50 Jahre Miranda-Formel: "Sie haben das Recht zu schweigen..."

von Martin Rath

12.06.2016

2/2: Verbreitung durch US-Krimis in Deutschland

Populär wurde die Miranda-Warnung seit den 1970er Jahren durch die weite Verbreitung von Krimis aus der US-Serienproduktion. Vergleichbar bekannte Institute aus heimischer Rechtsproduktion gibt es nicht. Selbst das berühmte Jedermanns-Festnahmerecht nach § 127 Absatz 1 StPO dürfte gegen das "Recht auf einen Anwalt – ohne meinen Anwalt sage ich nichts" kaum ankommen, ist es ja auch bestenfalls für mannhaft mutige Online-Kommentarschreiber im Zusammenhang mit Berichten über Nothilfe relevant.

Ein Blick auf den Urheber der wohl bekanntesten Phrase vom "Recht auf einen Anwalt", Chefrichter Warren, mag manches Vorurteil verwirren. In die Zeit Warrens am U.S. Supreme Court fallen so berühmte Entscheidungen wie "Brown v. Board of Education", also die Aufhebung der Rassentrennung im Bereich der öffentlichen Schulen, 1954. Mit zwei Entscheidungen, 1963 und 1964, waren das Recht auf anwaltlichen Beistand und das sogenannte Selbstbelastungsverbot im Ermittlungsverfahren bereits akzentuiert worden.

Bemerkenswert, dass Earl Warren nach einer Karriere als (gewählter) Staatsanwalt und Gouverneur von Kalifornien im Jahr 1953 von Präsident Eisenhower berufen worden war, denn beide hatten ihre politische Laufbahn der republikanischen Partei zu verdanken. Damals standen die USA im Ruf, rechtspolitisch fortschrittlich zu sein.

Natürlich rechnet man derlei heute stets den Kennedy-Brüdern und ähnlichen Lichtgestalten zu. Aber das kennt man in Deutschland ja auch, wo stets eine okkulte Macht namens "die 68er" für libertäre Fortschritte und Verwirrungen haftbar gemacht wird – als ob Strafrechtsreformen, Gleichberechtigungsanliegen und ähnliches mehr nicht schon in der Adenauer-Zeit in der Diskussion gestanden hätten.

Die Leute reden eben gerne

Diesseits ihrer starken Symbolkraft in der jüngeren juristischen Zeitgeschichte haben die Miranda-Formel und ihre Entsprechungen in den anderen westlich-liberalen Rechtsordnungen freilich nur bedingt praktische Bedeutung.

Nicht zufällig stöhnt der kluge deutsche Rechtsanwalt, wenn er von seinem Mandanten erfährt, wie ausführlich dieser im Straf- oder Bußgeldverfahren bereits Angaben gemacht habe. Als notorisch von seiner Unschuld überzeugtes Wesen verzichtet der Mensch, wie die US-Psychologen Saul M. Kassin und Rebecca J. Norwick experimentell ermittelt haben (Zeitschrift Law and Human Behavior 2004, S. 211–221), recht vorbehaltlos auf sein Aussageverweigerungsrecht – ungeachtet der Gefahr, damit weitere Ermittlungsarbeit gegen sich zu befördern.

Trotz der 50 Jahre, in denen die populäre Phrase in den Verstand wohl jedes Mediennutzers hineingeknetet wurde, verzichten nach empirischen Studien in den USA vier von fünf polizeilich Befragte auf ihre Miranda-Rechte, so Kassin und Norwick. Dazu bedarf es nicht einmal der polizeilichen Strategie, durch ein angenehmes Gesprächsklima und "gewaltfreie Kommunikation" Menschen im Verhör zum Sprechen zu bewegen.

Offenbar brauchen Anwälte einen wirklich langen Atem, basale Rechtsgrundsätze an den Mann oder die Frau zu bringen. Wenn dies für die USA gilt, die ja immerhin schon 1776 durch den Verrat von 35 Anwälten und einiger anderer sogenannter Gründerväter an ihrem König ins Leben gerufen wurden, wie soll es da dem deutschen Strafverteidiger in diesem viel länger obrigkeitstreuen Land  besser ergehen?

Der Autor Martin Rath arbeitet als freier Lektor und Journalist in Ohligs.

Zitiervorschlag

Martin Rath, 50 Jahre Miranda-Formel: . In: Legal Tribune Online, 12.06.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/19636 (abgerufen am: 17.11.2024 )

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