Unternehmen als Moralapostel
Stellen Sie sich vor, Sie betreiben einen Verlag. Ihr Starautor steht von heute auf morgen in den Schlagzeilen: Er soll ein Doppelleben führen und Kopf eines Kinderpornografierings sein. Skandalpresse und öffentliche Meinung überschlagen sich vor Entrüstung. Die Bücher des Verlags drohen, wie altes Brot in den Verkaufsregalen liegen zu bleiben. Was nun? Die Versuchung ist groß, sich so geräuschlos und schnell wie möglich von Ihrem einstigen Zugpferd zu trennen. Aber geht das so einfach?
"Das muss gehen", denkt sich in Zeiten von "#metoo" eine wachsende Zahl von Verlegern in den USA. Dort zeichnet sich nach Darstellung der Süddeutschen Zeitung der Trend ab, in die Verträge zwischen Verlag und Autor sogenannte "morality clauses" (Moralklauseln) aufzunehmen. Damit wollen Buch-, Zeitschriften- oder Zeitungsverlage sich die Möglichkeit offen halten, das Vertragsverhältnis beenden zu können, wenn und weil der Autor durch ein Verhalten jenseits der öffentlichen Moral negativ auffällt. Der Gedanke dahinter ist so einfach wie bestechend: Wer Gegenstand öffentlichen Ansehensverlusts, Abscheus oder Skandals wird, der soll nicht auch noch seinen Brötchengeber mit in den Strudel der öffentlichen Empörung hineinziehen. Die Verlage erhoffen sich davon, ihr Geschäftsrisiko begrenzen und ihren Ruf besser schützen zu können. Vergleichbares ist aus der amerikanischen Filmbranche und dem US-Profisport bekannt. Nach dem Bericht streben US-Unternehmen darüber hinaus unabhängig von der Branche eine Beeinflussung der persönlichen Lebensführung ihrer Angestellten an, die dem Verhältnis politischer Diktaturen zu ihren Bürgern in wenig nachsteht: Arbeitnehmer müssen sich von ihrem Arbeitgeber teilweise Vorschriften zu politischen Aktivitäten, sprachlichen Äußerungen, zur Wahl des Sexualpartners oder zum Gebrauch von Freizeitdrogen gefallen lassen, wollen sie ihren Arbeitsplatz nicht riskieren.
Nun ist Amerika nicht Deutschland und Autorenverträge sind in der Regel keine Arbeitsverträge. Für Unternehmen dürfte es dennoch auch hierzulande verlockend sein, sich von skandalträchtigen Arbeitnehmern möglichst zügig, lautlos und rechtsicher trennen zu können. Oder besser noch: Das Verhalten ihrer Angestellten so zu beeinflussen, dass es gar nicht erst zu moralisch verwerflichem Verhalten kommt, das öffentliche Aufregung provozieren könnte.
Verhaltenslenkung durch Vertragsgestaltung
Grundsätzlich gilt: In Verträge schreiben kann der Verfasser vieles. Ob die Klausel dann allerdings wirksam ist und die gewünschte Folge hat, steht auf einem anderen Blatt. Für vorformulierte Arbeitsverträge gilt in Deutschland das Transparenzgebot gem. § 307 Abs. 1 S. 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Danach droht die Unwirksamkeit, wenn eine Vertragsbestimmung nicht klar und verständlich ist. Laut Bundesarbeitsgericht (BAG) muss die Klausel die tatbestandlichen Voraussetzungen und Folgen im Rahmen des Möglichen so genau beschreiben, dass für den Verwender keine ungerechtfertigten Beurteilungsspielräume entstehen (Urt. v. 31.08.2005, Az. 5 AZR 545/04). Dieser Bestimmtheitsgrad dürfte bei der Vereinbarung von morality clauses kaum zu erreichen sein. Schließlich kann der Arbeitgeber bei Abschluss des Arbeitsvertrags nicht im Ansatz erahnen, wodurch sein Arbeitnehmer später einmal einen Skandal verursachen könnte. Zudem lässt sich öffentlicher Ansehensverlust nicht bemessen.
Hinzu kommt, dass Arbeitgeber hierzulande nur sehr begrenzt berechtigt sind, das neben die reine Arbeitsleistung tretende Verhalten ihrer Arbeitnehmer zu regulieren. Richtungsweisende Grundsätze dazu hat das Landesarbeitsgericht Düsseldorf (LAG) in der sog. Wal-Mart-Entscheidung (Beschl. v. 14.11.2005, Az.10 TaBV 46/05) aufgestellt: Der amerikanische Handelskonzern wollte seinen Angestellten Ethikregelungen auferlegen. Diese enthielten einerseits übliche Compliance-Vorgaben wie das Verbot der Annahme von Schmiergeldern. Andererseits wurde Arbeitnehmern aber u.a. auch verboten, mit einem Kollegen auszugehen oder in einen Liebesbeziehung zu treten, wenn einer von beiden die Arbeitsbedingungen des anderen beeinflussen kann. Auch Witze erzählen war unerwünscht. Eine der wichtigsten Aufgaben der Arbeitnehmer sollte es sein, Kollegen bei Verstößen gegen diese Regeln zu denunzieren.
Das ging dem LAG Düsseldorf deutlich zu weit: Die Vorgaben beträfen teilweise das Ordnungsverhalten der Arbeitnehmer und unterlägen deshalb gem. § 87 Abs. 1 Nr. 1 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) der Mitbestimmung des Betriebsrats. Zum grundgesetzlich geschützten Persönlichkeitsrecht gehöre es ferner, selbst zu entscheiden, ob und mit wem eine Person freundschaftliche Bande knüpft oder in eine Liebesbeziehung tritt. Soweit die Ethikregeln gegen dieses Grundrecht verstoßen oder Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats missachten, wurde dem Arbeitgeber deren Verwendung untersagt.
Kündigen muss doch erlaubt sein, oder?
Die Verwendung der eingangs erwähnten Moralklauseln in Arbeitsverträgen ist selbst dann kein Freibrief für eine Kündigung, wenn der Arbeitnehmer aufgrund seines Privatlebens Mittelpunkt eines öffentlichen Skandals ist. Absolute Kündigungsgründe können im deutschen Arbeitsrecht nicht vertraglich bindend vereinbart, Kündigungsmöglichkeiten nicht über das gesetzliche Maß hinaus erweitert werden (BAG, Urt. v. 22.11.1973, Az. 2 AZR 580/72; Urt. v. 09.02.2006, Az. 6 AZR 47/05).
Die Vereinbarung möglicher Kündigungsgründe im Vertrag bewirkt deshalb kein unbedingtes Trennungsrecht, sondern nur eine Warnfunktion. Eine solche Bestimmung kann zudem bei der vor jeder Kündigung anzustellenden Interessenabwägung relevant sein. Beides wird jedoch nur und erst dann relevant, wenn dem Arbeitgeber überhaupt ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung bzw. ein sozial gerechtfertigter Grund für eine ordentliche Kündigung zur Seite steht. Und hier zieht die Rechtsprechung der deutschen Arbeitsgerichtsbarkeit die nächste Schranke ein.
Konkreter Bezug zum Arbeitsverhältnis
Für die Wirksamkeit einer verhaltensbedingten Kündigung kommt es darauf an, ob das skandalauslösende Fehlverhalten des Arbeitsnehmers einen Bezug zum Arbeitsverhältnis hat. Bei den im Beispielsfall beschriebenen kinderpornografischen Aktivitäten des Autors handelt es sich um rein außerdienstliches Verhalten. Dieses kann eine Kündigung nur dann rechtfertigen, wenn der Arbeitnehmer dadurch gegen seine Rücksichtnahmepflicht nach § 241 Abs. 2 BGB verstößt. Dafür muss das außerdienstliche Verhalten einen Bezug zu den arbeitsvertraglichen Verpflichtungen oder der Tätigkeit des Arbeitnehmers haben und dadurch berechtigte Interessen des Arbeitgebers oder andere Arbeitnehmer verletzen (BAG, Urt. v. 10.09.2009, Az. 2 AZR 257/08). Das wird bei einem Autor von Kinderbüchern sicher anders zu beurteilen sein, als bei einem Verfasser historischer Romane. Generelle Wertungen lassen sich nicht treffen. Maßgeblich sind die Umstände des Einzelfalls.
Eine außerdienstlich begangene Straftat kann Zweifel an der Zuverlässigkeit und Vertrauenswürdigkeit des Arbeitnehmers begründen und dadurch eine personenbedingte Kündigung rechtfertigen. Ob dies der Fall ist, hängt von der Art des Delikts, den konkreten Arbeitspflichten des Arbeitnehmers und seiner Stellung im Betrieb ab (BAG, Urt. v. 20.06.2013 – 2 AZR 583/12). Auch hier kommt es also auf den konkreten Bezug zum Arbeitsverhältnis an. Pauschale Aussagen verbieten sich.
Je nach Fallgestaltung könnte im Ausgangsfall eine sog. Druckkündigung, ein Fall der betriebsbedingten Kündigung, in Betracht kommen. Auslöser ist die Androhung von Nachteilen durch Dritte gegenüber dem Arbeitgeber, wenn dieser den Arbeitnehmer nicht entlässt. Bei dieser Variante der Kündigung handelt es sich aber um einen absoluten Exoten und Ausnahmefall, der strengen Anforderungen unterliegt. Erforderlich ist u.a., dass ohne die Entlassung schwere wirtschaftliche Nachteile drohen. Die Kündigung muss das einzig praktisch in Betracht kommende Mittel sein, um die Schäden abzuwenden (BAG, Urt. v. 15.12.2016, Az. 2 AZR 431/15; v. 18.7.2013, Az. 6 AZR 420/12).
Die Moral von der Geschicht': Skandale meiden und sich von schwarzen Schafen trennen geht so einfach nicht! Der Arbeitgeber kann das nicht unmittelbar mit der Erbringung der Arbeitsleistung zusammenhängende Verhalten seiner Mitarbeiter nur in engen Grenzen vertraglich beeinflussen. Öffentlichkeitswirksame Fehltritte von Arbeitnehmern berechtigten in der Regel nur dann zur Kündigung, wenn ein konkreter Bezug zum Arbeitsverhältnis besteht. Deutschland ist eben auch insoweit nicht mit dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten vergleichbar.
Die Autorin Dr. Corinne Klapper ist Fachanwältin für Arbeitsrecht und Partnerin bei Beiten Burkhardt. Sie berät Unternehmen in allen arbeitsrechtlichen Angelegenheiten. Besondere Expertise hat sie bei der rechtlichen Begleitung schwieriger Trennungsprozesse von Arbeitnehmern.
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2019 M05 6
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