Großbritannien tritt am 29. März 2019 aus der EU aus. Den "Hard Brexit" wollen beide Seiten nicht, doch auch eine befristete Übergangslösung wird rechtliche Schwierigkeiten nicht mehr als abfedern, meinen Ulrich Soltész und Lukas Aberle.
Die Brexit-Verhandlungen gestalteten sich 2017 eher unbefriedigend. Anlass zu Optimismus gab dann aber die Mitteilung des Europäischen Rates vom 15. Dezember 2017, die einen hinreichenden Fortschritt der Austrittsverhandlungen in der ersten Phase bescheinigte. Damit ist der Weg frei, um in die zweite Phase überzugehen: die Verhandlungen über die künftigen (Handels-)Beziehungen.
Bereits jetzt ist allerdings absehbar, dass das enge zeitliche Korsett für die Austrittsverhandlungen schwer einzuhalten ist. Aus heutiger Sicht ist daher wahrscheinlich, dass durch eine zusätzliche Übergangslösung ab März 2019 der derzeitige Stand zumindest faktisch perpetuiert wird.
Mit der Bestätigung hinreichender Fortschritte hat der Europäische Rat zugleich Leitlinien beschlossen, welche die Anforderungen an mögliche Übergangsregelungen aus Sicht der EU näher definieren. Zudem hat die Kommission am 20. Dezember 2017 einen Vorschlag für ergänzende Verhandlungsrichtlinien veröffentlicht.
Zeitlich befristete Übergangsregelung schon jetzt vorgesehen
Eine Übergangsregelung als Teil des Austrittsabkommens ist im EU-Vertrag nicht explizit vorgesehen. Zwar kann damit der formale Austritt des Vereinigten Königreichs mit Ablauf des 29. März 2019 nicht aufgeschoben werden. Man kann aber die Wirkungen des Austritts abfedern. Dies ist klar im Interesse beider Parteien, die jeweils ausdrücklich betonen, dass sie auch nach dem Brexit eine enge Beziehung anstreben.
Der Europäische Rat und die Kommission haben bereits klar zu erkennen gegeben, wie mögliche Übergangsvorschriften aus Sicht der EU auszugestalten sind. Es wird zunächst in bekannter Manier betont, dass nur ein Gesamtpaket ohne "Cherry Picking" für Großbritannien in Betracht kommt. Im Grundsatz unterstützt der Rat den Vorschlag der Briten zu einem klar befristeten Übergangszeitraum von etwa zwei Jahren. Theoretisch ließe sich der Übergangszeitraum auch unbegrenzt verlängern. Allerdings hat EU-Chefunterhändler Barnier deutlich gemacht, dass die Übergangsregelungen definitiv nicht über das Ende des mehrjährigen Haushaltsrahmens der EU hinaus gelten sollen. Der Vorschlag der Kommission sieht daher den 31. Dezember 2020 als Endtermin vor.
Als Drittstaat soll Großbritannien in der Übergangszeit bereits nicht mehr in Institutionen und Entscheidungsgremien der EU vertreten sein. Trotzdem sollen das gesamte EU-Recht und die Rechtsprechungshoheit der Unionsgerichte weiterhin auch für Großbritannien gelten. Ob die Briten bereit sind, dies auch nur übergangsweise als Preis für den vorläufigen Verbleib im Binnenmarkt hinzunehmen, ist fraglich.
Und nach der Übergangsphase?
Die britische Regierung hat bereits verlautbart, dass sie nach dem Auslaufen der Übergangsregelung nicht mehr im Binnenmarkt verbleiben möchte, sondern ein ambitioniertes Freihandelsabkommen anstrebt. Realistischer Weise ist jedoch nicht zu erwarten, dass die die wirtschaftliche Beziehung zwischen den künftig separaten Wirtschaftsblöcken eine auch nur annähernd gleiche Qualität haben wird wie bisher zu Zeiten des gemeinsamen Binnenmarktes.
Im Bereich des Warenverkehrs gilt das Cassis-de-Dijon-Prinzip der gegenseitigen Anerkennung – ein Grundpfeiler der Europäischen Wirtschaftsordnung. Hiernach können Waren, die in einem Mitgliedstaat rechtmäßig in Verkehr gebracht wurden, in allen anderen Mitgliedstaaten frei verkauft werden, was weit über herkömmliche Regeln in sonstigen Freihandelsabkommen hinausgeht. Dies war einer der wesentlichen Erfolgsfaktoren des EU-Binnenmarktes und hat zum Abbau zahlreicher sogenannter nicht-tarifärer Handelshemmnisse (staatliche Genehmigungserfordernisse, Produktstandards, protektionistische Zulassungsregeln, sonstige Beschränkungen, usw.) geführt.
Es war zudem von herausragender Bedeutung für Investoren aus Drittstaaten, da diese von einem Mitgliedstaat aus die gesamte EU mit ihren Produkten beliefern könnten, ohne Genehmigungsprozesse in 28 Ländern zu durchlaufen. Dies wird sich in dieser wirtschaftlich besonders günstigen Form in einem Freihandelsabkommen kaum wiederfinden. Denn der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung beruht auf einer weitgehenden Rechtsharmonisierung, die man in London künftig gerade nicht mehr will.
Die Sache mit dem "Passporting"
Diese Bedenken gelten in verstärktem Maße für die Niederlassungs- und Dienstleitungsfreiheit. Nach den derzeitigen Regeln können Finanzdienstleister, die in einem Mitgliedstaat zugelassen sind, ihre Produkte frei in allen anderen Mitgliedstaaten vertreiben. Unternehmen können zudem ohne wesentliche Einschränkungen Niederlassungen in anderen Mitgliedstaaten eröffnen ("Passporting") ohne ein aufwändiges Zulassungsverfahren zu durchlaufen. Auch dies beruht natürlich auf der Überlegung, dass alle Institute in der EU den gleichen Regularien unterliegen ("level playing field"), wozu auch die strengen EU-Regeln über die Bankenunion gehören.
Für den Bereich der Finanzdienstleistungen gibt es - anders als im Bereich des Warenverkehrs - auch keine internationalen Abkommen, die als Vorbild dienen könnten. Zwar wird derzeit über einen vereinfachten Anerkennungsmechanismus für Finanzinstitute spekuliert. Ein solches Abkommen würde aber wohl auch eine Suspensionsregel enthalten, wonach dieser Mechanismus auszusetzen ist, wenn die Briten einen regulatorischen oder steuerlichen Unterbietungswettlauf in Gang setzen. Das schafft Rechtsunsicherheit und zeigt, dass solche Regeln die sehr weitgehende Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit nur schwerlich ersetzen können.
Kontrolle muss für alle sein
Es kann ebenfalls nicht sein, dass britische Unternehmen ohne Einschränkungen staatliche Förderungen erhalten können, ihre EU-Wettbewerber dagegen aber der strengen EU-Beihilfeaufsicht unterliegen. Die Freizügigkeit würde also voraussetzen, dass ein einheitlicher Rechtsrahmen für alle besteht, inklusive der Beihilfekontrolle.
Daran schließt sich gleich die Frage an, ob sich Großbritannien künftig weiterhin der Rechtsprechung der Unionsgerichte unterwerfen wird. Das wollen die Briten zwar nicht. Dass das künftige Abkommen aber ganz ohne Streitschlichtungsmechanismus auskommen könnte, erscheint unrealistisch. Letzteres wäre im Übrigen auch nicht im britischen Interesse, da britische Unternehmen schließlich auch ihre Freizügigkeitsrechte werden durchsetzen wollen, sofern EU-Staaten diese verletzen.
Bereits diese wenigen Aspekte illustrieren, wie schwierig die Gespräche sein werden. Viele der hier angesprochenen Punkte sind für die Briten "rote Linien", die nicht überschritten werden sollen. Ein voller Marktzugang erscheint daher unrealistisch. Das hat auch nichts mit einer Art "Bestrafung" Großbritanniens seitens der EU für den Austritt zu tun, sondern ist vielmehr die unausweichliche Konsequenz der Tatsache, dass ein voller Marktzugang nur bei einem gleichen "level playing field" gewährt werden kann. Das setzt gerade die juristische Harmonisierung voraus, die London nach wie vor ablehnt.
Probleme für die Wirtschaft
Die Verhandlungspartner liegen mit ihren Vorstellungen noch immer weit auseinander. Grund zur Entspannung gibt es daher (leider) nicht. Die neueren Entwicklungen zeigen, dass die britische Regierung nur wenige Anstalten macht, die eigene Bevölkerung auf die Notwendigkeit von Kompromissen einzustimmen.
Auch im Rahmen der jüngsten Kabinettsumbildung werden weiterhin Drohkulissen bis hin zum "Austritt ohne Abkommen" aufgebaut und politisch verwertet. Zwar kann durch eine Übergangsregelung und ein anschließendes Freihandelsabkommen ein "Hard Brexit" vermieden werden. Allerdings wird dies weit hinter dem heutigen Integrationsstandard zurückbleiben. Darauf wird man sich einstellen müssen.
Die Autoren Dr. Ulrich Soltész und Dr. Lukas Aberle sind Rechtsanwälte bei Gleiss Lutz in Brüssel und Stuttgart. Sie sind im EU-Recht tätig.
Zweite Phase der Brexit-Verhandlungen läuft an: . In: Legal Tribune Online, 17.01.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/26519 (abgerufen am: 21.11.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag