Karl Larenz: "Rechts­ge­nosse ist nur, wer Volks­ge­nosse ist"

Karl Larenz gehört zu den bekanntesten und bedeutendsten deutschen Juristen des letzten Jahrhunderts. Die Geschichte des hiesigen Privatrechts vor und nach 1945 wurde maßgeblich von ihm mitgeschrieben, seine Lehrbücher zum BGB haben Generationen von Jurastudenten begleitet. Umstritten ist seine Rolle als Rechtslehrer im Dritten Reich. Larenz starb am 24. Januar 1993.

Der Sohn eines Senatspräsidenten am Preußischen Oberverwaltungsgericht in Berlin wurde am 23. April 1903 in Wesel am Rhein geboren. Nach dem Abitur in Berlin begann Larenz im Wintersemester 1921/22 Rechtswissenschaften, Volkswirtschaft und Geschichte zu studieren.

Es folgten Studienzeiten in Marburg, München und Göttingen. Von großer Bedeutung war dabei sein Wechsel nach Göttingen, hier lernte er den Rechtsphilosophen Julius Binder kennen. Binder machte den aus seiner Sicht "überdurchschnittlich begabten" Jungjuristen mit dem Werk Hegels bekannt. Nicht zufällig wählte Karl Larenz daher sein Dissertationsthema: "Hegels Zurechnungslehre und der Begriff der objektiven Zurechnung". Die Auseinandersetzung mit Hegels Rechtsphilosophie nahm in Larenz' Publikationen eine zentrale Rolle ein, vor allem in der Zeit vor 1945.

Die "Kieler Schule"

Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten begann an deutschen Hochschulen 1933 auch das Aussieben unter den Hochschullehrern der Rechtswissenschaften. Dabei wurden bewusst nicht alle Universitäten gleichmäßig mit regimetreuen Kräften ausgestattet. Vielmehr gestalteten die Nationalsozialisten gezielt und konsequent die juristischen Fakultäten in Kiel, Breslau und Königsberg um.

Folglich wurde angehenden Jurastudenten durch ministeriellen Hinweis empfohlen, diese "als politischer Stoßtrupp" ausersehenen juristischen Ausbildungsstätten zu bevorzugen. Vor allem die Kieler Fakultät sollte nach den Plänen des Regimes zu einer "Pflanzschule" für junge, dem Regime bedingungslos ergebener Rechtslehrer werden. Allgemein wird hierbei von der "Kieler Schule" gesprochen.  

Dorthin zog es Karl Larenz bereits im Sommersemester 1933, wo er zunächst den Lehrstuhl des beurlaubten Rechtsphilosophen Gerhart Husserl übernahm. Seit dem Wintersemester 1933/34 war der Neuling in Kiel Ordinarius für Bürgerliches Recht und Rechtsphilosophie.

In den Jahren 1933 bis 1935 trat die "Kieler Schule" unter maßgeblicher Anleitung von  Larenz als erfolgreiche Strömung innerhalb der nationalsozialistischen Rechtswissenschaft hervor, was sich unter anderem in der Durchsetzung einer neuen juristischen Studienordnung im Januar 1935 manifestierte, gegen starken Widerstand von verschiedensten Seiten. Die Studienordnung orientierte sich nicht mehr anhand der gesetzlichen Grundlagen, sondern an "tatsächlichen Lebensbereichen" wie "Ware und Geld" und "Familie und Familienerbe". Das Wort "Recht" wurde dabei tunlichst vermieden. An die Stelle der liberalen Leitprinzipien des BGB trat die Vermittlung der "völkischen Lebensordnung".

"Vertrag und Unrecht"

In den Jahren 1936 und 1937 erschien Larenz' erstes größeres Werk zum Schuldrecht: "Vertrag und Unrecht". Es lässt erkennen, mit welcher Souveränität er zum einen den Stoff beherrschte und er es zum anderen verstand, ohne erkennbaren systematischen Bruch dem Bürgerlichen Recht grundsätzliche Modifikationen einzufügen, um dadurch die liberale Grundtendenz des Gesetzes in ihr Gegenteil zu verkehren. Ausgangspunkt und verbindendes geistiges Element seiner Neukonzeption war der Gemeinschaftsgedanke als neuer bestimmender Leitgedanke des Privatrechts.

Besonders in den Beratungen der "Akademie für Deutsches Recht" für eine Neukodifikation des Privatrechts, dem so genannten Volksgesetzbuch, zeigt sich, dass Larenz gezielt machtpolitische und volkswirtschaftliche Argumente zur Begründung seiner Positionen einsetzte. Mehrfach hob er hervor, dass sich die Rechtsentwicklung nicht allein auf die richterliche Auslegung der Generalklauseln stützen könne, sondern dass zuvor konkrete Leitlinien entwickelt werden müssten. "Darüber, was dem deutschen Volke nützlich oder schädlich ist", so der Rechtslehrer, "entscheidet in der Regel nicht der Richter, sondern die Volks- und Staatsführung."

Larenz befürwortete die umfassende Einflussnahme der Staatsführung auf privatrechtliche Vereinbarungen. Bezeichnend in diesem Sinne ist seine Neudefinition der Rechtsfähigkeit: "Rechtsgenosse ist nur, wer Volksgenosse ist; Volksgenosse ist, wer deutschen Blutes ist. Dieser Satz könnte an Stelle des die Rechtsfähigkeit 'jedes Menschen' aussprechenden § 1 BGB an die Spitze unserer Rechtsordnung gestellt werden."

Auf diese Weise verschaffte er dem Programm der Nationalsozialisten eine Grundlage im Recht, die nun alles vermeintlich "Undeutsche" aus dem Recht als solchem aussonderte.

Reaktivierung und Ruf nach München

Larenz blieb als einziger Vertreter der "Kieler Schule" bis zum Ende des Dritten Reiches an der dortigen Fakultät im Dienst. Er gehörte auch wieder zu den Rechtslehrern, die ab dem Wintersemester 1945/46 in Ermangelung anderer Unterrichtsmöglichkeiten die ersten Nachkriegsvorlesungen an Bord dreier im Kieler Hafen liegender Schiffe aufnahmen. Vor dem Sommersemester 1947 wurde Larenz schließlich von der britischen Militärregierung aufgrund seiner nationalsozialistischen Vergangenheit in den dauernden Ruhestand versetzt.

Drei Jahre später erfolgte seine Reaktivierung als Rechtslehrer an der Universität Kiel. Der Grund lag schlichtweg darin, dass das Angebot "unbelasteter" und gleichzeitig qualifizierter Rechtswissenschaftler für den Aufbau der bundesrepublikanischen Justiz viel zu gering war, weshalb rasch immer mehr ehemalige und teils engagierte NSDAP-Mitglieder wie Larenz in den Justizdienst zurückkehrten. In den folgenden Jahren festigten seine Lehrbücher zum Bürgerlichen Recht und zur Methodenlehre seinen Ruf als bedeutenden Schuldrechtsdogmatiker, von ihm stammt auch die Figur der teleologischen Reduktion.

Karl Larenz lehrte noch ein Jahrzehnt in Kiel, bis er 1960 einem Ruf an die Universität München folgte. Auch nach seiner Emeritierung im Jahr 1971 behielt der Rechtslehrer seinen Wohnsitz in der bayerischen Landeshauptstadt, wo Karl Larenz am 24. Januar 1993 im Alter von 89 Jahren verstarb.

Der Autor Jürgen Seul lebt als freier Publizist und Redakteur in Bad Neuenahr-Ahrweiler. Er verfasste zahlreiche Publikationen u. a. zum Architektenrecht, Arbeitsrecht sowie zu rechtshistorischen Themen.

 

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Zitiervorschlag

Jürgen Seul, Karl Larenz: . In: Legal Tribune Online, 24.01.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/5386 (abgerufen am: 22.11.2024 )

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