In der juristischen Ausbildung ist der "Katzenkönig"-Fall beliebt. Magisches Denken wirft strafrechtsdogmatische Probleme auf, stellt aber darüber hinaus die Idee intellektuellen Fortschritts in Frage. Eine Auslese zum "Aberglauben".
Zum Lehrstoff irgendeiner verschrobenen Waldorfschule, vielleicht im Fach Physik, hat es diese Verteidigung des Angeklagten in einem etwas seltsamen Fall glücklicherweise noch nicht gebracht: Nach der spiritistischen Literatur sei es möglich, dass Geister ein Haus in Brand setzen.
Diese Idee aus dem magischen Denken brachte der Angeklagte in ein Verfahren wegen Brandstiftung und Versicherungsbetrug ein. Über seine Revision entschied der Bundesgerichtshof (BGH) mit Urteil vom 27. März 1952 abschlägig – es sollte bei einer Zuchthausstrafe von einem Jahr und einer Geldstrafe von 500 Mark bleiben (Az. 4 StR 1002/51).
Auf dem Dachboden seines Hauses war es zu einem Feuer gekommen, obwohl in der Nähe des Brandherdes keine elektrische Leitung verlief. Auch sonst bestand kein guter Grund, warum ausgerechnet dort ein Brand hätte entstehen sollen. So schloss das Gericht den Funkenflug von einem benachbarten Haus oder einer in der Nähe gelegenen Bahnanlage aus.
Zu der Überzeugung, dass der Angeklagte den Brand nur selbst gelegt haben könne, war das Landgericht (LG) Hagen gekommen, weil er ein seltsamer Mensch war – nach den Worten des Urteils ein "pseudologischer Psychopath", ein "pathologischer Lügner", der eine Freude darin gefunden habe, "seinen Mitmenschen einen Schabernack zu spielen" und mit "vorgetäuschten Spukvorgängen und Voraussagen", also Hellseherei, die eigene Machtposition in der Familie zu stärken.
Während der Verhandlung vor dem Landgericht hatte er sich in Trance versetzt, worin er wohl recht geübt war: Indem er seiner Familie bei früheren Gelegenheiten vorführte, wie er mit den Geistern kommuniziert, habe er – so das Gericht – "höchst reale Forderungen durchzusetzen" versucht, "namentlich die auf Schaffung einer wohnlicheren Atmosphäre".
Der BGH sah keinen Widerspruch darin, dass das Landgericht den Angeklagten zugleich als "äußerst töricht" gesehen hatte und doch mit einer überdurchschnittlichen Intelligenz ausgestattet: Er hatte erklärt, die Geister hätten ihm die Botschaft gesendet, es könne ein Brand im Haus ausbrechen und man solle Löschwasser bereithalten.
An einer krankhaften Störung der Geistestätigkeit, § 51 Strafgesetzbuch (StGB) a.F. fehlte es – angenommen wurde, dass seine Geistergeschichten Produkt einer im strafrechtlichen Sinn noch gesunden Fantasie gewesen waren.
"Aberglauben" und "Vernunft" – früher gab es mehr Selbstverständlichkeit
Aberglaube sei "der Glaube an die Wirkung und Wahrnehmung naturgesetzlich unerklärter Kräfte …", definierte das in den Jahren 1927 bis 1942 von den Schweizer Volkskundlern Hanns Bächtold-Stäubli (1886–1941) und Eduard Hoffmann-Krayer (1864–1936) herausgebrachte "Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens" seinen Gegenstand, nicht ohne vorsichtig zu ergänzen "… soweit diese nicht in der Religionslehre selbst begründet sind".
Die in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen Religionsgesellschaften erkennen theologisch – soweit bekannt – ex kathedra keine Gespenster an, deren Verhaltensrepertoire auch die Brandstiftung in fremden Dachstühlen vorsieht.
Der Angeklagte im Hagener Fall hatte, so die Feststellungen des Landgerichts und des BGH, daher mit dem "Aberglauben" seiner Familie gespielt.
Während es den Juristen der 1950er Jahre – trotz der jüngeren, infernalischen Vergangenheit – leicht fiel, die Grenzen zwischen Vernunft und Aberglaube trennscharf zu ziehen, ist es inzwischen mit dieser Gewissheit nicht mehr weit her.
In der Ethnologie ist es sogar ganz aus der Mode gekommen, von "Aberglauben" zu sprechen. Denn es fehlen zu vielen Menschen die klar strukturierten Glaubenssätze einer amtlich anerkannten Religion bzw. der Konsens über die zulässigen Regeln und Gegenstände des Vernunftgebrauchs. Allgemein gilt es heute als unfein, nur Mitbürger von geringem Sozialstatus oder inferiore Menschen in fremden Ländern als anfällig für schlecht organisiertes magisches Denken, also Aberglauben, zu beschimpfen.
Das wäre weniger heikel, könnte man wenigstens noch daran glauben, dass mit dem wissenschaftlich-technischen Fortschritt auch der Geist der Vernunft neue Freundinnen und Freunde findet.
Mobiltelefon und magisches Denken – nicht nur in Europa
Als etwa im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts Mobiltelefone zur Massenware wurden, lösten sie nicht nur in Deutschland erhebliche Besorgnisse aus.
Weit verbreitet war neben der anhaltenden Sorge, die Strahlung könne zu krebsbedingten oder anderen Schäden in der Hirnausstattung der Gesprächsteilnehmer führen, auch die Furcht, dass während eines Gewitters die besondere Gefahr bestehe, beim Telefonieren vom Blitz getroffen zu werden.
Während hierzulande vor allem die Furcht vor einer gesundheitlichen Bedrohung die Wahrnehmung des neuen technischen Geräts in ein Feld rückte, das von magischem Denken jedenfalls nur noch schwer zu unterscheiden war, weckte in vielen afrikanischen Ländern die soziale Seite der Mobiltelefonie neue Ängste.
Nach Erkenntnissen des französischen Ethnologen Julien Bonhomme (1975–) führte die rasante Verbreitung des Mobiltelefons zu einem populären 'Aberglauben', den es zuvor – in Zeiten des Festnetztelefons – noch nicht gegeben hatte: Wer auf seinem Mobiltelefon den Anruf einer ihm unbekannten Rufnummer erhielt oder diesen sogar entgegennahm und eine fremde Stimme hörte, sah sich hierdurch von einem tödlichen oder doch sehr gefährlichen Schadenszauber bedroht.
Massenmedien berichteten von Ohnmachts- und Todesfällen, die durch fremde Anrufer ausgelöst worden seien. Im westafrikanischen Gabun beobachtete Bonhomme im Jahr 2002 wiederholt, dass Mobiltelefon-Nutzer Gespräche mit ihnen unbekannter Rufnummer abwiesen, weil sie darin den Versuch eines Hexers oder einer Hexe vermuteten, ihnen einen magischen Schaden ("fusils nocturnes") zuzufügen.
Übersteigert wurde dabei – so Bonhommes Interpretation – die banale Unannehmlichkeit, die stets darin liegt, der Zudringlichkeit eines fremden Anrufers ausgesetzt zu sein.
Magisches Denken produziert Rechtsprobleme
Gegen die Segnungen der wissenschaftlich-technischen Moderne an sich gerichtet, sind solche Vorstellungen nicht, wie Julien Bonhomme in seinem 2012 veröffentlichten Aufsatz zeigte.
Nur führten die für viele Menschen noch ganz fremden Bedingungen des urbanen Lebens, nachdem sie zuvor in der sozialen Enge des Dorfes aufgewachsen waren, zu einer für sie schier unvorstellbaren Menge anonymer Kontakte – der Stress durch die oft begeistert aufgegriffenen neuen Geräte, mit anonymen Anrufen als höchster Steigerungsform, traf auf die Register des älteren magischen Denkens.
Für Bonhommes Interpretation der Stress-Verarbeitung spricht, dass seinerzeit weitere magische Ideen in afrikanischen Großstädten eine Konjunktur erlebten – namentlich die Furcht von Männern, sie würden ihren Penis verlieren, also zur Impotenz verzaubert, wenn sie ihnen unbekannten Menschen die Hand schüttelten.
Die magisch-sexuelle Komponente des Handschlags mag auf den ersten Blick seltsam wirken, eine Tendenz zu seiner kulturellen Überhöhung ist aber auch dem deutschen Recht nicht fremd. Den Handschlag zu verweigern, kann bekanntlich im Einbürgerungsverfahren schaden.
Es mag zur Kontroverse um einen muslimischen Bewerber um die deutsche Staatsangehörigkeit, der sich weigerte, einem weiblichen Gegenüber im Staatsdienst die Hand zu reichen, ein gutes Stück beigetragen haben, dass Teile des Publikums hier das magische Denken auf beiden Seiten sahen – selbst wenn der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg die kulturelle und rechtliche Seite des Handgebens ausführlich erläuterte und der Fall insgesamt komplexer lag (Urt. v. 20.08.2020, Az. 12 S 629/19, Rn. 62 ff.).
Südafrikanische "Katzenkönig"-Probleme
Den Fackelträgern der Vernunft – stellen wir uns sie ein bisschen boshaft als "FAZ"-Leserbriefschreiber mit MINT-Studienabschluss und auch sonst starken Überzeugungen vor – mag die Einsicht schwerfallen, dass insbesondere moderne, liberale Verfassungen ihre liebe Not mit den Rechtsproblemen magischen Denkens haben.
Belege finden sich indes etwa im jungen Rechtsstaat Südafrika.
Dort setzt sich neben der regionalen Heilpraktiker-Vereinigung namentlich die South African Pagan Rights Alliance (SAPRA) für einen rechtlich definierten Raum magischer Praxis ein.
In Zeiten des Apartheit-Regimes, im Jahr 1957, trat in der Republik Südafrika ein Anti-Hexerei-Gesetz in Kraft, das sowohl die Beschuldigung anderer Menschen als (Schadens-) Zauberer als auch die Eigenwerbung, man sei magisch begabt, unter empfindliche Geld-, Freiheits- und Prügelstrafen stellte.
Die Körperstrafen wurden in den 1990er Jahren zwar beseitigt, eine weitere Reform des Gesetzes bleibt aber in der südafrikanischen Öffentlichkeit umstritten.
Magische Praktiken vom Format einer durchschnittlichen homöopathischen "Therapie" sind eigentlich mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren bedroht. Guten Gewissens dürfte kein katholischer Priester empfehlen, bei der Suche nach einem verlorenen Gegenstand ein Gebet an den zuständigen heiligen Antonius von Padua zu richten. Verfolgt werden derartige Tatbestände aber kaum.
Zugleich finden sich dramatischere Sachverhalte zum Streit darum, wie viel Vernunft dem Bürger im Rechtsstaat abverlangt wird.
So wurden im September 2022 vor dem High Court im südafrikanischen Sterkspruit fünf Angeklagte zu langjährigen Haftstrafen verurteilt, weil sie im März 2020 eine 92-jährige Nachbarin als todbringende Hexe erst misshandelt, sie dann in ihrer Hütte zu verbrennen versucht, schließlich ertränkt hatten.
Die SAPRA kritisierte das Urteil, weil der Richter die besondere Schwere der Schuld verneinte: Die bisher unbestraften Angeklagten hatten seiner Auffassung nach aus einem subjektiven Glauben gehandelt, dass die alte Frau als Hexe einen Schadenszauber gegen ihre Verwandten gerichtet habe. Einen solchen Milderungsgrund lehnt die SAPRA ab.
Aberglauben im Prüfungsschema
Im berühmten deutschen "Katzenkönig"-Fall war es zwei der drei Angehörigen eines "von Mystizismus, Scheinerkenntnis und Irrglauben" geprägten "neurotischen Beziehungsgeflechts" gelungen, den dritten davon zu überzeugen, dass es einen dämonischen "Katzenkönig" gebe, der von ihm ein Menschenopfer verlange.
Der solcherart Überzeugte, von Beruf Polizeibeamter, machte tatsächlich den Versuch, eine als Menschenopfer erkorene Frau mit einem Fahrtenmesser zu töten (BGH, Urt. v. 15.09.1988, Az. 4 StR 352/88).
In der juristischen Ausbildung nimmt der Fall eine bedeutende Funktion ein, weil sich an der Entscheidung des BGH das Problem der mittelbaren Täterschaft illustrieren lässt – volkstümlich formuliert: Wie ist es zu beurteilen, wenn ein Mensch, der einen anderen zu töten versucht, dabei zwar nicht vollständig 'verrückt‘ ist, aber unter dem starken seelischen Einfluss anderer Menschen steht, die ihn zu seiner Tat bewegt haben?
Es ist hier nicht der Raum, dies dogmatisch darzulegen. Erinnert werden soll aber an einen "Katzenkönig"-Witz.
Als Hans Kudlich, heute Strafrechtslehrer an der Universität Erlangen-Nürnberg, in seiner Antrittsvorlesung 2003 unter anderem über den "Katzenkönigfall" sprach, scherzte er: Die richterliche Aussage vom Zusammenleben in "einem von Mystizismus, Scheinerkenntnis und Irrglauben geprägten neurotischen Beziehungsgeflecht" klinge "auf den ersten Blick … wie die Beschreibung der Verhältnisse an einer wissenschaftlichen Hochschule".
Johann Wolfgang Goethe (1749–1832) schrieb, passend zum Thema, über den Göttinger Physiker und Aphoristiker Georg Christoph Lichtenberg (1742–1799), man könne sich seiner Schriften "als der wunderbarsten Wünschelrute bedienen; wo er einen Spaß macht, liegt ein Problem verborgen."
Vermutlich wird die Wünschelrute heute noch in ganz anderen Räumen der deutschen Gesellschaft anschlagen als nur "an einer wissenschaftlichen Hochschule".
Aberglaube im Recht: . In: Legal Tribune Online, 22.01.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/50836 (abgerufen am: 16.11.2024 )
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