Journalisten vor Gericht (1. Teil): Der "Tiefe Staat" in Deutschland

von Martin Rath

14.10.2012

Seite 2/2: Publikation illegaler Geheimnisse, die keine sind

Die Übungen der "Schwarzen Reichswehr" und andere illegale Rüstungsmaßnahmen waren regelmäßig "offene Geheimisse" – beispielsweise durch die Haushaltsberatungen des Reichstags jedermann zugänglich. Auf den Aspekt der bereits vorhandenen Öffentlichkeit der Todesanzeigen geht das Reichsgericht nicht weiter ein – es genügte für das Verdikt über die Journalisten offenbar, den "früheren Feindmächten" die Arbeit der Lektüre öffentlicher Texte erleichtert zu haben.

Eine Gleichsetzung von journalistischer Veröffentlichung und Landesverrat sowie die Konstruktion eines legitimen Staats neben dem Rechtsstaat der positiven, geschriebenen Normen, gibt das Reichsgericht mit den folgenden Worten:

"Dem eigenen Staate hat jeder Staatsbürger die Treue zu halten. Das Wohl des eigenen Staates wahrzunehmen, ist für ihn höchstes Gebot, Interessen eines fremden Landes kommen für ihn demgegenüber nicht in Betracht. Auf die Beobachtung und Durchführung der bestehenden Gesetze hinzuwirken, kann nur durch Inanspruchnahme der hierzu berufenen innerstaatlichen Organe geschehen, niemals aber durch Anzeige bei ausländischen Regierungen. Die uneingeschränkte Anerkennung des Gedankens, dass die Aufdeckung und Bekanntgabe gesetzwidriger Zustände dem Reichswohle niemals abträglich, nur förderlich sein könne, weil das Wohl des Staates in seiner Rechtsordnung festgelegt sei und sich in deren Durchführung verwirkliche, ist abzulehnen[.]"

"Windiges aus der deutschen Luftfahrt"

An der „Einheit der Rechtsordnung“ hatte das Reichsgericht kein verschärftes Interesse. Während Jacob und Küster "nur" zu mehrmonatiger Festungshaft, einer privilegierten Haftform, verurteilt wurden, traf es neben dem Autor des Artikels "Windiges aus der deutschen Luftfahrt", Walter Kreiser (1898-1958) den verantwortlichen Redakteur Carl von Ossietzky (1889-1938) ungleich härter. Nicht nur wegen versuchten Landesverrats, sondern nach einem 1914 in Kraft gesetzten Spionagetatbestand verhängte der 4. Strafsenat des Reichsgerichts 18 Monate Gefängnis.

Der pazifistische Luftfahrtexperte Walter Kreiser hatte die Wirtschaftspläne der seinerzeit staatlich subventionierten Lufthansa durchforstet, einige böse Worte über das Geschäftsgebaren des Vorstands der Luftfahrtgesellschaft verloren und war schließlich auf die militärische Kooperation zwischen Lufthansa und Reichswehr eingegangen. Sein Artikel in der linksliberalen Weltbühne (Nr. 11/1929) schloss eher unjournalistisch: "Aber nicht alle Flugzeuge sind immer in Deutschland …" Ohne Vorwissen – das bei den rund 16.000 Abonnenten der Weltbühne offenbar vorausgesetzt wurde –, dass Flugzeuge der Lufthansa zum militärischen Training in einem gemeinsamen Projekt von Reichswehr und Roter Armee in Russland unterwegs waren, ergab diese Andeutung keinen Sinn. Eindeutiger als mit den drei Auslassungspunkten lässt sich ein "offenes Geheimnis" eigentlich nicht formulieren (zum Ganzen: Ingo Müller und Gerhard Jungfer: "70 Jahre Weltbühnen-Urteil", in: Neue Juristische Wochenschrift 2001, 3.461-3.465).

Naturrechtliche Begründung des "Tiefen Staats"?

Christoph Gusy hat an einem für den Durchschnittsjuristen leider eher entlegenen Ort eine bemerkenswerte Analyse der reichsgerichtlichen Urteile zum publizistischen Landesverrat vorgelegt, in Goltdammer’s Archiv (1992, 195-213): "Der Schutz des Staates gegen seine Staatsform".

Grob skizziert lässt sich die Analyse des Staatsrechtlers in der exklusiven Strafrechtler-Zeitschrift so zusammenfassen: Das höchste Gericht des Landes billigt unter Bezug auf überpositive, "naturrechtliche" Erwägungen der Exekutive zu, das "Staatswohl" zu definieren und Parlament und Staatsvolk von diesem Prozess auszuschließen – was zur Aburteilung der journalistischen Elite des Landes führte.

Ob die journalistische Elite des Landes heute ernsthaft die Ohren spitzt, wenn Juristen die Pfade des positiven Rechts verlassen oder doch kräftig dehnen, darf bezweifelt werden – die Folgen sind im Allgemeinen weniger dramatisch.
Carl von Ossietzky, der Friedensnobelpreisträger für das Jahr 1935 starb bekanntlich 1938 an den Folgen der KZ-Haft,  Berthold Jacob sollte zwei Mal von Gestapo-Agenten aus dem neutralen Ausland entführt werden – 1935 und 1941 – die zweite illegale Haft überlebte er nicht.

Auf diese Märtyrer des deutschen Journalismus haben sich in der so genannten Spiegel-Affäre Journalisten und auch ein leibhaftiger Senatspräsident des Bundesgerichtshofs positiv bezogen. Vor dieser moralischen Wende – in den Gründerjahren der Republik – bewegte sich das Nachrichtenmagazin in Geheimdienstkreisen, die dem "Tiefen Staat" näher waren als den Helden der eigenen Zunft.

Davon aber mehr in Folge 2.

Der Autor Martin Rath arbeitet als freier Journalist und Lektor in Köln.

Zitiervorschlag

Martin Rath, Journalisten vor Gericht (1. Teil): . In: Legal Tribune Online, 14.10.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/7304 (abgerufen am: 22.11.2024 )

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