Zur Fußball-Europameisterschaft 2012 versorgen wir Sie mit einer Auswahl juristischer Aspekte rund ums runde Leder. Den Auftakt machen Entscheidungen zur erotischen Wirkung des Fußballs auf religiöse Sektierer, die Vorbildfunktion des "Drehstangen-Tischfußballsports" und die sprachliche Entgleisung der EU am Rande der Spielstätten. Eine Auswahl von Martin Rath.
Fußball dürfte schon eine verflucht verführerische Sportart sein. Um das herauszufinden, muss man sich nicht an den grausamen Ohrwurm erinnern, der nach einem 2:1-Erfolg der deutschen Nationalmannschaft gegen England 1982 das Gehör der Welt fand: Alan und Denise Whittle besangen damals die Erotik der Knie Karl-Heinz Rummenigges, seinerzeit einer der populärsten Ballsportkünstler deutscher Lande.
Den gedanklichen Umweg über die Knie Karl-Heinz Rummenigges mussten wir einfach einmal machen, auch wenn der Fußballheld damals leider keinen fliegenden Gerichtsstand bemühte, den Ohrwurm schnell wieder zu begraben. Komplizierte Einleitungen, machen so etwas nicht Sportjournalisten gerne?
VG Berlin lässt Scientology zum Fußballfest zu
Im Ernst, also zur verführerischen Kraft des Fußballs, die sich mit einer juristischen Quelle belegen lässt, dem Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin (VG) vom 29. Juni 2006 (Az. VG 1 A 145.06): Dem Scientology Kirche Berlin e.V. war von Seiten des Bezirksamts die Genehmigung verweigert worden, in der von Fußball-Fans reich bevölkerten Innenstadt Berlins Informationsstände einzurichten. An sich sollte die etwas krude Theologie der Scientology genügen, bodenständige Sportbegeisterte abzuschrecken, kennt die Lehre der Religionsgesellschaft doch unter anderem das Wirken böser intergalaktischer Herrscher, die auf Erden beheimatete übermenschliche „Thetane“ traumatisieren.
Juristische Mittel gegen theologisch Phantasiebegabte einzusetzen, gehört seit den Zeiten der ersten Staatsrechtslehrer wie Jean Bodin (1530-1596) zwar zum rechtswissenschaftlichen Repertoire und das VG Berlin konnte dem Bezirksamt auch folgen, soweit es den Scientologen eine Sondernutzungserlaubnis für die Friedrichstraße, die Straße des 17. Juni und den Bebelplatz verweigert hatte. Das Gericht ließ mit Blick auf die Glaubens- und Bekenntnisfreiheit der Thetanen-Gläubigen aber ein Infozelt am Washingtonplatz zu.
Laut einer Umfrage unter Schweizer Scientologen sind dort Jogging, Wandern und Aerobic die drei beliebtesten Sportarten. Selbst gespielter Fußball indes nicht. Die räumliche Nähe zu den Sporttitanen des Fußballplatzes hingegen lockt auch die Jünger himmlisch-übermenschlicher "Thetans" an – mit dem Segen und das Gehör der Berliner Richter. Womit die Verführungskraft des Fußballs gewiss mindestens so gut bewiesen wird wie mit den "sexy knees" des Sporttitans Karl-Heinz Rummenigge, die britische Sangeskunst 1982/83 beschwor.
Sollen sich Fußballfans an Tischkickern orientieren?
Der körperlichen Quälerei von Spitzenfußballern auf dem grünen Grund fast ebenbürtig ist der juristische Definitionssport, namentlich in seiner Spitzenliga, dem Steuerrecht. Einem Urteil des Finanzgerichts (FG) Hessen vom 23. Juni 2010 ist zu entnehmen, was der Bundesfinanzhof (BFH) von Leibesübungen hält. Die Abgabenordnung (AO) enthält – nach heutigem Stand – nur die knappe Aussage, dass "die Förderung des Sports (Schach gilt als Sport)" als gemeinnützig eingestuft wird. Die hessischen Finanzrichter erklärten, dass "der Begriff Sport im Sinne dieser Gesetzesvorschrift Betätigungen [umfasst], die die allgemeine Definition des Sports erfüllen und die der körperlichen Ertüchtigung dienen. Erforderlich ist daher eine körperliche, über das ansonsten übliche Maß hinausgehende Aktivität, die durch äußerlich zu beobachtende Anstrengungen oder durch die einem persönlichen Können zurechenbare Kunstbewegungen gezeichnet [sic!] ist."
Das FG Hessen subsumierte in diesem Urteil (Az. 4 K 501/09) den Tischfußball in der Variante des "Drehstangen-Tischfußballsports" – im Gegensatz zu den Varianten "Subbuteo bzw. Tipp-Kick" – unter den Begriff des "Sports". Bemerkenswert, wie die Finanzrichter sich darauf berufen, dass der BFH bei seiner Definition darauf verzichte, "dass der Sport auch die körperliche Ertüchtigung durch Leibesübung fördern müsse", zumal auch "sämtliche Formen des Motorsports und auch das Sportschießen als Sport" im Sinne der AO anerkannt würden.
"Rowdy" als Rechtsbegriff, das gab es schon
Angesichts dieser weiten Spielräume für die Anerkennung menschlicher Regungen als Sport im Sinne des Gesetzes wäre es entsprechend der hessischen Finanzjustiz nicht abwegig, auch die kräftezehrenden Tätigkeiten von Fußballfans, wie das Intonieren von Schlachtgesängen oder das rhythmische Wellenschlagen in den Menschenmassen eines Stadions (für Fußballjournalisten: "La-ola-Wellen") als Sport anzuerkennen und steuerlich zu begünstigen. Dann hätten die Fans des "echten" Fußballs ihren kleinen Freunden vom "Tischfußball" eine erhebliche Aufwertung ihres Renommees zu verdanken.
Leider weht der Wind aus einer anderen Richtung. Fußballbegeisterung wird immer stärker als Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung wahrgenommen. Nicht immer, aber der Tendenz nach.
So erstaunt es, dass der Rat der Europäischen Union mit einer Entschließung zur polizeilichen Zusammenarbeit vom 9. Juni 1997 (Az. 97/C 193/01), Maßnahmen zur "Verhinderung und Eindämmung des Fußballrowdytums" beschloss. Ein amtliches Dokument aus einem Handlungsfeld der EU, auf dem die europäischen Behörden zunehmende normative Kompetenzen beanspruchen, sammelt Delikte des klassischen Strafrechts, wie Körperverletzung oder Sachbeschädigung, unter dem Begriff "Rowdytum".
Kurioserweise war es zuletzt das Strafrecht der DDR, das "Rowdytum" als juristischen Begriff kannte. In § 215 Abs. 1 definierte das StGB-DDR: "Wer sich an einer Gruppe beteiligt, die aus Mißachtung der öffentlichen Ordnung oder der Regeln des sozialistischen Gemeinschaftslebens Gewalttätigkeiten, Drohungen oder grobe Belästigungen gegenüber Personen oder böswillige Beschädigungen von Sachen oder Einrichtungen begeht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Haftstrafe bestraft."
So fraglos Delikte wie Körperverletzung oder Sachbeschädigung in Fußballstadien oder rund um sie herum verfolgt werden müssen, fragt sich, ob die europäische Rechtsordnung gut daran tut, mit Begriffen zu operieren, die zuletzt in der Sprache des "sozialistischen Rechtsstaats" verwendet wurden.
Man möchte hoffen, dass die jetzt beginnende Fußball-Meisterschaft ohne öffentliche Ausschreitungen verläuft. Denn dass sich in der Ukraine die Tradition des "sozialistischen Rechtsstaats" nicht verloren hat, haben die politischen Strafprozesse in jüngster Zeit schon hinreichend gezeigt.
Wie schnell die Zuordnung von Menschen in eine soziale Gruppe mit "gerichtsbekannten" Persönlichkeitsmerkmalen auch im tiefen Westen Europas zu handfesten Sachentscheidungen führen kann, zeigte beispielsweise ein Urteil des Landgerichts Köln vom 31. Mai 1989 (Az. 28 O 86/89). Ein Hotelier hatte die Aufnahme von dänischen "Fußballanhängern", die anlässlich der Europameisterschaft 1988 in Deutschland angereist waren, verweigert. Der Reiseveranstalter klagte später wegen geleisteter Kautionszahlungen. Bemerkenswert war damals die Feststellung des Kölner Gerichts, dass "erfahrungsgemäß" von einem "erhöhten Risiko für Beschädigungen von Hotelmobiliar sowie Hotelgebäude auszugehen" sei – abgeleitet aus dem Persönlichkeitsmerkmal "Fußballfan".
Ob Fußball nun sympathisch oder langweilig erscheint, man mitfiebert oder angesichts des Medienbetriebs der nächsten Wochen mental in den Ignoranzmodus wechselt: Es wäre bitter, wenn Juristen in Ost und West ausgerechnet für die dunkle Seite des Fußballsport-Zirkus zu einer gemeinsamen Sprache von schlechtem Differenzierungsvermögen fänden.
Ankündigung: Zu den eher heiteren oder kuriosen Seiten der Fußballrechtsgeschichte lesen Sie mehr im Lauf der Europameisterschaft.
Martin Rath arbeitet als freier Journalist und Lektor in Köln.
Martin Rath, Fußballrechtsgeschichten (1. Folge): . In: Legal Tribune Online, 07.06.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/6340 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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