Der August-Macke-Prozess von Bonn: Wem gehört die Kunst im Sperrmüll?

von Ass. jur. Jürgen Seul

28.06.2010

Ein Passant findet im Sperrmüll ein Meisterwerk des Expressionisten August Macke. Als er es versteigern lassen will, interveniert der Nachkomme des ursprünglichen Eigentümers, eines Juden, dessen Vermögen 1938 beschlagnahmt worden war. Er klagt auf Herausgabe des Gemäldes. Vor acht Jahren endete der Prozess um die Sperrmüll-Kunst vor dem Landgericht Bonn. Jürgen Seul blickt zurück.

Zufällig entdeckte 1991 ein Spaziergänger, der an dem Backsteinhaus Kaiserstraße 61 in Bonn vorbeikam, ein Ölgemälde, das zur Sperrmüllabholung auf den Bürgersteig abgestellt worden war. Im Querformat maß das naturalistische Bild etwa 50 x 70 cm.

Zu sehen war ein rotgelber sandiger Fußweg, der durch grüne Wiesen verlief. Auf der rechten Seite rankten hohe Büsche. Keine Signatur wies auf den Künstler hin. Es fand sich die Eintragung: 'Tegernsee 1910'. Bei dem wertvollen kunsthistorischen Fund handelte es sich um das Originalgemälde "Der Weg am Waldrand" von August Macke.

Macke gilt als einer der bedeutendsten Maler des Expressionismus: Am 3.1.1887 im sauerländischen Meschede geboren, war er am 26.9.1914 südlich von Perthes-lès-Hurlus in der französischen Champagne schon zu Beginn des Ersten Weltkrieges gefallen.

Künstlerisch stark von Matisse und Cézanne beeinflusst, bildete Macke gemeinsam mit Kandinsky, Kubin und Marc die Künstlergemeinschaft "Der blaue Reiter".

Nachdem er 1909 geheiratet hatte, war der Maler mit seiner Frau von Bonn an den Tegernsee gezogen, wo 1910 auch das Gemälde "Der Weg am Waldrand" entstand.

Der Kunstraub im Dritten Reich

Macke kehrte im November 1910 nach Bonn zurück, wo er "Der Weg am Waldrand" zum Preis von 80 Reichsmark an den jüdischen Kaufmann Emmanuel Eduard Oberländer verkaufte. Dieser starb im Jahr der nationalsozialistischen Machtergreifung 1933. Sein Sohn Karl Oberländer wurde Erbe, unter anderem auch des Macke-Gemäldes.

1938 begannen die systematischen Raubzüge der Nationalsozialisten von Kunstwerken jüdischer Mitbürger. Entsprechend der "Verordnung über die Anmeldung des Vermögens von Juden" gab Karl Oberländer eine Aufstellung über das Familienvermögen ab, das auch 20 Ölgemälde ohne nähere Angaben enthielt. Kurze Zeit später wurde das Vermögen beschlagnahmt und für verfallen erklärt. Zu diesem Zeitpunkt war die Familie Oberländer bereits ausgewandert.

Die Geheime Staatspolizei (Gestapo) nahm das Haus der Oberländers in Besitz. Es kam zur "Umverteilung" ihres Eigentums; das heißt deutsche Staatsbürger übernahmen die Vermögenswerte ihrer entrechteten jüdischen Mitbürger. Ein Bonner Kaufmann übernahm das Haus, einzelne Gegenstände wurden von der Gestapo fortgeschafft, andere – auch neun nicht mehr verifizierbare Ölgemälde – öffentlich versteigert.

Unweit des von den Oberländers bewohnten Hauses befindet sich die Kaiserstraße 61. Dort lebten die Eheleute Marie und Paul Kahle. Einer ihrer Söhne gab später an, dass das Macke-Gemälde seiner Mutter "von jüdischen Mitbürgern als Dank für ihre Hilfe geschenkt worden" sei. Doch auch die Familie Kahle wurde im Dritten Reich enteignet, ihr Haus inklusive des Macke-Gemäldes von einem Bauunternehmer übernommen.

Über die folgenden Jahrzehnte hinweg erkannte keiner der neuen Hausbewohner darin ein originales Meisterwerk. Die Tochter jenes Bauunternehmers erklärte später, sie sei diejenige Person gewesen, die das Gemälde in Verkennung seines Wertes auf den Sperrmüll gestellt habe. Sie habe es mit anderen Gegenständen bei der Entrümpelung des Speichers anlässlich der Auflösung des Haushalts ihrer Eltern gefunden.

Der Prozess

Der glückliche Finder des Macke-Gemäldes fasste 1998 den Entschluss, das Bild versteigern zu lassen, was im Vorfeld für erhebliches Aufsehen in der Presse sorgte. Und plötzlich meldete sich aus dem kolumbianischen Bogota John Daniel Oberländer, der Urenkel des ursprünglichen Gemäldekäufers. Er forderte erfolglos die Rückgabe des Macke-Gemäldes an seine Familie. Schließlich reichte er beim Landgericht Bonn eine Klage auf Herausgabe des Gemäldes bzw. Hinterlegung des Erlöses im Fall der Veräußerung ein.

Zum entscheidenden Dreh- und Angelpunkt des Verfahrens avancierte § 1006 Abs. 1 BGB, wonach der unmittelbare Besitz einer Sache gleichzeitig auch das Eigentum des Besitzers – in diesem Fall der findige Spaziergänger – vermuten lässt.

Eine Eigentumsvermutung greift allerdings dann nicht, wenn der strittige Gegenstand dem früheren Eigentümer und Besitzer u. a. ohne bzw. gegen dessen Willen abhanden gekommen ist. Genau darauf pochte Oberländer, der darauf verwies, dass die Gestapo im Haus seines Großvaters das Macke-Bild unrechtmäßig beschlagnahmt hätte; es demnach auf diese Weise gegen den Willen seines Großvaters abhanden gekommen sei.

Das Landgericht Bonn entschied schließlich gegen John Daniel Oberländer (Urteil vom 25.06.2002, 18 O 184/01, NJW 2003, S. 673-675). Es stehe nicht fest, dass das Ölgemälde von August Macke tatsächlich von der Gestapo im Hause seines Großvaters beschlagnahmt worden sei. Gegen eine offizielle Beschlagnahme spreche vor allem die typische fehlende violette Markierung auf der Rückseite des Bildes. Es könne auch nicht unterstellt werden, dass ein Gestapo-Bediensteter heimlich anlässlich einer Beschlagnahme anderer Gegenstände der Familie gerade und ausgerechnet das Macke-Bild an sich genommen habe.

Nach den Schilderungen von Zeitzeugen und der Eigentümerin des Hauses Kaiserstraße 61 komme man nur zu dem Schluss, dass das Gemälde von der Familie Oberländer vor dem Eintreffen der Gestapo an jüdische Freunde übergeben worden und von diesen später den Eheleute Kahle zum Geschenk gemacht bzw. zur Aufbewahrung gegeben worden sei, als ihnen selbst die Deportation drohte und sie fliehen mussten. Ob zu diesen Rechtshandlungen eine Berechtigung bestanden habe, sei für das Ergebnis des Rechtsstreits unerheblich.

Das Gemälde befindet sich noch heute im Besitz seines Finders.

Der Autor Jürgen Seul lebt als freier Publizist und Redakteur in Bad Neuenahr-Ahrweiler. Er verfasste zahlreiche Publikationen u. a. zum Architektenrecht, Arbeitsrecht sowie zu rechtshistorischen Themen.

Zitiervorschlag

Jürgen Seul, Der August-Macke-Prozess von Bonn: . In: Legal Tribune Online, 28.06.2010 , https://www.lto.de/persistent/a_id/830 (abgerufen am: 21.11.2024 )

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