Moderne Kommunikation ohne Bilder ist undenkbar – außer im Recht. Das Rechtssystem ist tief geprägt von Wort und Schrift. Aber es wird sich nicht mehr lange der Bilderflut entziehen können, prognostiziert Prof. Dr. Volker Boehme-Neßler. Erste Anzeichen für den Paradigmenwechsel sind bereits zu erkennen.
Wir leben in einer Bilderwelt. Die Medien und der Alltag sind voll von Bildern. Die Digitalisierung hat das noch verstärkt. Nie war es so leicht, Bilder zu machen, zu speichern und weiter zu geben. Das Foto-Handy wird die Sicht auf die Welt – und damit auch die Welt selbst – stärker verändern, als wir ahnen. Die Schrift und das Buch verschwinden – allen Kulturpessimisten zum Trotz – natürlich nicht. Die moderne Bilderflut ist nicht das Ende der Gutenberg-Galaxis. Aber: Die Kommunikation und das Denken ändern sich tief greifend. Denn mit Bildern und durch Bilder wird anders kommuniziert als durch Worte und Schrift.
Ein kleines gallisches Dorf leistet aber noch Widerstand gegen den Ansturm der Bilder – das Recht. Nirgendwo gibt es so wenige Bilder wie im modernen Recht. Das zeitgenössische juristische Denken ist immer noch zutiefst vom Wort und von der Schrift geprägt. Woran liegt das?
Am Anfang war das Wort – nicht das Bild -, heißt es schon in der Schöpfungsgeschichte. Spätestens seit der Reformation gelten Bilder als emotional und irrational. Sie verkörpern die Sinnlichkeit und die Sünde. Hier liegen die Wurzeln für das logozentrische Vorurteil des Rechts. Juristen wollen gerade – anders als angeblich die Bilder – rational und objektiv entscheiden. Der nüchterne, unsinnliche und rationale Richter ist ein Vorbild für Juristen im Rechtsstaat.
Und ganz unberechtigt sind die Ängste der Juristen vor den Bildern ja nicht. Bilder rühren an tiefe Schichten des Bewusstseins und wecken Emotionen, die sich nur schwer kontrollieren lassen. Das ist für das Rechtssystem, das seinen Zweck in der Kontrolle und Steuerung sieht, natürlich beängstigend.
Die Macht der Bilder
Kann sich das Recht auf Dauer der Macht der Bilder entziehen? Wohl kaum. Wenn Bilder die ganze Welt beherrschen, wird sich das Recht auf Dauer den Bildern und der visuellen Kommunikation nicht verschließen können. Wie sollte das auch gehen? Das Recht existiert nicht im luftleeren Raum. Es beeinflusst die Gesellschaft, und es wird von der Gesellschaft beeinflusst. Wenn sich die Welt verändert, ändert sich über kurz oder lang auch das Recht.
Und tatsächlich: Erste Anzeichen für einen visual turn des Rechts lassen sich bereits beobachten. Ein Beispiel dafür sind die legal videos, die sich anschicken, die amerikanischen Gerichtssäle zu erobern. Anwälte vertrauen nicht mehr ausschließlich auf die Macht des Wortes. Sie ergänzen ihre Plädoyers durch speziell angefertigte Videos, die ihre Sicht des umstrittenen Geschehens als Film zeigen.
Ein anderes Beispiel ist Litigation-PR, die aus den USA nach Deutschland kommende strategische Öffentlichkeitsarbeit bei juristischen Auseinandersetzungen. Sie arbeitet ebenfalls oft mit visuellen Mitteln. Sie setzt gezielt auch visuelle Mittel ein, um das Klima in der Öffentlichkeit zu beeinflussen, etwa zugunsten eines Angeklagten oder eines Konzerns, der auf Schadensersatz verklagt wird. Auch die Bilder, die das Fernsehen ununterbrochen produziert, zeigen Wirkungen. Der Strafprozess gegen O.J. Simpson 1994 in den USA ist ein eindrücklicher Beleg dafür, welche Rolle Fernsehbilder bei der Rechtsfindung spielen können.
Noch sind es vor allem amerikanische Beispiele, die eine Visualisierung des Rechts belegen. Es gehört nicht viel Mut dazu, ein Übergreifen dieses Trends auf Europa vorherzusagen. (Fast) alle kulturellen Entwicklungen aus den USA sind früher oder später auch in Europa angekommen. Diese Prognose lässt sich auch mit einem demografischen Argument untermauern. Zukünftige Juristengenerationen werden in der Bilder-Welt sozialisiert und sind visuelle Kommunikation gewöhnt. Der Generationswechsel modifiziert auch die professionellen juristischen Kommunikationsgewohnheiten.
Noch zögernd und vorsichtig, aber: Das Recht öffnet sich der Bilderkultur. Und das ist auch gut so. Denn sonst wird es unwichtig und zunehmend irrelevant. Rechtliche Normen funktionieren nur dann, wenn sie eine gewisse Verbindung mit dem Leben haben. Anders ausgedrückt: Recht, das mit der Wirklichkeit nichts zu tun hat, wirkt über kurz oder lang nicht mehr. In der Bilderwelt wird das Recht also ein Bilderrecht sein – oder es wird irrelevant.
Bilderrecht
Über eines darf man sich keine Illusionen machen: Die Visualisierung des Rechts und der juristischen Kommunikation wird tiefe Spuren im Rechtssystem hinterlassen. Das visuelle Denken unterscheidet sich fundamental vom Denken mit Hilfe von Worten und Texten. Bilder wirken viel schneller als Worte. Sie sind subjektiver und viel emotionaler als Texte. Wer Aufmerksamkeit erregen und starke Wirkungen erzielen will, muss durch Bilder kommunizieren. Das müsste Juristen eigentlich elektrisieren. Denn sie leben ja durch und von Kommunikation.
Der Einsatz von Bildern in der juristischen Kommunikation birgt – wie alles im Leben – Chancen und Risiken. Die große Chance ist: Juristische Kommunikation kann effektiver, klarer und überzeugender werden, wenn sie neben Texten auch Bilder einsetzt. In den USA sind es vor allem die forensisch tätigen Anwälte, die das schon als Chance begreifen.
Die andere Seite der Medaille ist: Rechtskommunikation wird durch Bilder zwangsläufig emotionaler. Ist das ein Problem für das Recht, das ja eher abstrakt und nüchtern ist – oder sein will? Dass Recht nüchtern und abstrakt, gerade nicht emotional ist, zählt zu den großen zivilisatorischen Fortschritten. Im modernen Rechtsstaat geht es darum, sine ira et studio Konfliktlösungen zu finden, die Rechtsfrieden herstellen und Rechtssicherheit ermöglichen. Und das in Situationen, die an sich besonders konfliktbeladen und emotional sind.
Das Recht und die Juristen müssen also mit Emotionen umgehen können. Sie dürfen sich aber nicht in sie verstricken lassen. Durch seine betonte Abstraktion und Nüchternheit versucht das Rechtssystem, die dafür nötige Distanz zum Geschehen zu wahren. Das wird schwieriger, wenn Bilder im Recht wichtiger werden.
Und noch etwas ist aus Sicht des Rechts problematisch. Die Wirkung von Bildern lässt sich weniger exakt steuern, als die Wirkung von Worten und Texten. Wer visuell kommuniziert, kommuniziert automatisch unschärfer. Bild-Kommunikation ist vieldeutig und deshalb anfällig für Missverständnisse. Das ist aus rechtlicher Sicht ein Manko. Denn Rechtskommunikation ist immer streng zielgerichtet. Es geht ihr gerade darum, die kommunikative Streubreite möglichst gering zu halten. Ein Anwalt sagt nicht irgendetwas in seinem Plädoyer. Er äußert – im Idealfall – gut überlegte Sätze, mit denen er einen bestimmten Effekt vor Gericht erzielen will.
Gratwanderung
Was soll das Recht jetzt tun? Es muss sich auf eine Gratwanderung einlassen. Natürlich kann es sich nicht vorbehaltlos für die Kultur der Bilder öffnen. Denn dann läuft es Gefahr, seine Identität und seine typische Stärke zu verlieren. Es wäre dann nicht mehr das vom Wort geprägte, nüchterne und einigermaßen rationale Mittel, mit dem sich Konflikte vermeiden und lösen lassen. Es könnte – im Gegenteil – zum bunten, emotionsgeladenen Comic-Recht werden, das seine Aufgabe für die Gesellschaft nicht mehr erfüllen kann.
Aber: Das Recht kann sich dem Ansturm der Bilder auch nicht trotzig oder gar selbstgerecht verschließen. Denn dann verliert es – in einer von Bildern dominierten Welt – über kurz oder lang an Bedeutung. Wenn es sich – vorsichtig und überlegt - auf die Kultur der Bilder einlässt, wird es belohnt. Es gewinnt an kommunikativer Stärke und Überzeugungskraft – und es bleibt im notwendigen Kontakt mit der Alltagswelt, die zunehmend zur Bilder-Welt wird.
Prof. Dr. jur. habil. Dr. rer.pol. Volker Boehme-Neßler lehrt u.a. Medienrecht in Berlin.
Veranstaltungstipp: Professionelle Kommunikation für Juristen
Volker Boehme-Neßler, Auf dem Weg zum Comic-Recht?: . In: Legal Tribune Online, 27.06.2010 , https://www.lto.de/persistent/a_id/755 (abgerufen am: 25.11.2024 )
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