Journalisten vor Gericht (Teil 2): Adenauer auf der Flucht, Augstein vor Gericht

von Martin Rath

21.10.2012

1952, gut zehn Jahre vor der berühmten "Spiegel-Affäre", löste der Strafantrag Konrad Adenauers wegen eines Artikels in dem Nachrichtenmagazin einen Prozess wegen Verleumdung aus. Im Hintergrund spielten sich Geheimdienstaffären ab, gegen die Shakespeare-Dramen wie Kindermärchen wirken, meint Martin Rath. Am Ende witzelte der Bundestag aber nur über die Verfahrenskosten.

"Sie können sich ja gar nicht vorstellen, was für einen übertriebenen Familiensinn der Alte hat." – Der "Alte", das war Konrad Adenauer (1876-1967), der mit 73 Jahren zum ersten Bundeskanzler der Republik gewählt worden war. Gesagt haben soll den Satz der – neben dem berühmt-berüchtigten Hans Globke – zeitweise engste Berater des Kanzlers, Herbert Blankenhorn (1904-1991). Und dahinter steckte auch weit mehr als nur ein unfreundliches Urteil über die Charaktereigenschaften des greisen Politikers.

Im Herbst 1948 tagte in der Pädagogischen Akademie zu Bonn der verfassungsgebende Parlamentarische Rat unter dem Vorsitz des CDU-Chefs Adenauer, Blankenhorn arbeitete diesem als Parteiangestellter zu. Ein obskurer Mittelsmann französischer Geheimdienste soll – so berichtete der SPIEGEL am 9. Juli 1952 unter dem Titel "Am Telefon vorsichtig" – bei Adenauer und Blankenhorn vorgesprochen haben: Hans-Konrad Schmeißer (1919-1966, oft auch "Schmeisser").

Adenauers Fluchtpläne als Verleumdungsgegenstand

Herbert Blankenhorn, der später zu einer einflussreichen Größe der deutschen Außenpolitik wurde, soll – so der SPIEGEL-Bericht, der auch im Folgenden aufgegriffen wird – 1948/49 weitreichende Verabredungen mit Hans-Konrad Schmeißer getroffen haben. Dieser hatte sich ihm gegenüber allerdings unter dem Namen René Levacher und als Vertreter der französischen Militärregierung in Deutschland legitimiert, tatsächlich arbeitete er aber für den französischen Geheimdienst Service de Documentacion et Contre-Espionage.

Schmeißer/Levacher versuchte demnach, die Evakuierungspläne führender deutscher Politiker zu organisieren, die im Fall einer Invasion Westeuropas durch sowjetische Truppen das französische Militär verantworten sollte.

Blankenhorn soll seine Bereitschaft erklärt, Adenauer jedoch verlangt haben, im Ernstfall nicht nur sich selbst, sondern seinen rheinischen Clan in Sicherheit zu bringen. Dieser Forderung verschloss sich die französische Seite, die eher an eine Flucht per Militär-Jeep als an einen Omnibus voller Adenauers gedacht hatte.

Zudem machte Blankenhorn seinem vermeintlich französischen Gesprächspartner Schmeißer Papiere aus nicht-öffentlichen Beratungen des Parlamentarischen Rats zugänglich. Pläne eines später bei der Bundeswehr reüssierenden Wehrmachtsveteranen, die ebenfalls die Verteidigung Westeuropas im Fall einer Invasion aus dem Osten thematisierten, sollen in Gegenwart Schmeißers diskutiert worden sein – strittig war, ob der Rhein zu halten oder ob "der Russe" erst an den Pyrenäen zu stoppen sei.

Beginn der SPIEGEL/Schmeißer-Prozesse 1952

Der Lohn für die Nachrichtenbeschaffung bestand nach Angaben Schmeißers in 150 D-Mark, die er Blankenhorn regelmäßig gezahlt habe sowie in Nahrungs- und Genussmitteln aus französischem Bestand. Außerdem sei über eine Finanzierung des ersten Bundestagswahlkampfes der CDU verhandelt worden, durch die Währungsreform waren die Spendeneinnahmen eingebrochen.

Noch bevor das damals noch mittwochs in Hannover erscheinende Nachrichtenmagazin ausgeliefert wurde, stellte Konrad Adenauer am Abend des 8. Juli 1952 unter dem Briefkopf des Bundeskanzlers bei der Staatsanwaltschaft Bonn Strafantrag wegen Verleumdung. Auf Antrag des Ministerialdirektors Globke betrieb die Staatsanwaltschaft zudem die Beschlagnahme der SPIEGEL-Ausgabe vom 9. Juli.

Zuständigkeitshalber wurde die Ermittlung auf Weisung des NRW-Justizministeriums nach Hannover abgegeben. Gegen Blankenhorn ermittelte man wegen des unterstellten Geheimnisverrats in Bonn – das Verfahren stellte die Staatsanwaltschaft aber bald mangels schriftlicher Beweismittel ein.

Gegen den "Kronzeugen" des SPIEGEL, Hans-Konrad Schmeißer, sowie gegen Rudolf Augstein (1923-2002) als verantwortlichen Herausgeber und weitere journalistisch wie geheimdienstlich für den Artikel "Am Telefon vorsichtig" Verantwortliche wurde bis 1955 weiter ermittelt. Die Interessen Blankenhorns und Adenauers vertrat der heute eher als Strafverteidiger gerühmte Bonner Anwalt Hans Dahs (1904-1972), dessen Wirken die Materie wider den Willen fast aller Beteiligten schließlich noch vor den Bundesgerichtshof (BGH) bringen sollte – wegen der Verfahrenskosten.

Einschlägig war die Vorschrift des § 187a, heute § 188 Strafgesetzbuch (StGB), die Beleidigungsdelikte gegen das politische Führungspersonal qualifiziert und für eine üble Nachrede damals wie heute eine Strafe von mindestens drei, für eine  entsprechende Verleumdung von nicht unter sechs Monaten vorsieht. Auch für Schmeißers Tatgenossen Rudolf Augstein ging es also gut zehn Jahre vor der bis heute immer wieder gerne gefeierten "SPIEGEL-Affäre" des Jahres 1962 um die publizistische und – auch angesichts der ausgeuferten Beschlagnahmeaktion – wirtschaftliche Existenz.

Wilde Geheimdienstjahre der jungen Republik

Der 1961 geborene Historiker Herbert Elzer hat erst 2008 in einer ebenso tiefschürfenden wie äußerst komplexen Darstellung, "Die Affäre Schmeisser. Herbert Blankenhorn, der 'Spiegel' und die Umtriebe des französischen Geheimdienstes im Nachkriegsdeutschland (1946-1958)" aufgearbeitet.

Hier finden sich auch Gründe dafür, warum die "Schmeißer"-Affäre von 1952 im Schatten der berühmteren "SPIEGEL-Affäre" von 1962 blieb – und wohl auch bleiben wird, denn sie taugt kaum, sich als journalistisches "Sturmgeschütz der Demokratie" zu feiern.

Denn in den jungen Jahren des "Nachrichtenmagazins" bestanden arg intime Beziehungen zu den Nachrichtendiensten. Nicht allein, wie im Fall Schmeißer, zu jenen der französischen Besatzungsmacht. Die SPIEGEL-Redaktion rekrutierte einiges an Personal und an Geschichten aus dem Bestand der gewesenen NS-Geheimbürokratie: 1949 durfte der Gestapo-Gründer Rudolf Diels (1900-1957) aus dem Nähkästchen der Terrorbehörde erzählen. Im September 1949 startete die längste Serie, die das Magazin jemals brachte: In 30 Folgen wurde das Berufsleben des NS-Verbrechers und Widerstandsverschworenen Arthur Nebe ausgebreitet, die Story schrieb ein Dr. Bernhard Wehner (1909-1995), "Augsteins 'Polizeireporter'" (Lutz Hachmeister), ein früherer Kriminalrat und SS-Hauptsturmführer im Reichssicherheitshauptamt. Mit Horst Mahnke (1913-1985) war ein weiterer vormaliger SS-Hauptsturmführer Redakteur und Ressortleiter des Magazins – ein Mann, der 1941 bis 1943 als Adjutant der "Einsatzgruppe B" in Russland gewirkt hatte. Die Beispiele sind damit nicht erschöpft.

Nachrichtenverifikation in der Grauzone

Um die im Artikel "Am Telefon vorsichtig" kolportierten Äußerungen zu prüfen, übernahm der ältere Bruder des Herausgebers, der Rechtsanwalt Josef Augstein (1909-1984), nicht allein eine juristische Begutachtung. Expertise wurde von Anwalt Augstein auch bei einem gewissen Christian Jürgen Ziebell eingeholt, vor dem Krieg Rechtsanwalt beim Kammergericht, der sich vor 1939 auf Kosten jüdischer Fluchtwilliger bereichert hatte, 1946 aber ausgerechnet bei einer bayerischen Sonderbehörde für NS-Opfer unterkam. Ziebell kannte Schmeißer aus gemeinsamer Arbeit für französische Geheimdienste. Zu den Aufträgen Schmeißers, die Ziebell verifizieren konnte, zählte etwa ein aufwändig organisierter Einbruch in die Bayerische Staatskanzlei im November 1947: Der auftraggebende französische Geheimdienst hatte Interesse an Akten zur Rheinpfalz, dem vormals bayerischen Landesteil des heutigen Rheinland-Pfalz. Bayerische und französische Politiker unterstützten hier jeweils – getrennt und in der Richtung wohl verschiedene – Separationsbestrebungen, ähnlich wie im angeblich selbständigen, tatsächlich französischen Protektorat Saarland.

Dass es sich bei der Blankenhorn/Adenauer-Geschichte, die Schmeißer dem SPIEGEL hinterbrachte, nicht um eine Märchenerzählung handelte, wurde auch über eine weitere obskure Figur "verifiziert". Aloys Masloh (1912-1992) hatte angeblich im Dienst der Sûreté (er diente wohl auch "dem Osten"), einem der konkurrierenden französischen Geheimdienste, Quittungen über Schmeißers Geldzahlungen an Blankenhorn aufzukaufen versucht – um die Rückkehr des "linken Nationalsozialisten" Otto Strasser (1897-1974) nach Deutschland zu erpressen, der in der Innenpolitik Frankreichs als Symbol deutscher Gefahr hätte dienlich sein können (seine Repatriierung besorgte dann die deutsche Gerichtsbarkeit).

Prozess um politische Verleumdung in Hannover

So komplex die nachrichtendienstlichen Verstrickungen, so schlicht verlief der Prozess in Hannover, dem damaligen Sitz des Nachrichtenmagazins. Zwar war im November 1951 der bekannte Rechtsextremist Otto Ernst Remer (1912-1997), der maßgeblich zum Scheitern des Umsturzversuchs am 20. Juli 1944 beigetragen hatte, wegen Verleumdung zu vier Monaten Gefängnis verurteilt worden, weil er behauptet hatte, Mitglieder der Bundesregierung hätten sich für den Fall der sowjetischen Invasion Ausweichquartiere in London beschafft. Bei der ähnlich gelagerten Schmeißer/Spiegel-Affäre entzog der Antrag Josef Augsteins auf eine gerichtliche Voruntersuchung den Fall vorläufig der staatsanwaltlichen Opportunität – der Ermittlungsrichter hatte hier seinerzeit noch eine eigenständige Rolle. Auch die Bundesregierung forcierte das Verfahren nicht, unter anderem, weil sich die deutsch-französischen Beziehungen auf offiziellen Pfaden wandelten.

Rechtsanwalt Augstein vertrat im Prozess, der schließlich am 26. und 27. September 1955 in Hannover stattfand, ungeachtet der Verurteilung Remers die Auffassung, die Adenauer-Fluchtpläne seien nicht ehrenrührig gewesen. Sie zu verraten sei auch kein Geheimnisverrat, den zu behaupten eine Beleidigung dargestellt hätte, weil 1948/49 in Bonn "jeder Spatz von den Dächern gepfiffen" habe, dass die deutschen Spitzenpolitiker im Fall einer Sowjetinvasion außer Landes zu schaffen wären.

Wie der "Weltbühneprozess" (1. Teil dieser Serie) zeigte, muss ein offenes Geheimnis nicht vor Strafe schützen. Im Schmeißer/Spiegel-Prozess ließ es Hans Dahs als Vertreter Blankenhorns und Adenauers mit Ehrenerklärungen der Angeklagten begnügen, die kundtaten, nichts Ehrenrühriges behauptet haben zu wollen. Dahs nahm daraufhin die Strafanträge zurück.

Problematisch blieb die Kostenfrage des Verfahrens. Allein der insolvente Schmeißer erklärte sich bereit, sie zu tragen. Die Staatsanwaltschaft betrieb in diesem Punkt die Revision.

In einer Bundestagsdebatte am 7. Dezember 1955 erging sich der Deutsche Bundestag in seiner 116. Sitzung der zweiten Legislaturperiode einer heiter-witzelnden Debatte über die Frage, ob nur der windige Agent Schmeißer oder auch der beruflich reüssierte Herbert Blankenhorn an den Kosten hängen bleiben sollte. – Ein Thema von höchster Relevanz war da angekommen, wo politische Diskussionen hierzulande bis heute gerne enden: Bei einer Diskussion um Portokassenbeträge.

Zitiervorschlag

Martin Rath, Journalisten vor Gericht (Teil 2): . In: Legal Tribune Online, 21.10.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/7355 (abgerufen am: 21.11.2024 )

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