"Große Lücke zwischen dem Recht und denjenigen, die es betrifft"
LTO: Herr Dr. Moini, was machen Sie beruflich?
Dr. Bijan Moini: Ich arbeite für eine NGO, die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF). Diese hat es sich zum Ziel gesetzt, durch Klageverfahren die Grund- und Menschenrechte zu stärken. Das bedeutet, dass ich entweder selbst vor Gericht ziehe oder Verfahren koordiniere, die gelegentlich vor Fachgerichten starten, aber meist darauf abzielen, vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) oder dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) grundrechtswidrige Zustände zu ändern.
Dr. Bijan Moini...
… kündigte den Kanzleijob, um einen Roman zu schreiben
… war der erste angestellte Volljurist im Team der GFF
… schreibt lieber Bücher als Verfassungsbeschwerden
… wäre gerne einen Tag Richter am BVerfG
Sie waren zunächst drei Jahre lang Rechtsanwalt in einer Berliner Wirtschaftskanzlei. Dann haben Sie gekündigt. Wieso?
Die Arbeit als Wirtschaftsanwalt hat mir eine gewisse Zeit lang Spaß gemacht und mich auch motiviert, aber als ich richtig im Job angekommen war, hat mir einfach etwas gefehlt. Am besten beschreibt man das wohl mit "Sinn". Dann hatte ich die Idee zu einem Roman. Den konnte ich neben dem Job nicht schreiben – und das war dann ein willkommener Anlass, 2017 zu kündigen.
Im Jahr 2019 haben Sie dann diesen Roman, "Der Würfel", veröffentlicht. Dafür haben Sie mehrere Auszeichnungen erhalten. 2020 und 2021 folgten weitere Bücher. Wie sind Sie zum Schreiben gekommen?
Das hatte tatsächlich etwas mit meinem Job in der Kanzlei zu tun. Wir haben uns damals mit Legal Tech beschäftigt – und ich fragte mich: Was bleibt für Menschen übrig, wenn Maschinen in Zukunft nicht nur mechanische, sondern auch intellektuelle Arbeit erledigen?
So stieß ich auf den Gedanken, der meinem Roman zugrunde liegt, nämlich, einen neuen Gesellschaftsvertrag zu schließen: völlige Transparenz im Gegenzug für Rundum-Versorgung. Im "Würfel" fließen alle nur erdenklichen Daten über die Menschen zusammen, er lenkt alles und jeden – und die Effizienzgewinne, die so erreicht werden, erwirtschaften das Auskommen der Bevölkerung. Die Grundidee hat mich so fasziniert, dass ich die Auswirkungen dieses neuen Vertrags auf alle Gesellschaftsebenen ausbuchstabiert habe. Und als ich dann eine Hauptfigur ersonnen hatte, fühlte es sich so an, als müsste ich den Roman einfach schreiben.
"Ich war der erste angestellte Volljurist im Team der GFF"
Hat Ihre Arbeit Sie auch für Ihre weiteren Bücher inspiriert?
Das kann man so sagen. In meinem Buch "Unser gutes Recht. Was hinter den Gesetzen steckt" erkläre ich, wie das Recht eigentlich entstanden ist – und was wir davon haben. Durch meine Arbeit bei der GFF habe ich gemerkt, wie groß die Lücke ist zwischen dem Recht und denjenigen, die es betrifft, weil es schwer verständlich und auch sonst kaum zugänglich ist. Ein Teil meiner Aufgaben bei der GFF ist es, zu erklären, warum unsere Fälle wichtig sind. "Unser gutes Recht" ist der Versuch, unser Recht grundsätzlich zu vermitteln – auf eine unterhaltsame Art, damit die Menschen es zu schätzen lernen.
Wie sind Sie eigentlich konkret zur GFF gekommen?
Nachdem ich in der Kanzlei gekündigt hatte und an meinem Buch schrieb, wollte ich meine juristischen Kenntnisse in irgendetwas Sinnvolles ehrenamtlich einbringen. Ich kam dann mit Malte Spitz in Kontakt, der – damals ebenfalls ehrenamtlich – die GFF mitgegründet und geleitet hat und heute ihr Generalsekretär ist.
Ich habe ihn und den Vorstand um Ulf Buermeyer mit rechtlichen Einschätzungen unterstützt und dann mein erstes großes Verfahren koordiniert, die Verfassungsbeschwerde gegen die Regeln zur Auslandsüberwachung durch den Bundesnachrichtendienst (BND). Im Mai 2020 hat das BVerfG die von uns angegriffenen Regelungen für verfassungswidrig erklärt.
Als klar wurde, dass die GFF ein hauptamtliches Team aufbaut, wurde ich gefragt, ob ich als Jurist dort anfangen möchte – und so wurde ich der erste angestellte Volljurist im Team der GFF. Seit Herbst 2021 leite ich das Legal Team mit derzeit acht Volljurist:innen.
Die GFF hat es sich zum großen Ziel gesetzt, die Grundrechte zu stärken. Welche Schwerpunkte legen Sie dabei?
Wir decken ein breites Spektrum ab, aber wir setzen Schwerpunkte bei der Meinungs- und Versammlungsfreiheit, sozialer Gleichheit dem Schutz vor Diskriminierung und – das ist mein persönlicher Fokus – dem Schutz vor staatlicher Überwachung. Mich interessieren alle Themen rund um die Digitalisierung und deren Auswirkungen auf die Freiheit – durch staatliche, aber auch private Akteure. Gerade die Möglichkeiten großer IT-Konzerne, Menschen zu erfassen, auszulesen und zu manipulieren, und die Konsequenzen, die das für die Menschen selbst, aber auch für die Gesellschaft und die Demokratie insgesamt mit sich bringt, beschäftigen mich sehr.
"Ich habe das Gefühl, dass ich konkret etwas verbessere in unserer Gesellschaft"
Wie wählt die GFF die Fälle aus, in denen sie klagt?
Wir haben einen Kriterienkatalog, wobei zwei Kriterien herausstechen: Zum einen muss der Fall eine allgemeine Bedeutung haben, also eine Rechtsfrage betreffen, von deren Klärung viele Menschen profitieren. Das ist ein wesentlicher Unterschied zu Anwaltskanzleien, die natürlich auch Einzelfälle übernehmen, die das Recht nicht fortbilden werden.
Zum anderen muss ein Fall in aller Regel gute Erfolgsaussichten haben. Alles andere wäre langfristig frustrierend und auch unseren Fördermitgliedern und anderen Spender:innen kaum zu erklären.
Hinzukommen noch viele andere Faktoren wie die Kosten eines Falls und unsere Kapazitäten.
Was mögen Sie an Ihrem Job am liebsten?
Gerade im Vergleich zu meinem letzten Job habe ich das Gefühl, dass ich konkret etwas verbessere in unserer Gesellschaft – das motiviert mich enorm.
Außerdem mag ich die Vielfalt der Tätigkeiten: Einerseits arbeite ich streng juristisch und schreibe oder überarbeite Schriftsätze, andererseits koordiniere ich unsere Arbeit aber auch mit anderen NGOs oder führe Gespräche mit Mandant:innen. Außerdem kommuniziere ich öfter mit der Presse und erkläre unsere Fälle der Öffentlichkeit.
Und unser Team aus jungen, motivierten, kreativen Menschen macht einfach große Freude.
Und was mögen Sie nicht?
Das Ringen um die Finanzierung unserer Arbeit – als NGO sind wir von Spenden abhängig. Das schränkt uns natürlich ein. Der Mehrwert, den wir schaffen, ist zwar beträchtlich, aber er ist nicht geldwert. So funktioniert eben der Kapitalismus.
"Man muss die Fälle auch vermitteln können"
Was muss man für Ihren Job können – außer Jura?
Es reicht nicht aus, im Büro brillante Schriftsätze zu verfassen und vor sich hin zu arbeiten. Vielmehr muss man auch potenziellen Mandant:innen, Partner-NGOs, Fördermitgliedern und der Öffentlichkeit erklären können, warum das wichtig ist, was wir tun.
Es ist auch hilfreich, wenn man politische Zusammenhänge versteht und schon Erfahrungen im NGO-Bereich gesammelt hat, zum Beispiel durch Praktika oder Stationen im Referendariat. Auch die GFF hat regelmäßig vier bis fünf Referendar:innen und zwei oder drei Praktikant:innen.
Schreiben Sie lieber Bücher oder Verfassungsbeschwerden?
Definitiv lieber Bücher, weil man sich dabei viel mehr ausleben kann. Verfassungsbeschwerden müssen ja einer bestimmten Form folgen und fest definierten Ansprüchen genügen. Verfassungsbeschwerden sind echte Arbeit, Bücher schreiben ist zwar auch Arbeit, macht mir aber einfach mehr Spaß.
Sie sind u.a. Jurist bei der GFF, Buchautor und Mitglied des Medienrats der Medienanstalt Berlin-Brandenburg. Wie schafft man das alles?
Häppchenweise – alles auf einmal funktioniert nicht. Irgendwie haut es immer hin, aber dadurch, dass ich Kinder habe, arbeite ich auch oft spätabends. Es ist viel Arbeit, ja, aber ich brenne für sie – und sie lohnt sich.
"Ich wäre gerne einen Tag Richter am BVerfG"
Was ist Ihr Highlight des Jahres?
Neben der Geburt unserer Zwillinge vor einem halben Jahr das Verfahren gegen das bayerische Verfassungsschutzgesetz. Im April hat das BVerfG uns in weiten Teilen Recht gegeben. Das führt dazu, dass die Länder und der Bund die jeweiligen Verfassungsschutzgesetze grundlegend überarbeiten müssen, darunter auch die Übermittlungsbefugnisse der Ämter, um das Trennungsgebot zwischen der Polizei und den Nachrichtendiensten zu gewährleisten.
Mit wem würden Sie gerne einen Tag lang die Rollen tauschen?
Ich würde gerne die Rolle mit einem Richter oder einer Richterin am Bundesverfassungsgericht tauschen, um zu sehen, wie unsere Beschwerden dort ankommen und was wir in Zukunft besser machen können, um noch mehr Gehör zu finden. Aber ob ein Tag dafür reicht ...
Unsere Lieblingsfrage zum Schluss: Haben Sie Empfehlungen für Bücher, Filme oder Podcasts?
Die deutsche Serie "Souls" finde ich großartig. Das ist eine Mysteryserie, die mit Motiven wie Zeitschleifen und Wiedergeburt spielt. Eigentlich bin ich kein Fan von deutschen Produktionen, aber Dramaturgie, Charaktere und Spannung dieser Serie sind wirklich gelungen.
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2022 M12 19
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