Justizgeschichte: 50. Todestag von Fritz Bauer

von Martin Rath

01.07.2018

Am 1. Juli 1968 starb der hessische Generalstaatsanwalt Fritz Bauer, der unter anderem durch den Frankfurter Auschwitz-Prozess bekannt wurde. Doch Andenken an diesen mutigen Juristen bewegen sich heute auf mitunter merkwürdigen Wegen.

Der spätere hessische Generalstaatsanwalt Fritz Bauer (1903–1968) wurde der weiten deutschen Öffentlichkeit 1952 erstmals durch einen Prozess bekannt, der auf längere Sicht zur moralischen Integrität der noch jungen Bundesrepublik Deutschland beitrug.

Anlass gab die geschichtspolitische Propagandatätigkeit des ehemaligen Wehrmachtsoffiziers Otto Ernst Remer (1912–1997), der im Mai 1951 bei einer Veranstaltung der Sozialistischen Reichspartei (SRP) die Beteiligten am Attentat auf Adolf Hitler vom 20. Juli 1944 als “Landesverräter“ bezeichnet hatte.

Remer zählte 1949 zu den Mitgründern der offen in der Tradition der NSDAP stehenden SRP, die vor allem jüngere, im NS-Staat herangewachsene Wähler erreichte und 1951 mit elf Prozent Stimmenanteil bei der Landtagswahl in Niedersachsen reüssierte.

Als Offizier des Wachbataillons “Großdeutschland“ hatte Remer am 20. Juli 1944 unter anderem seinen Vorgesetzten verhaftet, nachdem in Berlin aufgrund der Nachricht, Hitler sei in Rastenburg dem Attentat zum Opfer gefallen, zunächst die militärische Machtübernahme angelaufen war. Im Lauf des Tages fiel dieser Plan bekanntlich in sich zusammen, da die Tötung des Diktators im ostpreußischen Rastenburg misslungen war.

Der Remer-Prozess

Die NS-Führung dankte dem überzeugten Nationalsozialisten Remer seine Initiative zum Erhalt ihrer Macht durch Beförderung und öffentliche Belobigung.
Nach der Schmähung der zu großen Teilen 1944 und 1945 hingerichteten und ermordeten Attentäter vom 20. Juli war gegen Remer unter anderem von Bundesinnenminister Robert Lehr (1883–1956, CDU), der zum Bekanntenkreis der Hitler-Attentäter gezählt hatte, Anzeige wegen Verleumdung gestellt worden.

Der zunächst zuständige Staatsanwalt, selbst ehemaliges NSDAP-Mitglied, verhielt sich zu dieser Anzeige – gelinde gesprochen – zurückhaltend. Zur Anklage gegen Remer kam es, nach behördeninternen Machtkämpfen um die Verfügung über die Akten, durch die Initiative des Braunschweiger Generalstaatsanwalts Fritz Bauer.

Das Verfahren vor dem Landgericht Braunschweig wegen übler Nachrede und der Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener mit einigem Aufwand betrieben. Gehört wurden unter anderem die gutachterlichen Aussagen von Moraltheologen beider Konfessionen, die den Verschwörern attestierten, zum Wohl Deutschlands gehandelt zu haben. Der an die Widerstandskämpfer adressierte Vorwurf, ihren Eid gegen Hitler gebrochen und Hochverrat begangen zu haben, wurde – soweit Verfahrensgegenstand – entkräftet.

Remer entzog sich der Freiheitsstrafe von drei Monaten durch Flucht ins Ausland. Die SRP wurde auf Antrag der Bundesregierung durch Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 23. Oktober 1952 verboten (Az. 1 BvB 1/51).

Dass der Remer-Prozess und das couragierte Auftreten des Anklägers weite Aufmerksamkeit erfuhren, war wesentlich dem Umstand geschuldet, dass sich ein Gutteil der Menschen in Deutschland mit der unangenehmen Frage konfrontiert sah, wie viel Loyalität der “Führer“ billigerweise von ihnen hatte verlangen dürfen, bevor dieser sich am 30. April 1945 durch Selbsttötung aus der Verantwortung stahl.

Ex-Nazi-Netzwerke in deutscher Justiz

Remers Versuch, jene zu denunzieren, die zwar spät und erfolglos versucht hatten, Hitler zu stürzen, war damit als Angebot an Millionen Mitläufer, Mittäter und Mitwisser des NS-Staats zu verstehen, ihre treue Gefolgschaft offenen Verbrechern gegenüber weiter als legitim ansehen zu dürfen – der Gedanke, dass etwa der Eid auf Hitler unsittlich gewesen sein könnte, fiel ehemaligen Soldaten oder den Hinterbliebenen der Gefallenen schwer.

Der Wunsch, sich selbst als Opfer des NS-Staats sehen zu wollen, begünstigte die Täter unvorstellbarer Verbrechen. Bis der Ulmer Einsatzgruppen-Prozess im Jahr 1958 wegen Mordes an über 5.000 jüdischen Männern, Frauen und Kindern durch Angehörige der deutschen Sicherheitsbehörden die Augen zu öffnen begann, galt die Verfolgung von NS-Tätern zumeist als “Siegerjustiz“. Die  “Stille Hilfe“ für die inhaftierten NS-Verbrecher genoss breite Unterstützung in Bürgertum, Adel und Kirchen.

Seit 1951 führte die Versorgung von entlassenen bzw. durch nach dem Verlust an Planstellen in der Sowjetisch Besetzten Zone und den deutschen Ostgebieten überschüssigen Juristen nach dem Gesetz zu Artikel 131 Grundgesetz dazu, dass in manchen Gerichtsbezirken der Bundesrepublik die Anteil nun ehemaliger NSDAP-Angehöriger unter den Richtern und Staatsanwälten höher ausfiel als im NS-Staat selbst.

Fritz Bauer stach vor diesem Hintergrund heraus, hatte er doch bereits als sozialdemokratischer Jurist jüdischer Herkunft und als Mitglied des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold die verfassungsmäßige Ordnung der Weimarer Republik gegen die nationalsozialistische Gefahr verteidigt. Acht Monate war Bauer u.a. im Konzentrationslager Heuberg inhaftiert gewesen, den NS-Staat überlebte er seit 1936 im dänischen, dann im schwedischen Asyl. Die westdeutsche Justiz honorierte solche Lebenswege nicht allzu oft.

Wegbereiter für den Auschwitz-Prozess

Nach dem Remer-Prozess waren es – neben seiner fachpublizistischen Tätigkeit – vor allem zwei weitere Verfahren, die Bauers Ruf als exzeptioneller deutscher Jurist bestärkten: Der Auschwitz-Prozess und die Ermittlungen gegen Adolf Eichmann.

1956 zum hessischen Generalstaatsanwalt berufen, sorgte Bauer dafür, dass der Bundesgerichtshof 1959 dem Landgericht Frankfurt am Main die Zuständigkeit für die Untersuchung und Entscheidung zu Verbrechen von SS-Wachmannschaften im Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz übertrug – Voraussetzung für die “Strafsache gegen Mulka u.a.“, den Auschwitz-Prozess der Jahres 1963–1965.

Der Frankfurter Auschwitz-Prozess dürfte heute das bekannteste Verfahren wegen Verbrechen in nationalsozialistischen Konzentrationslagern sein – obwohl dem, teils von der Öffentlichkeit wenig beachtet, unter anderem Prozesse wegen der Verbrechen in den Vernichtungslagern Sobibor (Landgericht Hagen, 1965–1966), Treblinka (Landgericht Düsseldorf (1964–1970) und Majdanek (1975–1981) folgten.

Verhandelt wurden diese Verfahren von Angehörigen einer jüngeren Generation von Staatsanwälten. In Frankfurt hatte ihnen Bauer den Weg geebnet.

Ein etwas merkwürdiger Nachruhm

In den zwei Jahrzehnten nach dem Tod Fritz Bauers am 1. Juli 1968 verblasste die Erinnerung an ihn recht schnell – obwohl sich z. B. die vorübergehende Liberalisierung des Strafrechts unter den sozialliberalen Bundestagsmehrheiten der Jahre 1969 bis 1982 auch auf Ideen des rechtspolitischen Publizisten Bauer stützen konnte.

Das änderte sich seit Mitte der 1990er Jahre. Im Vergleich zur Fülle an seriösen amerikanischen Richter- und Rechtsgelehrten-Biografien mag die deutsche biografische Literatur zu wichtigen Juristinnen und Juristen zwar ausgesprochen dürftig sein, zu Fritz Bauer sind heute jedoch gleich zwei gewichtige Titel greifbar: die Biografie der Historikern Irmtrud Wojak (2009) und die des Juristen und SZ-Journalisten Ronen Steinke (2013). Sie im Kontrast beispielsweise zu Ulrich Herberts Biografie über den Gestapo-Justitiar Werner Best (1903–1989) – einen Jahrgangsgenossen Fritz Bauers – zu lesen, gibt nachhaltigen Aufschluss über das dunkle Kapitel der deutschen Zeit- und Rechtsgeschichte des 20. Jahrhunderts, vor und nach Kriegsende.

Wenig glücklich geraten ist dagegen der jüngste Versuch, Fritz Bauer im Film zu popularisieren. Überzuckert mit der Erzählung von einer historisch fragwürdigen homophilen Liebesaffäre Bauers zeichnet  “Der Staat gegen Fritz Bauer“ (online verfügbar bis 23.08.2018) ein eigenartiges Bild von Bauer und der deutschen Gesellschaft der 1950er Jahre.

Buch besser als der Film

Ein Beispiel: Um Adolf Eichmann (1906–1962), als Referatsleiter im Reichssicherheitshauptamt hauptverantwortlich für den Völkermord an den europäischen Juden, habhaft zu werden, arbeitete Fritz Bauer – historisch verbrieft – inoffiziell mit dem israelischen Auslandsgeheimdienst zusammen. Im Film vergeht die Figur des Fritz Bauer deshalb vor Furcht, wegen “Landesverrats“ angeklagt zu werden – das möchte man gern einmal vom Drehbuch-Autor subsumiert sehen, der hier einen Generalstaatsanwalt zum Strafrechtslaien umschrieb.

Schlimmer noch: Die deutsche Gesellschaft organisierte Geheimnisse damals gern als Dinge, die recht breit bekannt waren, aber nicht ausgesprochen wurden. Um die Homosexualität des Bundesaußenministers Heinrich von Brentano (1904–1964) oder die NS-Belastung des Adenauer-Staatssekretärs Hans Globke (1898–1973) wussten beispielsweise seinerzeit gar nicht wenige. Im Film werden derlei Komplexe freilich zum Faustpfand des NS-nahen BND im Kampf gegen den hessischen Generalstaatsanwalt zurechtdramatisiert. Damit wird verpasst, was in den 1950er-Jahren – die zugleich längst den Keim einer liberaleren Gesellschaft in sich trugen – wirklich düster blieb.

Übel ist dem Film schließlich eine Szene zu nehmen, in der Bauer von dunklen Erinnerungen daran geplagt wird, seine Entlassung aus der KZ-Haft des Jahres 1933 durch eine – historisch vage verbriefte – Treueerklärung an Adolf Hitler erkauft zu haben. Dass einem Mörder nichts geschuldet wird, das ihm seine Tat erleichtert, weiß der juristische Laie – jedenfalls der, der das Innenleben eines Konzentrationslagers kennt – aus der Naturrechtslehre. Der Jurist schlägt die Rechtsidee zu § 123 Abs. 1 Alt. 2 Bürgerliches Gesetzbuch nach. Im Film muss der Hauptfigur selbst noch diese juristische Nüchternheit hinfortdramatisiert werden. Wer sich für Fritz Bauer interessiert, nimmt also vielleicht besser ein Buch zur Hand.

Der Autor Martin Rath arbeitet als freier Lektor und Journalist in Ohligs.

Zitiervorschlag

Martin Rath, Justizgeschichte: . In: Legal Tribune Online, 01.07.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/29463 (abgerufen am: 11.11.2024 )

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