Spätestens seitdem im Jahr 1782 die letzte Hexe Europas nach legalem Prozess sterben musste, löst das Thema Magie juristisch nur Naserümpfen aus. Eine neue Studie belegt, dass die Hexen der Welt das nicht verdient haben, zeigt Martin Rath.
Der Rat der Stadt Köln tat es im am 28. Juni 2012 einstimmig, was ja nie ein gutes Zeichen für ordentliche parlamentarische Arbeit zu sein scheint. Andere Gemeindevertretungen gingen ihm voraus, weitere folgten. Die Kölner Rathauspolitiker erklärten, dass sie es nun nicht mehr als so gut empfänden, dass rund 400 Jahre zuvor eine juristische Institution, die eher zufällig gleichfalls Kölner Rat genannt wurde, die Hexen und Hexer der heiligen Stadt am Rhein dem Schwert und Scheiterhaufen des Henkers überantwortet hatte.
Diese sogenannte Rehabilitation oder auch Ehrenerklärung zugunsten von Menschen, die einst magisch bewirkter Rechtsgutverletzungen bezichtigt wurden, hatte in den vergangenen Jahren in Deutschland einige Konjunktur.
Die Initiative übernahm oft der evangelische Pfarrer Hartmut Hegeler (1946–). Der machte sich vielerorts stark dafür, dass die Kommunalparlamente – mitunter im Anschluss an allerlei gottesdienstliche Schuldbekenntnisse – sich mit den historischen Hexenprozessen auseinandersetzten – und zwar "kritisch", wie man das heutzutage so nennt.
Hexen, Hexer und juristische Superhelden
Darauf, wie beschämend diese symbolpolitischen Akte neuerer deutscher und europäischer Versuche der Rehabilitation zugunsten von Hexern und Hexen bei Licht betrachtet sind, wird gleich noch zu kommen sein.
Um uns der Relevanz der Magie für das Juristenleben zu nähern, bedienen wir uns zunächst einer klassischen feuilletonistischen Übung, nennen wir sie: die Parallelbewertung in der Erstsemester-Sphäre.
Ein wenig erschreckend kann es ja sein, was sich Semester für Semester an den juristischen Fakultäten abspielt: Ein Dozent müht sich, womöglich einigen Hundert Teilnehmern im Hörsaal die Relevanz der Kausalitätslehren im Strafrecht "Allgemeiner Teil" näherzubringen. Währenddessen werden in den Sitzreihen da und dort schon der Besuch des neuesten "Marvel"-Superheldenfilms oder die Auswirkungen der neuen Staffel "The Walking Dead" auf den Putzplan in der studentischen Wohngemeinschaft verhandelt – letzteres immerhin wirklich ein Thema voll Kausalitäts- und Untotenproblemen.
Wie dünn unsere Zivilisation an dieser Stelle – dem Hörsaal – ist, bleibt aber zumeist wohl leider unverhandelt. Dass übernatürliche Kräfte ihren Platz im Comic-Kino haben, während die juristische Praxis von klaren naturwissenschaftlichen Kausalitätsmodellen auszugehen habe, wird von allen als selbstverständlich vorausgesetzt.
Welche Kämpfe die Superhelden des juristischen Gewerbes, Christian Thomasius (1655–1728) oder Friedrich Spee, genannt von Langenfeld (1591-1635) auszustehen hatten, bleibt außen vor oder staubt als Festschriftenthema vor sich hin.
Dieser Verzicht auf geborgtes Heldentum ist ja auch ganz ehrenwert. Und mit ein bisschen Glück erfährt vom dünnen Firniss der Zivilisation überm positiven Recht der Gegenwart, wer später davon liest, welch ehrenwerte Professoren in den Jahren nach 1933 das Wort "Mensch" in § 1 BGB neu zu definieren gedachten.
Hexerei gehört nicht in die Vergangenheit
Dass das Naserümpfen oder Vergessenmachen von Magie mehr sind als verpasste Chancen, sich mit den geistesgeschichtlichen Grundlagen des juristischen Fachs auseinanderzusetzen und dass die Bemühungen, die europäischen Hexer und Hexen rund 400 Jahre nach ihrer formgerechten Verurteilung symbolisch zu "rehabilitieren", mehr als ein Stirnrunzeln über die aktuelle Mode der Rechtskraft-Beseitigung verdienen, darauf macht ein Buch aus dem feinen afrikanistischen Verlag Rüdiger Köppe aufmerksam.
Unter dem etwas barocken Titel "Hexenjagd und Aufklärung in Ghana. Von den medialen Inszenierungen des Okkulten zur Realität der Ghettos für Hexenjagdflüchtlinge" erschien jetzt die 2014 in Mainz als ethnologische Dissertation vorgelegte Schrift von Felix Riedel, einem Fachmann unter anderem für moderne Hexenjagden, Gewaltanthropologie und Religionskonflikte.
Riedel hatte während seiner Forschungsaufenthalte im westafrikanischen Ghana Gelegenheit, mit zahllosen Frauen und Männern zu sprechen, die sich dort heute dem Vorwurf ausgesetzt sehen, den Menschen ihrer Umgebung durch Hexerei Schaden zugefügt zu haben – und dies in einer Gesellschaft ohne vernünftelnde Staatsgewalt nicht immer gut überleben.
Martin Rath, Recht und Magie: . In: Legal Tribune Online, 09.10.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/20807 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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