Durch kluge Überlegungen und geschickte Schachzüge hat sich der Hamburger Anwalt für Unternehmensrecht Christoph Seibt bundesweit einen Namen als Top-Jurist seines Metiers gemacht. Im Gespräch mit LTO gewährte der Freshfields-Partner, Kunstsammler und Teilzeit-Aussteiger Einblicke ins Innerste.
Auf der Terrasse der alten Hamburger Rotklinkervilla ruht einladend die warme Mittagssonne. Der Blick des Besuchers wandert in den satten, perfekt angelegten Garten mit Teich, hübschen Teepavillons und Buchsbäumen, eingerahmt von nicht minder perfekten Nachbargärten. Eine fast 200 Jahre alte, rund 25 Meter hohe enorm imposante Platane macht die städtische Idylle vollkommen - doch leider hat der Hausherr eine schlimme Pollenallergie, was den vielzitierten Standardspruch untermauert, wonach man im Leben nicht immer alles haben kann.
Christoph Seibt ist einer der erfolgreichsten deutschen Anwälte für Gesellschaftsrecht, Doktor h.c., Partner der internationalen Sozietät Freshfields Bruckhaus Deringer, Honorarprofessor an der Bucerius Law School. Der Platz auf seiner Veranda mag dem 44-jährigen Top-Juristen verwehrt bleiben, doch ansonsten erscheint er wie ein Mann, der alles hat: Erfolg, Bestätigung, eine Familie, die stützt und beflügelt, ein wunderbares Haus mit wunderbarer Kunst – moderne Exponate, die Seibt sammelt und teils auch in die neuen Räumlichkeiten der Sozietät an den Hohen Bleichen ausgeliehen hat, – einen Schuss Selbstironie und die Einsicht, dass es das Leben mit ihm recht gut gemeint hat.
Im puristischen Wohnzimmer, unter einer großformatigen Aluminiumarbeit des deutschen Minimal-Art-Künstlers Frank Gerritz, mit dem Seibt auch eine private Freundschaft verbindet, und im sicheren Abstand zur kontaminösen Platane, steht Sushi und grüner Tee auf dem Tisch. Wie passend, denn Seibt steht unmittelbar vor seinem Aufbruch nach Japan, wo er die kommenden vier Monate verbringen wird.
LTO: Herr Dr. Seibt, wie schön, Sie noch anzutreffen. Wollten Sie nicht längst verschwunden sein?
Seibt: Das stimmt, aber ich musste mein Sabbatical um einen Monat verschieben, weil ich die Hauptversammlung und Finanzierung eines wichtigen Mandanten abschließen wollte. Aber nun sind die Termine in Japan festgezurrt.
LTO: Vier Monate nicht im Job zu sein, ist reinster Luxus. Wie konnten Sie Ihre Partner von dieser Idee überzeugen - oder hat man Sie aus Sorge um Ihre geistige und körperliche Gesundheit angehalten, diese Auszeit anzunehmen?
Seibt: In meiner Sozietät wird jedem Partner nach zehn Partnerjahren ein Sabbatical angeboten. 98 Prozent nehmen das in Anspruch. Wer es nicht tut, muss sich rechtfertigen - und zwar mit richtig guten Argumenten.
LTO: Warum Japan und wie planen Sie, diese kostbare Auszeit zu füllen?
Seibt: Während meines Studiums habe ich neben Jura und Philosophie vier Semester Japanologie studiert, sprach ein paar Sätze, beherrschte Zeichen, vergaß aber das meiste. Japan reizt mich, weil ich die minimalistische Ästhetik mag, die alte Kultur genau so wie Manga-Popkultur oder die spektakuläre Städtearchitektur.
LTO: Widmen Sie sich dort ausschließlich der Sprache und der Landeskultur oder hegen Sie juristische Hintergedanken?
Seibt: Ich habe eine Gastprofessur für Europäisches Kapitalmarktrecht an der Universität von Kyoto inne. Aber vor allem möchte ich erfahren, wie Japaner ihre Börsenunternehmen strukturieren und Managemententscheidungen treffen. In Japan gibt es keine Aufsichtsräte oder Arbeitnehmervertreter in der Unternehmensführung. Die neue Regierung überlegt, das deutsche Model der Mitbestimmung zu übernehmen. Das Thema finde ich hoch spannend.
LTO: Ein echtes Sabbatical würde ich mir anders vorstellen. Wenn sich das nicht nach Job anhört, dann weiß ich auch nicht...
Seibt: (lacht) Nein, das ist Spaß für mich! Ich werde mich aus dem aktuellen Geschäft zurückziehen, mein Blackberry ausstellen, maximal einmal täglich meine E-Mails checken. Ich arbeite bis zu 80 Stunden pro Woche, aber ich kann auch sehr gut anders. Diese Reise hat keinerlei Akquise-Hintergedanken. Wenn überhaupt Business, dann möchte ich mich mit Japanern austauschen über deren Positionierung als industrielle Weltmacht, die seit 20 Jahren in einer Rezession lebt und mit Indien und China beinharte Konkurrenten hat. Außerdem lerne ich Japanisch, werde drei Tage Koch-Hospitant in einem Tokioter Sushi-Restaurant sein, plane Kunstsammler zu besuchen und im Anschluss zusammen mit meiner Familie das ganze Land zu bereisen, worauf ich mich am meisten freue.
Über dem Flügel im Musikzimmer hängt eine bombastische Hängeleuchte im 60er-Jahre-Look. Ein glaskugeliges Original namens "Metropolitan", das Seibt in der New Yorker Met entdeckt und von der Wiener Manufaktur Lobmeyr bezogen hat. In der Bel Etage und im ersten Stock befinden sich Bild-Installationen von Imi Knöbel, diverse Aluminiumarbeiten und Skulpturen von Frank Gerritz - dem Seibt einen eigenen Raum gewidmet hat, der sogenannte „Franky’s Place“-, Werke von Donald Judd, neonbunte Acrylglas-Arbeiten von Regine Schumann, spektakuläre Farb-Fotografien von Michael Wesely, Bleibilder von Günther Förk und immer wieder kritzelig-akribische Zeichnungen der Künstlerin Jorinde Voigt. Deren Werk „Zwei küssen sich“ haben sich Christoph und Christiane Seibt zum Hochzeitstag geschenkt - eine Liebe, die seit der Oberstufe besteht.
LTO: Herr Seibt, haben Sie familiäre Verbindungen zum Juristischen oder was hat Sie dahin gezogen?
Seibt: Mein Vater war Hochschullehrer für Ökonometrie, meine Mutter Volkswirtin, die mit Mitte 40 ein Jurastudium drangehängt hat. Sie war in einer Exportversicherung tätig, was sich mit meinem Feld nie überschnitten hat. Jura sollte für mich der Wegbereiter in den diplomatischen Dienst sein. Ich wollte etwas voranbringen, war ein Kind der 80er Jahre, geprägt vom Nato-Doppelbeschluss, dem Zerbrechen der sozial-liberalen Koalition, New Wave, Neon-Kunst und Michael Douglas in „Wallstreet“.
LTO: Lässt sich eine Karriere wie Ihre planen?
Seibt: Bei mir hat sich das eher sprunghaft entwickelt. Mit 25 habe ich für die EU in Brüssel die damals berühmten Bananen-Importbeschränkungen verteidigt und vor dem Welthandelsgericht verloren. Es ging um die Verteidigung unserer neuen Quasi-Nationalfrucht – ein Symbol der Wiedervereinigung und für mich eine kuriose Episode. Dann habe ich Christian Wilde kennengelernt, einen großartigen Anwalt und Unternehmensberater, bei dem ich geblieben bin. Er hat mich in große Mandate eingeführt, etwa das der Continental AG.
LTO: Sie haben einmal gesagt, dass ein Anwalt zwingend moralische und ethische Grundsätze befolgen muss. Welche sind Ihre und wie finden die in Ihrer juristischen Praxis Eingang?
Seibt: Ich bin in einem Berufsfeld tätig, von dem andere sagen, es sei kriegsähnlich. Eine Übertreibung. Aber es geht sehr viel um Schachzüge, die richtig platziert werden müssen. Manches ist rechtlich nicht verboten, verbietet sich aber ethisch. Ich frage mich bei allem, was ich mache, stets, ob ich als mein Gegner auch so behandelt werden möchte. Manchmal gibt es Argumente, die einem nützen, die zu benutzen allerdings wenig tugendhaft wäre. Darauf zu verzichten, erscheint letztlich klüger. Es geht nicht darum, jede Etappe zu gewinnen.
Im Kinderstockwerk des knapp 100 Jahre alten Gebäudes deuten Bälle, Kickboards und bunte Kissen auf ihre Bewohner hin. Fröhlich sieht es hier aus, hell und bunt. Auch hier hängen Originale von Penk und Middendorf – „die lieben meine Jungs“ erzählt ihr Vater. Zwei ethnische Werke leuchten hinter Glas, das allerdings schon etliche Male zu Bruch gegangen ist. „Ich sollte mich vielleicht mal dagegen versichern“, sinniert der Jurist mit wenig echter Besorgnis in der Stimme.
LTO: Herr Seibt, wenn Ihr neunjähriger Sohn von seinem Papa wissen will, ob er auf der Seite der "Lieben" oder der "Bösen" steht, was antworten Sie?
Seibt: Bei meinen Mandanten gibt es keine Guten und Bösen. Meine Mandanten formulieren Interessen, die meistens rational sind – etwa ihre Wettbewerbsfähigkeit zu behaupten, in dem sie den Konkurrenten übernehmen. Das ist deren Anliegen. Aber ist es falsch? Sicher gibt es Grenzen. Schlicht gesagt: Man sollte nichts tun, wofür man sich schämen müsste.
LTO: Eine aktuelle Studie zeigt, dass juristische Entscheidungen von intuitiven und emotionalen Prozessen vorbereitet, aber von logischem Denken entschieden werden. Für Sie an der Schnittstelle zwischen M&A und Kapitalmarktrecht: Beziehen Sie menschliche Schicksale in Ihre juristischen Entscheidungen mit ein?
Seibt: Es wäre gelogen, wenn ich bei einer Firmenübernahme sagen würde: Ich denke zuerst an die betroffenen Mitarbeiter. Durch meine Erfahrung agiere ich ein wenig wie ein Unternehmensberater, der berät, der aber auch bereit ist, unangenehme Konsequenzen wie großangelegte Entlassungen juristisch umzusetzen, wenn das der Entscheidung und den langfristigen Interessen des Mandanten entspricht. Es ist nicht meine Aufgabe, mir die Interessen von Arbeitnehmern zueigen zu machen, dafür gibt es Gewerkschaften. Ich kann auch sehr gut damit leben, dass jeder seine eigenen Interessen wahrnimmt.
LTO: Sie klammern Emotionen also völlig aus...
Seibt: Ich bin insgesamt ein sehr kopfgesteuerter Mensch. Mein juristischer und philosophischer Hintergrund hebt das Analytische hervor und nicht die emotionale Empathie. Hinzu kommt, dass ich eine ordoliberale Grundeinstellung habe und an das Eigennutzstreben des Menschen und an soziale Systeme glaube. Gesellschaften müssen funktionieren unter der Annahme, dass Menschen egoistisch sind. Ich möchte nicht in einer Gesellschaft leben, die darauf basiert, dass sich alle um ihren Nächsten kümmern. Das funktioniert nicht. Lieber davon ausgehen, dass alle Egoisten sind und dann einen Prozess steuern.
LTO: Welche Rolle spielt die Kunst in Ihrem Leben?
Seibt: Kunst ist neben Familie und Beruf mein größtes Interesse. Eine musische Passion hat es immer schon gegeben. In meiner Schulzeit bin ich dreimal die Woche ins Theater gegangen. Aber ohne Bildende Kunst wollte ich nicht sein.
Gil Eilin Jung, Christoph Seibt: . In: Legal Tribune Online, 13.06.2010 , https://www.lto.de/persistent/a_id/706 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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