Meinungsfreiheit nicht ausreichend berücksichtigt: BVerfG kas­siert Urteil gegen Kli­maak­ti­visten Samuel Bosch

von Charlotte Hoppen

05.04.2024

Samuel Bosch versteckte sich vor der Polizei, nachdem er wegen übler Nachrede verurteilt wurde. Aus dem Arrest heraus plante er weitere Projekte. Nun hat Bosch mit einer Verfassungsbeschwerde gegen seine Verurteilung Erfolg.

Der Klimaaktivist Samuel Bosch ist bekannt für öffentlichkeitswirksame Protestaktionen: Im Frühjahr 2021 besetzte er mit anderen Klimaaktivisten über viele Monate den Altdorfer Wald mit Baumhäusern, um seine Rodung für den Kiesabbau zu verhindern. Im Sommer 2022 legte er mit einer Straßenblockade vor dem Nürnberger Hauptbahnhof den Verkehr mit rund 50 weiteren Aktivisten über drei Stunden lahm. Und im Sommer 2023 brachten er und andere Aktivisten in Ravensburg Banner an Zementsilos an. Für seine Protestaktionen stand er mehrfach vor Gericht und wurde bereits wegen Containerns von Lebensmitteln, übler Nachrede und Hausfriedensbruch verurteilt.

Eine seiner neueren Aktionen beschäftigte jetzt auch das Bundesverfassungsgericht (BVerfG). Er hatte die Regierung von Schwaben in Augsburg unter anderem als korrupt bezeichnet. Gegen seine diesbezügliche Verurteilung wegen übler Nachrede hatte er Verfassungsbeschwerde (Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a Grundgesetz (GG)) eingereicht. Die Karlsruher Richter gaben Bosch am Donnerstag recht und ordneten eine neue Verhandlung am Amtsgericht (AG) Augsburg an (Beschl. v. 04.04.2024, Az. 1 BvR 820/24), weil das Gericht die Meinungsfreiheit nach Art. 5 Grundgesetz (GG) nicht hinreichend berücksichtigt habe.

Protest gegen Regierung von Schwaben

Die Protestaktion, um die es hier ging, richtete sich gegen den damaligen Regierungspräsidenten Erwin Lohner. Bosch hatte mit weiteren Aktivisten im Oktober 2022 die Bezirksregierung von Schwaben in Augsburg besetzt und den damaligen Regierungspräsidenten als korrupt bezeichnet. Sie hatten auch ein Banner mit der Aufschrift "Lohwald-Rodung trotz laufender Gerichtsverfahren? Frech!" an der Fassade der Regierung angebracht. Außerdem hatten die Aktivisten Lohner vorgeworfen, den Lohwald zu "verhökern".

Hintergrund der Protestaktion war eine Genehmigung im Zusammenhang mit einer Waldrodung, die von den Aktivisten scharf kritisiert wurde. Zum Zeitpunkt der Rodung war der Bayerische Verwaltungsgerichtshof mit der Prüfung der Rechtswidrigkeit des Rodungsvorhabens beschäftigt. Der Lohwald wurde im Herbst 2022 – trotz der laufenden Klage – für die Erweiterung eines Stahlwerks vorzeitig gerodet.

Für diese Protestaktion war der damals 20 Jahre alte Klimaaktivist im Juni 2023 zusammen mit einer weiteren Angeklagten vom AG Augsburg wegen übler Nachrede gegen Personen des politischen Lebens (§ 188 Strafgesetzbuch (StGB)) sowie Hausfriedensbruch (§ 123 StGB) verurteilt worden. Das Landgericht (LG) Augsburg bestätigte die Entscheidung. Verurteilt wurde er zu drei Wochen Jugendarrest (§ 13 Abs. 2 Nr. 3 Jugendgerichtsgesetz (JGG)).

BVerfG: Äußerungen nicht ausreichend an Art. 5 GG gemessen

Vor dem BVerfG hat Bosch nun einen Erfolg erzielt. Das Gericht bemängelte, dass bei der Verurteilung wegen übler Nachrede aufgrund des Korruptionsvorwurfs das Recht auf Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG) von den Augsburger Richtern unzureichend geprüft worden sei. Der Beschluss des Gerichts liegt noch nicht vor. Eigenen Angaben der Aktivisten zufolge soll das Gericht ausgeführt haben, dass die Begründung, mit der die Augsburger Gerichte vom Vorliegen einer Tatsachenbehauptung ausgingen – und damit § 188 StGB bejahten –, verfassungsrechtlichen Maßstäben nicht genüge und damit den grundrechtlichen Schutz der Meinungsfreiheit verkürze. Insbesondere hätten die Gerichte jeweils keinerlei Einordnung in den Kontext vorgenommen.

Das BVerfG hob die entsprechenden Urteile gegen den Klimaaktivisten deshalb auf (§ 95 Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG)). Jetzt ist das AG Augsburg wieder an der Reihe und muss erneut entscheiden. Die Karlsruher Richter betonten, dass damit nicht entschieden sei, ob die Aussage über den hohen Regierungsbeamten zulässig gewesen sei. Der Tatbestand der Beleidigung (§ 185 StGB) sei bislang auch nicht Teil des Verfahrens gewesen. Auf den Aspekt des Hausfriedensbruchs (§ 123 StGB) gingen sie in der Entscheidung nicht im Detail ein.

Bosch versteckt sich vor Polizei und plant im Arrest "Workshop-Woche"

Seinen dreiwöchigen Arrest sollte Bosch eigentlich bereits am 14. März antreten. Dieser Ladung ist er jedoch nicht nachgekommen. Die Zeit ab dem eigentlichen Haftantritt hat er stattdessen mit der Fortführung seines Aktivismus verbracht. So nahm er einen Tag später noch an einer Podiumsdiskussion zum Klimaschutz teil. Trotz hoher Polizeipräsenz ist es ihm danach gelungen, unbemerkt das Gebäude zu verlassen. Zudem hängte er mit einigen anderen Aktivisten zwei Protestbanner vor die Jugendarrestanstalt in Göppingen – in der er eigentlich zu diesem Zeitpunkt sitzen sollte: "Klimaschützen ist kein Verbrechen" war dort zu lesen, daneben hing das Banner von der Aktion, für die er verurteilt wurde: "Lohwald-Rodung genehmigen trotz laufender Gerichtsverfahren? Frech!"

"Ich hatte einige feste Termine für meinen Klima-Aktivismus, daher wäre ein pünktlicher Haftantritt unsinnig gewesen", sagte Bosch. Da er im April weitere Termine habe, werde er seine Haft selbstbestimmt antreten. Zeit dafür hat er dann am 21. März gefunden. Rund 30 Unterstützer begleiteten seinen Haftantritt mit einer Kundgebung. 

Doch auch im Arrest fand Bosch keine Ruhe. Die Zeit dort hat er genutzt, um sein Engagement für Klimagerechtigkeit auf andere Weise fortzuführen. Aus der Arrestanstalt heraus organisierte er eine "Workshop-Woche": In den Baumhausdörfern im Altdorfer Wald soll es ab Mai ein vielfältiges Programm geben. Interessierte Bürger sollen dort lernen, wie man Städte verklagen kann, wenn sie Demonstrationen verbieten, wie man in Notsituationen Bäume zu ihrem Schutz besetzen kann und wie ein "Lock-on" funktioniert. Gemeint ist damit eine Vorrichtung, mit der sich Aktivisten an Bäume anketten können.

Nach Angaben der Klimaschützer musste der verurteilte Aktivist wegen der Verfassungsgerichtsentscheidung nun vorzeitig aus dem Arrest entlassen werden, den er gerade absaß. Seinen Aktivismus kann er daher jetzt wieder außerhalb der Göppinger Mauern fortführen.

Mit Materialien der dpa

Zitiervorschlag

Meinungsfreiheit nicht ausreichend berücksichtigt: . In: Legal Tribune Online, 05.04.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/54264 (abgerufen am: 24.11.2024 )

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