Eigentumswohnungen sollte es nach einem alten Ordnungsprinzip des römischen Rechts gar nicht geben – doch gab es sie schon vor dem "WEG" von 1951. Bis heute haben die sprichwörtlichen "Streit- und Händelhäuser" viele Rechtsbereinigungen überlebt. Ein Kapitel Rechtsgeschichte, das auf Literaturgeschichte trifft – erzählt von Martin Rath.
Seinem Tagebuch vertraute der Schriftsteller Helmut Krausser im Januar 2001 an, dass er den Kapitalismus zwar nicht besonders liebe. Bei längerem Nachdenken komme er aber immer wieder darauf, dass Kapitalismus und Demokratie "unabdingbar miteinander verbunden" seien. Er hält fest: "Jeder regulative Eingriff in dieses System bedeutete einen Schritt weg von der Demokratie in irgendeine oligarchische Repressionsform."
Von Repressionsversuchen ganz eigener Art berichtet der 1964 im schwäbischen Esslingen geborene Krausser ein Jahr später. Wenige Schriftsteller können von ihrer Kunst allein leben, eine Zweitwohnung in Berlin-Kreuzberg zu besitzen, dürfte für viele ein Traum bleiben. In der Realität kann das ein Alptraum sein: "Die Mülltonnen für Plastik und Weißblech im Hof werden einfach nicht mehr geleert, solange bis der falsche (Haus-) Müll entfernt und in die richtige Tonne gewandert ist.
In diesen Haus lebt schon ein großer Haufen White Trash...", urteilt Krausser im Februar 2002 über seine Nachbarschaft und berichtet von einem Versuch der Hausverwaltung, sich auf seine Kosten zu bereichern: "Einige der Eigentümer hier sind mit ihrem Wohngeld im Rückstand. (insg. 25.000 Euro)". Die WEG-Verwaltung erklärt sich "bei den laufenden Kosten für zahlungsunfähig und fordert brieflich eine Sonderüberweisung von 250 Euro. Wie bitte? Ich soll für die Säumigen mitzahlen? Das kann doch nicht ernst gemeint sein."
Kann es doch. Und trotzdem: In jüngster Zeit sollen die Immobilienpreise in Berlin leicht anziehen, weil sich Käufer aus den westlichen Bundesländern nicht vom potenziellen Ärger abschrecken lassen.
Von den Streit- und Händelhäusern zum Wohnungseigentum
Dass räumlich getrenntes Eigentum an einem Gebäude viel Ärger bedeuten kann, wussten schon die alten Römer. Ein Grundsatz des römischen Rechts lautet daher: Was mit einem Grundstück fest verbunden ist, gehört unteilbar dem Grundstückseigentümer. Das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB), das am 1. Januar 1900 in Kraft trat, hätte mit dem römisch-rechtlichen Gedanken für klare Verhältnisse auf dem Wohnungsmarkt sorgen können:
Seine Paragrafen 93 und 94 sehen bekanntlich vor, dass Gebäude und ihre wesentlichen Teile – also alles, was sich sinnvoll nicht von ihm trennen lässt – rechtlich mit dem Grundstück verbunden ist. Wer eine Wohnung braucht, so der kapitalistisch-liberale Zeitgeist der Väter des BGB, soll sie vom Eigentümer mieten. Einzelne Wohnungen, einen Keller oder ein Stockwerk zu kaufen oder zu erben, das sollte rechtlich nicht mehr möglich sein.
Möglich war gerade das aber in vielen deutschen Landschaften jahrhundertelang gewesen, ohne dass sich gelehrte Juristen groß damit beschäftigt hätten. In der Enge der mittelalterlichen Städte – die Kölner Stadtmauern wurden beispielsweise erst 1881 abgerissen – war manches Haus aufgestockt worden. Das Eigentum an der neuen Etage wurde dem zugeschrieben, der sie bezahlt hatte. Auch in engen Schwarzwaldtälern ging architektonische Kreativität mit eigensinnigen Rechtsverhältnissen einher, die sich um die römisches Recht nicht kümmerten.
In Bayern gab es Teileigentum an Zimmern und Wohnungen unter der Bezeichnung "Herbergsrecht". Preußen schuf hingegen früh Ordnung – nach der römischen Regel. Großes Durcheinander herrschte im Gebiet des heutigen Baden-Württemberg: im badischen Landesteil konnte Stockwerkseigentum nach den Normen des Code Napoleon behandelt werden, im preußischen Landstrich Hohenzollern dagegen nicht. Gewohnheitsrechtliche Stockwerks- und ähnliche Teileigentumsverhältnisse existierten wiederum in Württemberg.
Aufgeräumt hat das BGB damit nicht, nur die wildwachsende Neubegründung von Teileigentumsrechten wurde beendet. Das Einführungsgesetz zum BGB sah vor, dass der Landesgesetzgeber den Flickenteppich unter Bestandsschutz stellen konnte. Als man sich in Württemberg 1930 dieser Aufgabe annahm, existierten allein dort zwischen 10.000 und 15.000 Fälle von Stockwerkseigentum – abseits von Grundbüchern oft durch private Dokumententradition konstruiert. Natürlich lösten die unklaren Eigentumsverhältnisse viele Konflikte aus – sie wurden als "Streit- und Händelhäuser" berüchtigt.
Gegner des liberal-kapitalistischen Ordnungsmodells
Das klare Modell des BGB, das für ein Haus nur einen Eigentümer kannte und im Haus gegebenenfalls noch Wohnungsmieter, fand nicht nur in den süddeutschen Eigentümern von Stockwerken und "Herbergen" seine Gegner. Friedrich Georg Jünger, der – wie sein älterer Bruder Ernst– in den 1920er-Jahren als national-konservativer Schriftsteller bekannt wurde – zeichnete in seiner juristischen Doktorarbeit "Über das Stockwerkseigentum" ein ziemliches Zerrbild vom liberalen Konzept: "Die starre Macht des Eigentümers, der sein Recht vom Mittelpunkt der Erde bis zum Firmament befestigt, ist lange gebrochen [...] Wie lässt es [die rechtliche Bindung von Grund und Gebäude, MR] sich hier aufrecht erhalten gegenüber den zahllosen Unterkellerungen, Gas- und Wasserleitungen, gegenüber Kanalisationsanlagen, Tunnels und Drainageanlagen?"
Weil die moderne Stadt von Tunneln, Röhren und Leitungen durchfasert ist, so ein Gedanke in Jüngers Dissertation von 1924, sei die vom BGB geforderte Einheit des Eigentums von Grundstück und Gebäude nicht plausibel. Darüber hinaus habe Jünger, so sein Wiederentdecker Lovis Maxim Wambach, aus dem Wachstum der Großstädte und der sozialen Not des 20. Jahrhunderts die Prognose abgeleitet, dass dem Wohnungseigentum eine große Zukunft bevorstehe.
1951 – ein Zwitter wird geboren
Dem Wohnungseigentumsgesetz (WEG), das im Frühjahr 1951 in Kraft trat, haftete zunächst viel von der Rhetorik Friedrich Georg Jüngers an. Extremer Wohnungsmangel, bedingt durch die Flucht und Vertreibung aus den Ostgebieten und die Folgen des Bombenkriegs, mochte sie rechtfertigen. Einerseits eröffnete das WEG in den deutschen Landschaften, in denen das traditionelle, gern und heftig umstrittene Stockwerkseigentum, Herbergsrechte und ähnliche Institute gepflegt wurden, den Weg in geordnete Verhältnisse. Das Land Baden-Württemberg erließ 1975 ein Ausführungsgesetz zum BGB, das erlaubte, altes Stockwerkseigentum in neues Wohnungseigentum umschreiben zu lassen. Gerichte und Baubehörden können notorische Streithanseln im "Ländle" sogar dazu zwingen.
Abnehmende Eigentumsstreitigkeiten in Baden-Württemberg sind das eine, neuer Konfliktstoff durch das WEG im Bundesgebiet sind das andere. Das WEG erlaubt seit 1951 bundesweit die Aufteilung von Häusern in verschiedene Eigentumseinheiten. Freiheit in der Verteilung der Verantwortung lässt das Gesetz den Wohnungseigentümern: Soll das Stimmrecht in der Eigentümerversammlung nach Flächeneinheiten verteilt sein oder pro Wohneinheit? Soll der Eigentümer mehrer Wohneinheiten ein Stimmrecht haben oder für jede Wohnung eines?
Je weniger Wohneinheiten ein Haus hat, desto mehr Streitigkeiten wird es geben. Manchem Anwalt, der sonst zu wenig zu klagen hätte, mag eine Wohnungseigentümer-Gemeinschaft aus der Patsche helfen – soweit die Wohnungseigentümer schlecht informiert und gut rechtschutzversichert sind. Für Mieter gilt das zwar analog, doch können sie eher umziehen als Wohnungseigentümer.
Wohnungseigentümer – nicht Igel, nicht Nomade
Robert Nef, Leiter des "Liberalen Instituts" in Zürich, hat sich einmal über den "Mythos vom freien Hauseigentümer" lustig gemacht. Die Vorstellung vom Hauseigentümer, der mit der Scholle verbunden in seinem Häuschen sitzt, "am Sonntag die Fahne hisst" und "die Nation liebt, doch gegenüber der Regierung, die Steuern einzieht, größtes Misstrauen hegt" passe viel weniger zu einer modernen, sozial und geografisch mobilen Dienstleistungsgesellschaft als die Realität des Wohnungsmieters, der sich beizeiten den gewandelten Bedürfnissen anpasst – den eigenen, wie jenen der Gesellschaft.
In seiner Dissertation über das Stockwerkseigentum sprach der Stuttgarter Rechtsanwalt Ernst Schott im Jahr 1907 ein zweifaches Verdikt über das Wohnungseigentum aus. Er vermutete zum einen, dass Jurastudenten, die das BGB pauken müssten, bald schon nicht mehr wüssten, was es mit den ulkigen alten Rechtsinstituten auf sich habe. Auch wenn es 104 Jahre später immer noch Stockwerksrechte gibt, hat der Gesetzgeber dieses Problem mit dem WEG reduziert.
Ein zweiter Einwand Schotts lässt sich aber vom alten Stockwerks- auf das heutige Wohnungseigentum übertragen: Das enge Zusammenleben, "das ja ... im rosigen Schein einer Schwarzwaldsommerfrische als sehr traulich erscheinen mag" ergebe "unaufhörliche Reibereien", die "auf Jahrzehnte die Ruhe eines Dorfes stören können". Der Liberale Robert Nef karikiert den Hauseigentümer gegenüber dem Mieter als einen Mann, "der eine Kiste Goldmünzen im Keller liegen hat" und sein "Eigentum notfalls mit der Waffe selbst verteidigt".
Ob Helmut Krausser bei Konflikten mit der Kreuzberger Wohnungseigentümergemeinschaft das Bedürfnis hatte, zur Waffe zu greifen, ist in seinem Tagebuch aus dem Jahr 2002 nicht überliefert. Sicher ist jedenfalls: Ohne den regulativen Eingriff des WEG würde der "White Trash" seiner Nachbarschaft in einer sehr zweifelhaften Demokratie über das Kapital verfügen – gut, dass so selten eine "Kiste Goldmünzen im Keller" steht.
Der Autor Martin Rath ist freier Journalist und Lektor in Köln.
Literatur:
Helmut Krausser: "Januar, Februar", Reinbek bei Hamburg (Rowohlt) 2003
Robert Nef: "Igel oder Nomade?" in: "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung" Nr. 23 vom 8. Juni 2003
Ernst Schott: "Das Stockwerkseigentum nach den Bestimmungen des württembergischen Rechts unter Einwirkung des Reichsrechts", Diss., Erlangen 1907
Hans-Wolf Thümmel: "Abschied vom Stockwerkseigentum (?)", Juristenzeitung 1980, 125-134
Lovis Maxim Wambach: "Verdrängt und verschwiegen: Friedrich Georg Jünger, der Rechtdenker und Diagnostiker der technischen Welt und ihrer Zerstörung des Rechts" in: Rechtstheorie 1999, 382-400
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Martin Rath, 1951 tritt Wohneigentumsgesetz in Kraft: . In: Legal Tribune Online, 20.02.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/2582 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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