Der Landtag Brandenburg hat am Donnerstag das erste Paritätsgesetz in Deutschland beschlossen. Die dort festgeschriebene Quotierung der Landeslisten ist aber offensichtlich verfassungswidrig, meint Alexander Hobusch.
Der Landtag Brandenburg hat das erste sogenannte Paritätsgesetz in Deutschland beschlossen und damit die gesetzliche Quotierung der Landeslisten der Parteien für die übernächste Landtagswahl angeordnet. Von den verfassungsrechtlichen Bedenken, welche andere Landtage bei den Beratungen von vergleichbaren Entwürfen hatten, ließ man sich nicht beirren. Ein Fehler, denn die Quotenregelungen sind offensichtlich verfassungswidrig.
Die Einführung gesetzlicher Quotierungen für die Parteien begegnet allgemein erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken. Zum einen beeinträchtigt dies die Wahlrechtsgrundsätze aus Art. 38 Abs.1 S.1 Grundgesetz (GG): Die Freiheit der Wahl beinhaltet nicht nur den Schutz vor staatlicher oder privater Beeinflussung, sondern auch ein freies Wahlvorschlagsrecht des Einzelnen (und auch der Parteien). Ist aber die Struktur der Liste gesetzlich vorgegeben, entfällt die Hälfte der möglichen Listenplätze für eine Kandidatur.
Ebenso steht es um die Gleichheit der Wahl: Hier muss eine Kandidatur auf allen Plätzen mit gleicher Erfolgschance möglich sein, was bei den nun "falschen" Listenplätzen, also denen des anderen Geschlechts, nicht mehr möglich ist: Die Erfolgschance einer Kandidatur ist hier gleich null. Auch ein Abstellen auf die Gleichheit der Stimmen und damit die aktive Wahlrechtsgleichheit führt dazu, dass abgegebene Stimmen auf die "falschen" Kandidaturen ihren Wert verlieren.
Diverse Parteienrechte werden beeinträchtigt
Daneben sind auch spezielle Rechte der Parteien beeinträchtigt: Die Parteienfreiheit enthält Gewährleistungen wie die Organisations-, Programm- und Mitgliederfreiheit sowie die Freiheit zur Tendenz: Die Parteien dürfen also ihre innere Organisation und die Besetzung von Ämtern auf die Parteitendenz hin ausrichten. Grenzen setzen hier lediglich der Grundsatz der innerparteilichen Demokratie und die Wahlrechtsgrundsätze. Wird aber den Parteien vorgeschrieben, nach welcher (Geschlechter-)Struktur ihre wohl wichtigste Personalfrage, nämlich die Aufstellung von Wahlbewerbern, vor sich gehen muss, liegt auch hier eine Beeinträchtigung vor.
Auch die Programmfreiheit der einzelnen Partei ist betroffen: Insofern, als dass die die Entscheidung für oder gegen eine Quote durchaus eine inhaltliche Komponente hat. Denn nicht ohne Grund haben einige Parteien – verfassungsrechtlich von der inneren Parteienfreiheit gedeckte – innerparteiliche Quoten in ihren Satzungen verankert, dies soll auch Wähler von der Partei überzeugen und dient der inhaltlichen Profilierung. Außerdem darf auch die Chancengleichheit der Parteien nicht aus dem Blick geraten: Zwar gilt die Partei formal für alle Parteien gleich, für größere, mitgliederstarke Parteien ist es aber wesentlich leichter, genügend Bewerber beider Geschlechter zu finden, als für kleinere Parteien.
Eine Rechtfertigung der genannten Beschränkungen der Wahlrechtsgrundsätze bedarf nach Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eines verfassungsrechtlich "zwingenden Grundes". Ein solcher ist aber hier nicht ersichtlich. Zwei mögliche Rechtfertigungsgründe werden von Befürwortern in der Regel angeführt.
Rechtfertigung nicht ersichtlich
Zum einen wird teilweise vorgebracht, der geringe Anteil von Frauen in deutschen Parlamenten sei ein Verfassungsbruch und ein Verstoß gegen das Demokratieprinzip bzw. den Grundsatz der repräsentativen Demokratie. Dieser besage – kurzgefasst – auch, dass Frauen und Männer in den Parlamenten paritätisch vertreten sein müssten, denn ohne diesen Gleichlauf sei die Besetzung des Bundestages nicht repräsentativ.
Diese Sichtweise ist aber mit der dem Grundgesetz zugrunde gelegten Bedeutung von Repräsentation unvereinbar. Repräsentation bedeutet danach Handeln für das Volk und Verantwortlichkeit gegenüber dem Volk, nicht allerdings, dass zwischen Parlament und Volk eine Identität oder eine Abbildungsgleichheit besteht. Das Grundgesetz geht vielmehr von dem Grundsatz der Gesamtrepräsentation aus, wonach das Volk nur durch die Gesamtheit der Abgeordneten repräsentiert wird. Zwar wird sich bei Lichte betrachtet nicht jeder Abgeordnete mit allen Themen gleichermaßen beschäftigen können und auch persönliche Präferenzen herausbilden. Der Schluss, nur Männer könnten sich für "Männerthemen" und nur Frauen für "Frauenthemen" einsetzen, wird dabei aber nicht zu ziehen sein. Die Idee der Parität zielt damit weniger auf die Stärkung der "Repräsentation" ab, sondern dient der Stärkung von Karrierewegen für Frauen, was mit Blick auf die geforderten zwingenden Gründe zur Einschränkung u.a. der Wahlrechtsgleichheit eine zweckfremde Erwägung darstellt. Auch der Bayerische Verfassungsgerichtshof konnte jüngst eine Verletzung des Demokratieprinzips oder des Grundsatzes der repräsentativen Demokratie durch einen geringeren Frauenanteil in Parlamenten nicht erkennen (Urt. v. 26.03.2018, Az. 15-VII-16).
Zum anderen wird von Befürwortern auf den Gleichstellungsauftrag aus Art. 3 Abs.2 S.2 GG verwiesen. Dieser erlaube Frauenförderung, um die Benachteiligung von Frauen in der Gesellschaft zu kompensieren. Ob der Gehalt des Art. 3 Abs.2 S.2 GG wirklich dergestalt ist, wird durchaus unterschiedlich beurteilt. Bestritten wird, ob dieser Passus im Anwendungsbereich des besonderen Gleichheitssatzes des Art. 38 Abs.1 S.1 GG überhaupt Anwendung findet. Außerdem muss beachtet werden, dass durch Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG – ein weites Verständnis vorausgesetzt – nicht die Gleichheit im Ergebnis sicherstellen soll, sondern die Gleichheit der Chancen, womit die Paritätserwägungen schon unter diesem Gesichtspunkt nicht unter den Gewährleistungsbereich fallen. Unabhängig von diesem Streitstand sind strikte Quotenregelungen jedenfalls (nach deutlich überwiegender Ansicht in der Literatur) unverhältnismäßig.
"Mit heißer Nadel gestrickt"
Der Brandenburger Entwurf wirkt, als sei er mit heißer Nadel gestrickt. Neben einer praktisch nicht vorhandenen Gesetzesbegründung leuchten auch die Ausnahmen nicht ein, die eine Verfassungswidrigkeit verhindern sollen.
Das Gesetz enthält eine verpflichtende, feste Quote für die Aufstellung der Landeslisten für Landtagswahlen. Diese wird durch eine Kombination von zwei Listen gebildet: Eine Frauen- und eine Männerliste. Die Parteiversammlung bestimmt im Anschluss, mit welcher Liste begonnen werden soll, wodurch sich die Reihenfolge der Liste ergibt. Ist die eine der beiden Teillisten erschöpft, so kann nur noch ein einziger Kandidat der anderen Liste nachrücken ("harte" Quotierung). Für Personen, die sich keinem Geschlecht zuordnen, stehen beide Listen offen, hier besteht eine Auswahlmöglichkeit. Für reine Männer- oder Frauenparteien sind Ausnahmen vorgesehen: Sofern eine Partei laut Satzung nur Frauen oder Männern offensteht, so gelten die Quotenanforderungen nicht für diese Parteien. Ist die Liste nicht alternierend aufgestellt, so ist sie zurückzuweisen. Ist sie nur bezüglich einzelner Bewerber fehlerhaft aufgestellt, werden diese vom Landeswahlausschuss gestrichen und die übrige Liste ohne Rücksicht auf Quotenanforderungen zusammengestellt.
Die "harte" Quotierung begegnet durchgreifenden Bedenken. Sie verletzt die Gleichheit und Freiheit der Wahl, indem sie die Liste ab einem gewissen Punkte "abschneidet". Die Quote wirkt also doppelt so intensiv, wie die reine Anordnung einer Alternierung: Sie reduziert die Möglichkeiten der Kandidatur nicht nur auf die Hälfte der Listenplätze, sondern führt außerdem dazu, dass eine Liste nur so lange "ziehen" kann, wie auch Personen des anderen Geschlechts antreten. Die Anzahl der Kandidaturen des anderen Geschlechts ist allerdings nicht vom Einzelnen beeinflussbar, die Möglichkeit des passiven Wahlrechts wird in diesem Fall dann also von der Anzahl der übrigen Kandidaturen beeinflusst, was offensichtlich nicht mit den Wahlrechtsgrundsätzen vereinbar ist. Auch die Befürworter von Quotenregelungen gehen davon aus, dass solche nur mit Ausnahmeregelungen realisiert werden können: Treten nicht genügend Männer oder Frauen an, so muss es möglich sein, die Liste ab diesem Punkt unquotiert weiterzuführen.
Drittes Geschlecht privilegiert
Die Angehörigen des dritten Geschlechts können auf beiden Listen antreten und haben damit die doppelte Anzahl an "tauglichen" Listenplätzen. Diese Ausnahme für Angehörige des Dritten Geschlechts bedeutet eine verfassungswidrige Verletzung der Wahlrechtsgleichheit. Für die Ungleichbehandlung der Angehörigen der "klassischen" Geschlechter auf der einen und denen des dritten Geschlechts auf der anderen Seite besteht kein verfassungsrechtlich zwingender Grund.
Auch die Ausnahme von Männer- oder Frauenparteien kann nicht überzeugen: Sie sorgt zwar dafür, dass reine Frauen- und Männerparteien weiter bestehen können, denn immerhin können sie nun weiter Listen für Wahlen aufstellen und sind von diesen damit nicht gänzlich ausgeschlossen. Allerdings löst die eng bemessene Ausnahme nicht die Verletzung der Chancengleichheit für kleine, gemischt-geschlechtliche Parteien. Zum einen werden hier zwei Arten von Parteien bereits formal unterschiedlich beurteilt, "reine" Frauenparteien müssen gar keine Quotierung einhalten. Parteien, die in ihrer Satzung jedenfalls dem Grunde nach offen sind für alle Geschlechter, werden dagegen mit der Quote belastet: Ihre Liste kann nur solange "ziehen", wie noch Personen auf einer der geschlechterspezifischen Teillisten stehen. Diese Ungleichbehandlung bedürfte einer entsprechenden Rechtfertigung.
Zum anderen benachteiligt die Regelung auch materiell besonders kleine Parteien, die eine noch weniger ausgewogene Mitgliederstruktur aufweisen als die Parlamentsparteien. Parteien, die zwar Männer- oder Frauenthemen artikulieren, dabei allerdings keine Begrenzung auf Mitglieder eines Geschlechts vornehmen, haben besondere Nachteile. Sie werden für die inhaltliche Ausrichtung vom Gesetzgeber abgestraft. Die Ungleichbehandlung ist auch unter Zugrundelegung des Gesetzeszweckes widersinnig und widersprüchlich: Das Gesetz will Teilhabe von Frauen in Parteien stärken, nimmt aber solche Parteien aus, die Frauen komplett ausschließen.
Erhebliche Beeinträchtigung kleinerer Parteien
Daneben sind noch weitere Bedenken bezüglich der Angemessenheit der Regelung angebracht: Die Intensität der Beeinträchtigung ist erheblich, gerade bei Betrachtung kleinerer Parteien ohne größere Mitgliederbasis. Der Grad der Zweckerreichung ist dagegen nicht sonderlich hoch: Selbst wenn man hier zugrunde legte, die gleiche Anzahl von Frauen und Männern im Parlament sei ein zwingender Grund für eine Rechtfertigung, so führt die Quotierung der Listen eben nicht zwangsläufig dazu: Die Direktwahlkreise sind von der Liste unabhängig, sie unterliegen keiner Quotierung. Daher ist die spätere Zusammensetzung des Parlaments immer noch davon abhängig, wie die Kandidaten der Direktwahlkreise aufgestellt sind.
Abschließend muss auch noch ein anderer Punkt Beachtung finden: Der Frauenanteil im Landtag Brandenburg lässt keinerlei Rückschlüsse darauf zu, dass in den Nominierungsverfahren der Parteien eine strukturelle Benachteiligung vorliegt. Einerseits ist der Frauenanteil in den Fraktionen in der Regel höher als der Anteil in den Parteien (Ausnahmen bilden für den Bundestag die CDU- und die AfD-Fraktion, bei denen die Differenz gut 6 Prozent-Punkte ausmacht, bei der Fraktion der Grünen ist der Frauenanteil etwa 18 Prozent-Punkte höher als in der Partei, bei der Fraktion Die Linke 17 Prozent-Punkte höher). Frauen können sich damit innerparteilich sogar wesentlich besser durchsetzen als teilweise behauptet wird. Sie sind im Vergleich zum Anteil in den Parteien sogar "überrepräsentiert", um es überspitzt zu formulieren.
Das Grundproblem liegt daher nicht im Wahlrecht oder in einem vermeintlich undemokratischen Nominierungsverfahren: Es sind einfach zu wenige Frauen in den politischen Parteien. Dieser Herausforderung müssen sich aber die Parteien stellen. Das Wahlrecht ist hier der falsche Ansatzpunkt.
Und zu guter Letzt: Der Frauenanteil im Landtag Brandenburg lag – auch ganz ohne Quoten – in der vorletzten Legislaturperiode bei 44,3 Prozent (!). Die Intensität, mit der diese nur noch geringen Unterschiede zwischen den Geschlechtern durch die Einfügung der gesetzlichen Quote ausgeglichen werden sollen, steht in keinem Verhältnis zur Zweckerreichung. Die Regelungen zur Quotierung sind damit klar verfassungswidrig.
Der Autor Alexander Hobusch ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Öffentliches Recht an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf (Prof. Dr Sophie Schönberger) und promoviert zu Fragen der Parteienfinanzierung bei Prof. Dr. Martin Morlok. Er war im Mai 2018 in Vertretung von Prof. Dr. Morlok und auf Einladung der CDU-Landtagsfraktion als Anzuhörender an den Beratungen des federführenden Ausschusses im Landtag Brandenburg beteiligt.
Erstes Paritätsgesetz in Deutschland: . In: Legal Tribune Online, 04.02.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/33647 (abgerufen am: 17.11.2024 )
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