2/2: Generalbundesanwalt Alexander von Stahl tritt ab
Die Verdächtigen Wolfgang Grams und Birgit Hogefeld gehörten zur "Kundschaft" der Bundesanwaltschaft als Strafverfolgungsbehörde mit Zuständigkeit für die besonders staatsgefährdenden Delikte. Am 6. Juli 1993 wurde Generalbundesanwalt Alexander von Stahl, der dieses Amt zum 1. Juni 1990 von Kurt Rebmann (1924-2005) übernommen hatte, in den einstweiligen Ruhestand versetzt. Die Bundesministerin der Justiz, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, begründete dies mit widersprüchlichen Presseerklärungen, die von Stahl zur Affäre Bad Kleinen herausgebracht hatte, ungeachtet ihrer ministeriellen Weisung, sich mit Statements zurückzuhalten beziehungsweise diese mit ihr abzustimmen.
Sich bei unübersichtlicher Sachlage gegenüber der Presse zu äußern, ohne zur Klärung beizutragen, kann vielleicht als Grund herhalten, aus einem Amt entfernt zu werden. Doch finden sich viele Indizien, die darauf hindeuten, dass die FDP-Politikerin Leutheusser-Schnarrenberger die Bad-Kleinen-Affäre nur zum Anlass nahm, ihren Parteifreund von Stahl zu desavouieren.
Politische Karriere hatte von Stahl vor seiner Berufung zum Generalbundesanwalt in einer von Feindesland eingemauerten westdeutschen Provinzstadt namens Berlin (West) gemacht. In seiner Partei, der FDP, gehörte er zu den Fürsprechern von Positionen, die eher nicht auf der linksliberalen Tagesordnung stehen. So äußerte sich von Stahl zwar kritisch zur sogenannten Kronzeugenregelung, die probeweise für Terrorismus-Verfahren eingeführt worden war. Allerdings begründete er seinen Vorbehalt damit, dass die Strafverfolgungsbehörden damit dem staatlichen Strafanspruch in den Arm fielen. Um aggressiv arbeitende Strafverteidiger in die Schranken zu weisen, wünschte sich von Stahl eine Beschränkung ihrer Rechte. Derlei zählte nicht unbedingt zu den Anliegen, für die eine eher linksliberale FDP-Politikerin als „Chefin“ des Generalbundesanwalts bürgen wollte.
Nach seiner Entlassung engagierte sich von Stahl verstärkt in nationalliberalen und national-konservativen Kreisen.
General-Kießling-Argument bleibt aus
Die Entlassung des seiner Ministerin nicht hinreichend beflissenen Generalbundesanwalts von Stahl warf 1993/94 die Frage auf, ob der Bundespräsident – zum fraglichen Zeitpunkt der gerne aufs Regierungshandeln blickende Richard von Weizsäcker – die Versetzung des Beamten in den Ruhestand womöglich hätte verweigern können oder sollen, zumal sie gegen den Willen von Stahls vollzogen worden war: Auch ein politischer Beamter dürfe nicht mit einer grob der Wahrheit widersprechenden Begründung in die Freizeit entlassen werden.
Diese Rechtsauffassung ist einer älteren Geheimdienst-Travestie zu verdanken: 1983 war der hochrangige General Günter Kießling (1925-2009) aus dem Dienst gedrängt worden, weil der Verdacht bestand, er könne wegen angeblicher Homosexualität erpressbar sein. Der Bundesverteidigungsminister machte in dieser Affäre nicht den Eindruck, intellektuell besonders zurechnungsfähig zu sein. Seither bestehen Zweifel, ob den Ministern gegenüber politischen Beamten allzu freie Hand gewährt werden sollte.
Martin Rath, Generalbundesanwälte: . In: Legal Tribune Online, 05.08.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/16502 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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