Als Handballtorhüter brachte er gegnerische Angreifer mit seinen Reflexen zur Verzweiflung, auf seinen Spitznamen "der Hexer" ist er noch heute stolz: Sportlegende Andreas Thiel ist jetzt erfolgreicher Rechtsanwalt.
Am Tag vor dem Eröffnungsspiel der Handball-Weltmeisterschaft in Berlin, das – sollten Streiks am Flughafen ihm keinen Strich durch die Rechnung machen – auch Deutschlands frühere Torhüter-Legende besuchen wird, ist Rechtsanwalt Andreas Thiel nur schwer zu erreichen. "Gerichtstermine bis in den Nachmittag", teilt seine Kölner Kanzlei mit.
Thiel, den manche als besten deutschen Handballtorhüter des 20. Jahrhunderts bezeichnen, ist auch nach seiner aktiven Karriere, die 2001 endete, sportlich wie juristisch viel beschäftigt: Als Fachanwalt für Familienrecht, Schiedsrichter beim Deutschen Sportschiedsgericht, Justiziar der Handball-Bundesliga und seit Sommer auch als Vorsitzender der Handball-Bundesliga der Frauen.
Dass der mittlerweile 58-jährige Jurist, dem früher reihenweise die Bälle um die Ohren flogen, anscheinend nur im Zustand der Dauerbeschäftigung leben kann, liegt offenbar in seiner Natur. So begann Thiel in den Siebzigern seine Karriere als Torhüter nicht etwa im Handball, sondern im Fußball bei Alemannia Aachen. Fußball aber war ihm zu langweilig, er wechselte zum Handball: "Im Handball gibt es mehr zu tun, da stehe ich häufiger unter Beschuss. Das reizt mich", sagt er.
Juristenausbildung parallel zum Profisport
Ein weiser Entschluss, wie sich in der Folgezeit herausstellen sollte: Mit dem VfL Gummersbach holte Thiel von 1979 bis 1991 einen Titel nach dem anderen. Er wurde fünfmal deutscher Meister, dreimal Pokalsieger und dreimal Europapokalgewinner im Handball. Der Spitzname "Hexer" wurde ihm im Jahre 1982 zuteil, als er bei einem Spiel in Großwallstadt sechs Siebenmeter hielt und Gummersbach auch deswegen gegen den damaligen Erzrivalen knapp gewann. Überhaupt: Thiel hielt in seinen über 500 Bundesligaspielen bis 2001 satte 430 Siebenmeterwürfe – eine beeindruckende Quote.
Noch heute ist der Hexer mit 257 Länderspielen für die deutsche Nationalmannschaft der Torhüter mit den meisten internationalen Einsätzen. Er nahm an drei Olympischen Spielen teil und stand 1989 und 1994 sogar im Kader der Handball-Weltauswahl.
Doch was neben seinen Rekorden als Keeper genauso beeindruckt: Noch während seiner aktiven Zeit als Profihandballer schaffte es der gebürtige Westfale, nebenher eine Juristenausbildung zu absolvieren – trotz täglichen Trainings und Turnieren im Ausland.
"Morgens Klausur, nachmittags Olympiavorbereitung"
"Es war damals eine andere Zeit und ich hatte auch Glück", sagt Thiel im Gespräch mit LTO. So etwa mit seinem damaligen Verein, dem VfL Gummersbach: "Der Verein ist mir damals sehr entgegengekommen" – auch in der Vorbereitung auf das erste juristische Staatsexamen, das Thiel mit einem "guten Befriedigend", wie er sagt, 1989 in Köln ablegte.
Wie so viele Kandidaten besuchte auch Thiel vorher ein Repetitorium. "Nach dem Crashkurs ging's dann manchmal noch für die letzte halbe Stunde zum Training." Das würde heute wohl kein Profiverein mehr akzeptieren.
Er sagt, dass ihm auch aus anderen Gründen der Spagat zwischen Sport und Juristerei gelang: "Damals war die Juristenausbildung in NRW noch eine andere, es gab keine Zwischenprüfung. Die erforderlichen Scheine zu machen – eine Klausur und eine Hausarbeit pro Fach – reichte aus, um sich zum Examen anzumelden. "Morgens ging's also zur Klausur, nachmittags zur Olympiavorbereitung", so Thiel.
Haarig wurde es für den Ex-Keeper aber bei der Vorbereitung auf das zweite Staatsexamen. Die vierwöchige Bearbeitungszeit für die Anfang der neunziger Jahre in NRW noch erforderliche "praktische Arbeit", die in die Bewertung einfloss, fiel ausgerechnet in eine Europapokalphase mit seinem damaligen Verein, dem TSV Bayer Dormagen.
Doch auch diese Herausforderung bewältigte Thiel am Ende erfolgreich. Und nach vielen Europapokalspielen und einem "guten Ausreichend" im zweiten Staatsexamen hatte er erneut Glück: Der Geschäftsführer seines Handballvereins vermittelte ihn an eine renommierte Kölner Kanzlei, die gerade jemanden für das Familienrecht suchte.
"Handball macht mehr Spaß als Jura"
"Es hätte auch jedes andere Rechtsgebiet werden können", gibt Thiel unumwunden zu. Und auch wenn er gerne als Anwalt arbeitet – ein wenig wehmütig blickt er schon zurück: "Die Handballzeit war die schönste meines Lebens". Die Anwaltstätigkeit mache dagegen bei weitem nicht so viel Spaß. Unter anderem gebe es nur noch wenige Gelegenheiten der "Selbstberauschung," wie er es nennt. Und dafür im Familienrecht nicht zuletzt wegen der Geschichten seiner Mandanten "jede Menge Frust".
Seit 1994 ist der Hexer als Rechtsanwalt zugelassen, seit 2003 ist er Fachanwalt für Familienrecht. Auch im Anwaltsberuf kommen ihm Qualitäten zugute, die ihn damals als Siebenmeter-Held bereits im Handball-Tor ausgezeichnet haben: "Man sagt mir auch im Gerichtssaal eine gewisse Ruhe nach", so Thiel zu LTO. Andererseits sei er heute vor einer wichtigen Verhandlung an einem Oberlandesgericht noch genauso nervös wie damals vor einem Handball-Spiel.
Der ehemalige Spitzensportler ist natürlich auch Mitglied in der Arbeitsgemeinschaft Sportrecht im Deutschen Anwaltverein (DAV). Deren Jahrestagung findet in diesem Jahr pünktlich zum Start der Handball-WM ebenfalls im Berlin statt. Da darf der Hexer nicht fehlen. Einen Tag nach dem deutschen Eröffnungsspiel gegen Korea referiert er vor den Sportrechtlern über die "Grundzüge des Lizensierungsverfahrens der Handball-Bundesliga".
Nach den Chancen der deutschen Handballer bei der WM befragt, sagt Thiel: "Das Halbfinale sollte eigentlich das Ziel eines Gastgebers sein." Allerdings: Mit voller Überzeugung würde er darauf nicht wetten. Hexen müssen jetzt andere.
Zum Start der Handball-WM 2019: . In: Legal Tribune Online, 10.01.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/33123 (abgerufen am: 19.11.2024 )
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