Arbeitsrecht in der Praxis

Die Mehr­ar­beit ist abge­golten – oder?

Gastbeitrag von Dr. Michaela Felisiak und Dr. Stefan SeegerLesedauer: 6 Minuten

Mehrarbeit und Überstunden sind für Arbeitsrechtler das, was Besitz und Eigentum für den Zivilrechtler sind: zwei Begriffe mit zwei Bedeutungen. Warum die Differenzierung wichtig ist, erklären Michaela Felisiak und Stefan Steeger.

Eine regelmäßige Arbeitszeit von acht Stunden und dann elf Stunden Ruhezeit: So sieht es das Arbeitszeitgesetz vor. Das kann klappen, allerdings gehören Überstunden und Mehrarbeit nicht nur in Anwaltskanzleien zum Daily-Business. Laut Statista haben mit 4,6 Millionen Menschen rund 12 Prozent der insgesamt 39,3 Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Jahr 2023 Überstunden geleistet. Rund 19 Prozent arbeiten danach mindestens 15 Überstunden pro Woche, 70 Prozent unter zehn Stunden, 40 Prozent leisten weniger als fünf Überstunden wöchentlich. Doch was ist der Unterschied zwischen Mehrarbeit und Überstunden – und mit welchen Rechtsfolgen?

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Wann spricht man von Mehrarbeit, wann von Überstunden?

Der Unterschied liegt in der Betrachtungsweise. Von Mehrarbeit spricht man, wenn es um die Einhaltung der öffentlich-rechtlichen Vorschriften des Arbeitszeitgesetzes (ArbZG) geht. Dann ist Mehrarbeit die Überschreitung der gesetzlichen oder tariflichen Höchstarbeitszeit. D.h. aus der Perspektive des ArbZG ist Mehrarbeit die Arbeitszeit, die über die gesetzliche regelmäßige Höchstdauer von acht Stunden pro Tag bzw. 48 Stunden pro Woche hinausgeht. Mehrarbeit muss innerhalb von 24 Wochen ausgeglichen werden – andernfalls liegt ein Verstoß gegen das ArbZG vor, der mit einer Geldbuße von bis zu 30.000 Euro geahndet werden, § 22 ArbZG.

Handlungsmöglichkeiten haben Arbeitgeber, wenn es um Überstunden geht. Hierbei ist die Bezugsgröße die individuell von dem Arbeitnehmer geschuldete Arbeitszeit. Überstunden liegen bei einer Überschreitung der jeweiligen tarif-, bzw. arbeitsvertraglichen oder betrieblichen Arbeitszeit vor. Überstunden müssen vom Vorgesetzen angeordnet oder geduldet werden und sind je nach geltender Regelung in Zeit oder Geld auszugleichen. Damit geht es bei Überstunden um eine Gegenleistung, die Arbeitnehmer erhalten.

Ein Bespiel: Die Arbeitszeit beträgt laut Arbeitsvertrag 37,5 Stunden in der Woche. Der Beschäftigte hat an fünf Tagen tatsächlich 40 Stunden gearbeitet. Damit liegen 2,5 Stunden Überstunden vor – aber keine Mehrarbeit.

Sind Überstunden immer zu vergüten?

Ob Überstunden zu vergüten sind hängt davon ab, ob die Arbeitnehmer eine objektive Erwartung bzgl. einer besonderen Vergütung haben. Diese Erwartungshaltung variiert je nach Hierarchie und Position. Je höher die Hierarchiestufe eines Arbeitnehmers ist, desto gering ist seine objektive Erwartung, denn dieser erhält bereits eine deutlich höhere Vergütung.

Eine herausgehobene Vergütung wird von der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung dann angenommen, wenn das Entgelt die Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung überschreitet.

Können Überstunden pauschal abgegolten werden?

In Arbeitsverträgen war es lange Zeit üblich, Überstunden pauschal abzugelten über eine Formulierung: "Mit dem Gehalt sind sämtliche Überstunden abgegolten". Derartige "all-in" Klauseln, mit denen sämtliche Überstunden pauschal abgegolten sein sollen, könnten nur ausnahmsweise beispielsweise in Verträgen von Führungskräften wirksam sein, wenn der entsprechende Arbeitnehmer keine objektive Erwartungshaltung in Bezug auf die Abgeltung etwaiger Überstunden haben wird. 

In allen anderen Konstellationen sind pauschale Abgeltungsklauseln nur in engen Grenzen rechtswirksam. Dies liegt daran, dass Arbeitsverträge – sowie die in diesen enthaltenen Überstundenklauseln –in der Regel AGB dar und müssen daher transparent im Sinne von § 307 Abs. 1 Satz 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) sein. Die meisten Abgeltungsklauseln scheitern im Lichte des Transparenzgebots bereits daran, dass sich für den Arbeitnehmer aus diesen nicht ergibt, in welchem zeitlichen Umfang Überstunden abgegolten sein sollen. Ohne diese Festschreibung der Anzahl der zu leistenden Überstunden kann ein Arbeitnehmer nicht erkennen, wie viele Arbeitsstunden er für seine Vergütung leisten muss. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) verlangt daher, dass sich aus der Abgeltungsklausel ergibt, dass beispielsweise "die ersten 20 Überstunden im Monat" mit dem Grundgehalt abgegolten sind (BAG, Urt. v. 16.05.2012; Az. 5 AZR 331/11). 

Eine über die Transparenzkontrolle hinausgehende Inhaltskontrolle – was beispielsweise eine gerechte Abgeltung ist – findet hingegen nicht statt. Nach der Rechtsprechung des BAG ist es nicht Aufgabe der Gerichte, einen gerechten Preis für die Arbeitsleistung zu ermitteln oder festzulegen. Die Grenze der Überstundenabgeltung liegt daher in der Sittenwidrigkeit und bildet damit eine weitere Leitplanke. Gleiches gilt, wenn unter Einbeziehung der Überstunden der Mindestlohn unterschritten werden würde. 

Damit kommt es im Ergebnis auf den Einzelfall an. Je höher die Vergütung ist, desto mehr Überstunden können pauschal abgegolten werden. 

Was ist mit Überstunden bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses?

Bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses hängt das Schicksal noch bestehender Überstunden davon ab, wie die Arbeitsvertragsparteien das Arbeitsverhältnis nach einem Kündigungsausspruch fortsetzen. Der Klassiker ist dabei, dass Arbeitgeber den Arbeitnehmer rechtzeitig unwiderruflich unter Anrechnung u.a. von Freizeitausgleichansprüchen freistellen. Geschieht dies nicht und bestehen nach dem letzten Arbeitstag weiterhin Überstunden, die nicht von einer wirksamen Abgeltungsklausel umfasst sind, müssen diese ausbezahlt werden.

Wann können Überstunden "abgefeiert" werden?

Außerhalb von Beendigungsszenarien werden Überstunden in der Praxis regelmäßig durch Freizeitnahme / Freistellung ausgeglichen. Für einen Ausgleich von Überstunden durch Freizeitnahme bedarf es einer kollektiv- oder individualvertraglichen Regel. Das sog. "Abfeiern" der Überstunden ist aus Sicht der Arbeitgeber besonders geeignet, um dem Arbeitnehmer einen Ausgleich für die Mehrbelastung zu verschaffen. 

Interessant ist dabei auch Folgendes: Wurde ein Arbeitnehmer zum Freizeitausgleich freigestellt und erkrankt in dieser Zeit, müssen die "verlorenen" Überstunden nicht noch einmal ausgeglichen werden, da die Arbeitsunfähigkeit in dem Fall nicht die einzige Ursache für den Arbeitsausfall ist. Dies ist anders als im Falle der Erkrankung während des Erholungsurlaubs: In dem Fall werden die Krankheitstage nicht auf den Jahresurlaub angerechnet, § 9 Bundesurlaubsgesetz (BUrlG).

Was gilt für Mehrarbeit und Überstunden im Mutterschutz? 

Besondere Vorsicht gilt, wenn es um Überstunden / Mehrarbeit von Schwangeren oder Frauen zeitnah nach der Geburt geht. Im Kontext des Mutterschutzgesetzes (MuSchG) steht der Schutz der werdenden Mutter und des ungeborenen Kindes bzw. der Mutter im Vordergrund. Daher ist Mehrarbeit nach dem MuSchG grundsätzlich untersagt. In § 4 Abs. 1 MuschG heißt es dazu, dass eine schwangere oder stillende Frau […] nicht über achteinhalb Stunden täglich oder über 90 Stunden in der Doppelwoche hinaus beschäftigt werden darf. Bei Frauen unter 18 Jahren liegt die Höchstgrenze der Arbeitszeit sogar darunter. Ein Verstoß gegen die Regelungen ist bußgeldbewährt. 

Mit Blick auf den Normzweck sind Arbeitszeiten bei verschiedenen Arbeitgebern zusammenzurechnen. Die betreffende Frau trifft insoweit die Obliegenheit, den Arbeitgebern das Bestehen eines weiteren Arbeitsverhältnisses und die in diesem geleistete Arbeitszeit mitzuteilen. Ohne Kenntnis der Mehrfachbeschäftigung kann dem Arbeitgeber keine Fahrlässigkeit im Sinne von § 32 Abs. 1 Nr. 1 MuschG vorgeworfen werden. 

Was gilt während der Elternteilzeit?

Während der Elternzeit sind die gesetzlichen Regelungen nicht ganz so streng. In der Elternzeit sind die Personen grundsätzlich von der Erbringung der Arbeitsleistung befreit. Entscheiden sie sich dennoch neben der Kinderbetreuung und Erziehungsarbeit gem. § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG) einer beschränkten Erwerbstätigkeit in Teilzeit nachzugehen, darf die Erwerbstätigkeit 32 Wochenstunden im Monatsdurchschnitt nicht überschreiten, vgl. § 15 Abs. 4 Satz 1 BEEG. Solange dieser gesetzlich festgelegte Monatsdurchschnitt nicht überschritten wird, ist es unschädlich, wenn im Einzelfall Überstunden anfallen. Diese sind dann wie sonstige Überstunden in Freizeit oder in Geld auszugleichen.

Können Überstunden verfallen?

Der Anspruch auf Entgeltzahlung oder Freizeitausgleich aufgrund erbrachter Überstunden kann verfallen. Das gilt allerdings nur, wenn entweder der Arbeitsvertrag oder ein geltender Tarifvertrag eine Verfallsklausel enthält. Das Verfallsdatum einer solchen Klausel muss eine Frist von wenigstens drei Monaten festlegen. Enthalten der Arbeits- oder Tarifvertrag keine Verfallsklausel (oder ist eine solche unwirksam), richtet sich der Verfall / die Verjährung nach den allgemeinen Regelungen. Gem. §§ 195, 199 BGB verjährt der Anspruch auf einen Ausgleich erbrachter Überstunden.

Die Autoren Dr. Michaela Felisiak und Dr. Stefan Steeger sind Anwälte bei Eversheds. Beide arbeiten in München und sind auf das Arbeitsrecht spezialisiert.

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