Eine Diskussion, wie der "Übergewinn" von Kriegsprofiteuren abzuschöpfen sei, wurde in Berlin schon einmal geführt – vor über 100 Jahren. Und auch die kriegsbedingte Nahrungskonkurrenz von Tier und Mensch ist auf der Tagesordnung nicht neu.
Ein auf den ersten Blick unschuldiger Vorgang aus der deutschen Pferdewirtschaft erregte den juristischen Scharfsinn eines pensionierten Richters: Weil ein Hofbesitzer seine Fohlen auf der Weide mit wenigen Stücken Brot angelockt hatte, war er zu einer Geldstrafe verurteilt worden.
Damit hatte der Pferdehalter nach Ansicht des Oberlandesgerichts gegen das Verbot verstoßen, Brot an Tiere zu verfüttern. Das Gericht wollte dabei unter dem "Verfüttern" jede "Hergabe von Brot an Tiere" verstehen, "das zur menschlichen Nahrung geeignet ist".
An dieser Auslegung nahm der pensionierte Richter nun Anstoß. Denn es könne nicht jede "Darreichung eines Futtermittels an Tiere" als ein "Verfüttern" angesehen werden, die "in der Absicht und der Wirkung" geschehe, dass es vom Tier verzehrt werde, "sondern nur eine zum Zweck der Ernährung des Tieres" vorgenommene Darreichung.
Bei dieser Zwecksetzung wiederum komme es auf "das Quantum des verabreichten Futterstoffes" an. Um als strafwürdiges "Verfüttern" zu gelten, müsse die Menge Brot zwar nicht die Ernährung des Pferdes decken, aber doch einen wesentlichen Beitrag zu ihr leisten. Einige Scheiben Brot als Lockmittel oder Belohnung für das Tier zu verwenden, genüge jedenfalls nicht.
Überbordende Gesetzgebung zu Getreide und Brot
Diese altmeisterlichen Ansichten zur korrekten Auslegung des Begriffs "Verfüttern" veröffentlichte Emil Thomsen, Geheimer Justizrat und Landgerichtsrat a.D. aus Altona bei Hamburg, in der ersten Frühjahrsausgabe der "Deutschen Juristen-Zeitung" des Jahres 1916, mitten im Ersten Weltkrieg.
Neben patriotischen Albernheiten – Redakteur Otto Liebmann (1865–1942) teilte beispielsweise mit, dass man die Auswertung eines englischen Fachblattes eingestellt habe, das ohnehin wertlos sei und neuerdings keine deutschen Beiträge mehr aufnehme, des Weiteren werde ein Ausschluss des politisch unzuverlässigen Kollegen Karl Liebknecht (1871–1919) aus der Anwaltschaft angeregt – enthielt diese juristische Monatsschrift viele Beiträge, die sich im Detail der juristischen Bearbeitung des Krieges widmeten.
Das reichte vom fortgesetzten Streit um die Frage, mit wie viel Recht die deutsche Invasion zwei Jahre zuvor die Neutralität Belgiens verletzt hatte, bis zur Frage, ob Männern medizinische Eingriffe zur Steigerung ihrer Militärtauglichkeit befohlen werden könnten – viele Herren, "namentlich der gebildeten Stände", hätten sich bereits zu kleineren Operationen bequemt.
Eine Diskussion dazu, ob das Füttern von Fohlen mit anderthalb Scheiben Brot verboten sei, verletzte im Frühjahr 1916 noch nicht das sittliche Feingefühl des deutschen Juristen. Das mochte wenig später bereits anders aussehen, denn mit dem folgenden, dem sogenannten "Steckrübenwinter" 1916/17 sollten Mangelernährung, wenn nicht Hunger, auch die "gebildeten Stände" berühren.
Gleichwohl nahm die kriegsökonomische Brot- und Getreidebewirtschaftung, zu der auch Thomses Fohlen-Fall zählte, schon in den ersten Kriegsmonaten ihren Anfang. Der Bundesrat hatte früh, durch "Bekanntmachung über das Verfüttern von Brotgetreide und Mehl" vom 28. Oktober 1914, unter anderem das "Verfüttern von mahlfähigem Roggen und Weizen, auch geschrotet, sowie von Roggen und Weizenmehl, das zur Brotbereitung geeignet ist", verboten. Als höchste Geldstrafe waren zwar beachtliche, im Vergleich zum Justizterror des Zweiten Weltkriegs, aber menschenfreundliche 1.500 Mark vorgesehen.
Bis zum Ende des Krieges und darüber hinaus wucherten die juristischen Versuche, die menschliche Ernährung mit dem Gesetzblatt zu sichern, in eine ebenso bizarr wie hilflos anmutende Detailfreude aus. Ihre Krönung – die Reichsgetreideordnung für die Ernte 1919 – enthielt teils fein untergliederte 82 Paragraphen zur Beschlagnahme wie zur staatlichen Bewirtschaftung von Brotgetreide, Hülsenfrüchten oder auch Buchweizen.
Um die Landwirte zur pflichtgemäßen Ablieferung dieser Erzeugnisse zu motivieren, wurden die Vergütungen unter dem staatlichen Regime zwar nachträglich erhöht, allerdings ohne die Höchstpreise anzupassen, zu denen die Gemeinden Mehl abgeben durften. Deren Liquidität fiel daher so schlecht aus, dass die Bauern das Brotgetreide in erheblichem Ausmaß heimlich an Tiere verfütterten. Bis zu 800.000 Menschen starben in Deutschland zwischen 1914 und 1918 allein an Hunger.
Warum Steuermittel auch für Lebensmittelsubventionen fehlten
Der Satz aus der "Dreigroschenoper", wonach erst das Fressen kommt und dann die Moral, führt in die Irre. Denn wer bis zum Hungern arm ist, hat immerhin das moralische Bedürfnis nach gerechter Verteilung von Lasten, vor allem, wenn er in Gesellschaft mit besser versorgten Landsleuten lebt. Doch diese "vox populi" irritierte die "gebildeten Stände" seinerzeit bis in die Zeilen der steuerrechtlichen Fachliteratur.
In ihrem Kommentar zum Kriegsteuergesetz vom 21. Juni 1916 setzten sich beispielsweise Artur Norden (1870–1944), ein der Reichsbank in PR-Anliegen verbundener Wirtschaftsjournalist, und Martin Friedlaender (1880–unbek.), ein hochkarätiger Wirtschaftsjurist und pseudonymer Mitarbeiter der berühmten "Weltbühne", auch mit der politischen Vorgeschichte der Gesetze auseinander – dem Kriegsteuergesetz (Kriegsgewinnsteuer) und dem Kriegsgewinn-Rücklagengesetz der Jahre 1915 und 1916.
In der Öffentlichkeit populär sei, so Norden und Friedlaender, die Idee einer echten Besteuerung der durch den Krieg erzielten geschäftlichen Vorteile, "weil man die Beobachtung machte, daß einzelne Lieferanten und Vermittler für Heeres- und Marinebedarf außerordentlich hohe Gewinne erzielten, und weil es nur gerecht erschien, einen Teil der dem Reiche zur Last gefallenen, in manchen Fällen unverhältnismäßig großen Ausgaben, dem Reiche wieder zuzuführen".
Doch damit sei das problematische Begehren nach einem Abschöpfen unternehmerischer Vorteile noch nicht am Ende gewesen, "denn der Kreis derer, denen die Kriegsverhältnisse einen erhöhten Gewinn ermöglicht haben, erstreckt sich auf alle Personen und Betriebe, die aus den durch den Krieg beeinflußten besonderen Verhältnissen der volkswirtschaftlichen Gütererzeugung und des Güterumsatzes unmittelbar oder unmittelbar einen Nutzen ziehen".
Schließlich sei noch der politische Wunsch laut geworden, "eine etwaige wucherische Ausbeutung der Bevölkerung (durch Preistreibereien bei Konsumartikeln)" als sogenannte unreelle Kriegsgewinne "ganz besonders scharf anzupacken".
Finanzbeamte sollten nicht überfordert werden
Der Gesetzgeber folgte aber, so Norden und Friedlaender, diesen "ursprünglichen Volksabsichten" aus Vernunftgründen nicht – denn es sei "nicht einwandfrei zu unterscheiden" gewesen, welche Gewinne oder Vermögenszuwächse auf dem Krieg beruhten.
Von der Forderung, bestimmte Konsum- oder Kriegsgüterlieferanten einer besonderen Besteuerung zu unterwerfen – was in jüngerer Zeit als "Übergewinn"-Steuer für die Energiewirtschaft diskutiert wurde – blieb 1915/16 nur eine allgemeine Besteuerung auf Vermögenszuwächse bzw. auf den Vermögenserhalt übrig, wobei der Kriegsbeginn im August 1914 immerhin bei der Bemessung eine zentrale Rolle spielte.
Besteuert wurde "1 % des Betrages, um den am 31. Dezember 1916 das Vermögen über 90 % des am 31. Dezember 1913 vorhanden gewesenen Vermögens hinausgeht". In einer Beispielrechnung:
"Wer 360.000 Mark am 31. Dezember 1913 besessen hat und 340.000 Mark am 31. Dezember 1916 sein Eigen nennt, bei dem beträgt der steuerpflichtige Vermögensanteil 16.000 Mark und der Steuerbetrag 160 Mark. Wer vor dem Kriege 100.000 Mark Vermögen gehabt hat und nach dem Kriege 180.000 Mark besitzt, der muß auf 80.000 Mark Vermögensmehrung die hohe Zuwachsabgabe (14.500 Mark) zahlen und auf das nach Abzug von 80.000 Mark verbleibende Vermögen 100 Mark, nämlich 1 % auf den über 90.000 Mark hinausgehenden Betrag."
Vermögen unter 20.000 Mark blieben von der Zuwachssteuer befreit, Abgaben unter zehn Mark sollten nicht erhoben werden.
Die Bundesfürsten wurden zur Besitzsteuer nicht herangezogen, boten aber an, die Steuer freiwillig, in einem gesonderten Verfahren, zu leisten. Finanzbeamte sollten also nicht in die peinliche Situation kommen, die Vermögenswerte ihres Landesherrn taxieren zu müssen.
Niedrige Steuerlast, komplexes Kriegsteuerrecht mit Konsequenzen
Intellektuell gefordert blieb die Steuerverwaltung jedoch in der Umsetzung des Kriegsteuergesetzes, beispielsweise in der Würdigung von Aufwendungen auf einen Grundstückserwerb oder andere das Vermögen sichernde Kosten.
Damit stand der Werkzeugkasten für Steuergestaltungsmöglichkeiten grundsätzlich offen. Soweit er nicht genutzt wurde, beruhte das seinerzeit auf einem noch unzureichenden Stand der steuerberatenden Berufe.
Für die Steuerpflichtigen – 20.000 Mark entsprechen zwar nur rund 330.000 Euro, waren aber seinerzeit ein sehr beachtliches Vermögen – blieb die Belastung damit gering. Für einen groben Vergleich: Als 1952 ein echter Lastenausgleich geregelt wurde, lag die Abgabe auf Vermögen bei 50 Prozent des Wertes von 1948, in kleinen Raten über bis zu 30 Jahre abzuzahlen.
Der Erste Weltkrieg – der erste Krieg, den Deutschland im Stand einer relativ modernen Staats- und liberalen Wirtschaftsordnung führte – wurde daher im Wesentlichen nicht aus Steuermitteln, sondern durch Staatsanleihen finanziert.
Es lässt sich zwar darüber streiten, wie weit die Art der Kriegsfinanzierung die öffentliche Meinung beeinflusst. Dass aber Anleihen dabei eher zu Illusionen führen als Steuern, ist eine plausible Überlegung – auch in der Gegenwart.
Bleibt zu hoffen, dass bei den aktuellen, durchaus kriegsökonomischen Überlegungen zur Verteilung von tierischen Futter- und menschlichen Nahrungsmitteln wenigstens nicht wieder Richter über die Fohlen auf der grünen Wiese nachdenken müssen.
Nahrungsmittel- und Steuerrecht im vorletzten Krieg: . In: Legal Tribune Online, 14.05.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/48444 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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