sombart: "Die deutschen Männer und ihre Feinde. Carl Schmitt – ein deutsches Schicksal zwischen Männerbund und Matriarchatsmythos". München & Wien (Hanser) 1991.
Ekel für Juristen: . In: Legal Tribune Online, 22.10.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/52970 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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