BGH-Präsidentin Limperg bei "Jung & Naiv": Sand­ku­chen aus Karls­ruhe, ext­ra­tro­cken

Gastbeitrag von Dr. Lorenz Leitmeier

21.06.2024

Youtuber Tilo Jung hat BGH-Präsidentin Bettina Limperg zum Duz-Interview eingeladen. Die beiden sprechen dreieinviertel Stunden, sagen aber wenig. Schade, meint Lorenz Leitmeier. Dafür kennt er jetzt die heilsame Wirkung der Kürbiszubereitung.

Die Interviewreihe "Jung und Naiv – Politik für Desinteressierte", moderiert von Tilo Jung, ist bei Folge 711 angekommen. Darin zu Gast: Bettina Limperg. Wer noch mal? Bettina Limperg, Präsidentin des BGH. Für ganz Desinteressierte: Bundesgerichtshof. Revisionsgericht. Karlsruhe.  

Wer trotzdem bleibt, erfährt gleich zu Beginn, dass es für jeden Richter ein Traum ist, am BGH zu arbeiten, und "in dem Laden" 13 Zivilsenate und sechs Strafsenate zu Hause sind. "Zu Hause" darf man wörtlich nehmen, jeder Senat hat sein Familienleben: Unter der Woche streitet man hart, am Wochenende gibt es dann zur Beruhigung auch mal gemeinsame Ausflüge, zum Bayerischen Obersten Landesgericht etwa, ist ja ein schönes Gebäude. Bettina schneidet gegen den Stress gerne Kürbis, danach geht’s wieder. Es folgen Fragen zum Disziplinarrecht, nach acht Minuten Sendezeit ist man beim "Burn-Out", also thematisch. 

Juristenhumor, kennt nicht jeder 

Bettina ist im Anwaltssenat, im Gesetz steht nämlich, dass der Präsident den Vorsitz dieses Senats hat, und Bettina legt das so aus, dass das auch für die Präsidentin gilt. Feiner Juristenhumor, kennt vielleicht nicht jeder. Alle Senate sind gleich wichtig, Amtshaftung, Versicherungsrecht, sämtliche Materien erfordern unheimliche Kompetenz. Präsidenten nehmen immer das, was die anderen nicht wollen, den Kartellsenat zum Beispiel. Macht aber natürlich ebenso Spaß, selbstverständlich.  

Nächstes Thema: Fachkräftemangel. Bei den Richtern geht es noch, die "blanken" IT-Abteilungen machen aber Sorge. Die technische Ausstattung und der Zustand der Sitzungssäle in deutschen Gerichten: oft traurig. Bei Justizminister Buschmann kann sie schon vorsprechen, aber Christian Lindner rückt halt kein Geld heraus. Jungs Frage nach einem "Sondervermögen Rechtsstaat" wird versenkt in einer Antwort zur Mischfinanzierung von Bund und Land (Jung: "Aha."), grundsätzlich aber gilt: Justiz darf kein Mangelbetrieb sein.  

Die nächsten Themen des Gesprächs: KI und Legal Tech an den Zivilgerichten? Für standardisierte Massenverfahren (Flugverspätungen) ja, ansonsten Vorsicht: Die Entscheidung muss der Mensch treffen, die Rechtsprechung ist den Richtern anvertraut. Wie bringt die Justiz sperrige Themen an die Leute? Schwierig bei einer Aufmerksamkeitsspanne von 20 Sekunden, man muss ja auch "seriös sein oder jedenfalls wirken". TikTok will man nicht, ist sehr manipulativ. Knallige Überschriften wie "BGH stärkt Verbraucherrechte" gehen leider auch nicht, viel zu undifferenziert. Man versucht aber, mehr Informationsaufarbeitungen zu machen und ins Netz zu stellen. Puh.  

Ihr Gehalt findet Bettina in Ordnung, aber auf dem freien Markt ist das "nicht viel". Zum Staat gehen Idealisten mit hoher intrinsischer Motivation, die unabhängig entscheiden wollen. Juristen mit besten Noten sind nicht die besten Richter, man braucht ausgeprägte Soft Skills. Der Richterberuf bietet viel Abwechslung: Am Amtsgericht pralles Leben mit "Krethi und Plethi", es wuselt, man muss schnell sein. Am Landgericht: schon ruhiger, man hat mehr Zeit für die Fälle. Oberlandesgericht: nochmal sehr viel ruhiger, da fragt man sich schon mal, wenn die Akte bearbeitet ist: "Und jetzt?" Es finden sich aber wohl Lösungen. Am BGH schließlich sieht man nur noch Anwälte (teilweise echt schlaue) und ausschließlich das Recht. Nur Anwälte und Recht, muss ein Traum sein. 

"Ab und an macht ihr ja auch Grundsatzurteile" 

Thema BGH, suboptimaler Einstieg von Jung: "Ab und an macht ihr ja auch Grundsatzurteile." – "Wir machen NUR Grundsatzurteile am BGH." – "Sorry." – "Hi-hi." Wie hat es denn geklappt mit der BGH-Position? Bettina weiß nicht, warum man auf sie gekommen ist, von den Noten her gab es Bessere. Hat sich aber beworben und – die Stelle gekriegt. Erfreulich. Über das SPD-Ticket? Nein, als Neutrale, sie ist wirklich parteilos. Es folgt eine Art "Kreuzverhör Ronen Steinke", Jung greift zum Buch "Vor dem Gesetz sind nicht alle gleich" und fragt erbarmungslos ("Ronen schreibt dies und das, was sagst du dazu, Bettina?"), bekommt die Antworten aber von – einer Juristin.  

Beispiele: Haben wir eine Klassenjustiz, ist das System abhängig vom Geldbeutel? Bettinas Kopf schwankt, würde sie nicht unterschreiben. Anwälte können schon Sand ins Getriebe streuen, aber es gibt ja die Amtsermittlung, die Verfahren sind fair. Sind Pflichtverteidiger weniger engagiert als Wahlverteidiger? Die Statistiken von Ronen überzeugen Bettina nicht, auf solche Zahlendiskussionen lässt sie sich nicht ein. Die Strafempfindlichkeit ist bei ärmeren Verurteilten aber schon stärker. Waffengleichheit ist wichtig, darauf hat sie immer geachtet, sie kann nicht bestätigen, dass Pflichtverteidiger unterwürfig sind. Einkommen von Angeklagten nicht nur schätzen, sondern ermitteln? Wird eh schon plausibel geprüft. Entspricht Art. 3 GG der Realität? Im Grunde schon, in der Faktizität der Lebensverhältnisse gibt es aber Unterschiede. Ah ja. Erschleichen von Leistungen aus dem StGB streichen? Kann man so oder anders machen. Ersatzfreiheitsstrafe nur durch den Richter? Man müsste das rechtliche Regime ändern. Drogen entkriminalisieren? Kann man nicht pauschal sagen. Cannabisregelung? Ist praktisch nicht zu handhaben, tausend rechtliche Fragen, Gesamtstrafe, hochkompliziert.  

Papa Lehrer, Mama Hausfrau 

Hin und wieder wird es persönlich: Der Vater war Lehrer, die Mutter Hausfrau, die Verhältnisse nicht üppig. Bettina war gut in der Schule und hat gerne Sachen verstanden. Können junge Zuschauer sicher nachvollziehen, geht einem selbst ja auch so; klappt halt nur oft nicht. Die junge Bettina hat nie gekifft, Angst vor dem Kontrollverlust. Hat schon mal ein Gesetz gebrochen, will es aber nicht erzählen. Ist Bettina religiös? Weiß sie nicht, ist aber evangelisch. Der Aufstieg der AfD besorgt sie, Tendenzen sichtbar, die den Rechtsstaat berühren können. Meinung zu § 218 StGB? Dass Abtreibung an sich strafbar ist, wird uns irgendwann vermutlich als falsch erscheinen. Schutzkonzept des Staates ist legitim, Strafbarkeit für sie persönlich aber nicht unbedingt nötig.  

Der Rest wird mit routinierter Verwaltungsrhetorik erstickt: Festkleben auf der Straße als Nötigung? Wird man sehen. Findet sie die Proteste gut? Weiß sie nicht, kann die Jugend aber verstehen. Unternehmen wegen Klimaschäden auf Schadensersatz verklagen? Spannende Frage, kann sie nicht beantworten, sehr, sehr komplexe Rechtsfrage, Schadensersatzrecht schwierig, Schädiger und Geschädigter, Emittenten, Emissionsgeschehen, Kausalität, Zurechnungsfaktoren des Schadensgeschehens... Man schreit gedanklich verzweifelt: Bitte einmal Thomas Fischer, bitte eine Meinung

"Von der Grundanmutung her unprätentiös"

Nach zweieinhalb Stunden übernimmt Politikredakteur Hans Jessen, stellt die Fragen der Zuschauer. Die fanden Bettina "von der Grundanmutung her unprätentios" – schöner kann man es wohl nicht umschreiben. Es folgt Klein-Klein: Gerichtssendungen findet sie gut, Gewaltenteilung auch. Politik kann nur gelingen, wenn viele Perspektiven zusammengetragen werden. Hatte nie das Gefühl, ein Fehlurteil gesprochen zu haben. Werden Verurteilte im Gefängnis kriminell? Strafvollzug: sehr komplexes Thema. Patentrecht: relativ komplex (Jessen: "Komplex ist auch so ein Lieblingswort, das du gerne gebrauchst, wenn’s schwierig wird." – "Ist auch so.").  

Im Vergleich zu den vier Stunden Voßkuhle sind die dreieinviertel Stunden Limperg ja fast schon ein Tiktok-Video. Unterhalten sich aber zwei Menschen im Ruhepuls von sieben Schlägen pro Minute über zementgraue bis aschgraue Themen, überfordert das sogar die Aufmerksamkeitsspanne von Baby-Boomern, das geht am Ende nur mit doppelter Wiedergabegeschwindigkeit. Und trotzdem überkommt einen ab Stunde drei das latente Gefühl, man müsse dringend etwas gegen Stress tun. Vielleicht noch schnell zum Bayerischen Obersten gehen und das schöne Gebäude ansehen? Oder Gemüse schneiden: Heute Kürbissuppe, für 14 Personen mindestens. 

Der Autor Dr. Lorenz Leitmeier ist Richter am Amtsgericht, derzeit hauptamtlicher Dozent an der Hochschule für den öffentlichen Dienst in Bayern (HföD), Fachbereich Rechtspflege. 

Zitiervorschlag

BGH-Präsidentin Limperg bei "Jung & Naiv": . In: Legal Tribune Online, 21.06.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/54826 (abgerufen am: 04.11.2024 )

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