Vier-Tage-Woche in der Kanzlei

"Die Arbeits­rea­lität anpassen, um wett­be­werbs­fähig zu bleiben"

Interview von Dr. Franziska KringLesedauer: 7 Minuten

Vier Tage arbeiten, drei Tage Wochenende – davon träumen viele, aber passt das zu Kanzleien? Die IT-/IP-Boutique HÄRTING führt probeweise die Vier-Tage-Woche ein. Wie das funktionieren soll, erzählen Marlene Schreiber und Lars Thiess.

LTO: Ab April führt die Kanzlei HÄRTING die Vier-Tage-Woche ein. Wie kann man sich das in der Praxis vorstellen?

Marlene Schreiber: Unser Büro wird ab April freitags geschlossen sein und alle Vollzeit-Mitarbeitenden werden dann von montags bis donnerstags im Schnitt neun Stunden arbeiten, das heißt sie arbeiten 36 Stunden in der Woche, erhalten aber das volle Gehalt. Dieses Modell werden wir zunächst ein halbes Jahr testen. So können alle Beteiligten schauen, ob das Projekt funktioniert und den Mehrwert bringt, den wir uns versprochen haben.

Wie sind Sie denn auf die Idee gekommen? 

Schreiber: Das Thema tauchte immer mal wieder in Gesprächen auf. Wir Partnerinnen und Partner fahren einmal im Jahr ein Wochenende auf ein Retreat und sprechen über Strategiefragen – und die Vier-Tage-Woche war einer der Punkte auf unserer Agenda im Januar. Je mehr wir darüber gesprochen haben, desto mehr Vorteile haben wir gesehen. Dann haben wir eine Arbeitsgruppe gebildet, an der Partnerinnen und Partner, Associates und die Assistenz beteiligt waren. Wir haben gemeinsam überlegt, wie die Vier-Tage-Woche bei uns ausgestaltet sein könnte und unsere Idee allen Mitarbeitenden vorgestellt. Danach haben wir alle anonym abstimmen lassen – und die überwältigende Mehrheit, also knapp 88 Prozent, hat sich dafür ausgesprochen, das mal auszuprobieren.

Also haben auch knapp 12 Prozent dagegen gestimmt. Aus welchen Gründen?

Lars Thiess: Man musste die Gründe nicht angeben, aber konnte es in einem anonymen Kommentarfeld. Zum einen machen sich manche darüber Sorgen, ob sie ihre Arbeit auch an vier Tagen schaffen. Manche befürchten sicherlich auch Umsatzverluste, wenn man etwas weniger arbeitet. 

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"Wir glauben, dass man sich einfach besser konzentrieren kann"

Wieso haben Sie sich denn für einen festen, freien Tag am Freitag entschieden?

Schreiber: Wir haben verschiedene Konzepte diskutiert. Denkbar wäre ja auch, nur die Stunden der Fünf-Tage-Woche zu reduzieren oder einen beliebigen Tag in der Woche freizunehmen. Wir haben aber relativ schnell gemerkt, dass wir uns aus organisatorischen Gründen auf einen Tag einigen müssen. Viele von uns arbeiten tageweise im Homeoffice und das funktioniert gut. Aber wir arbeiten in Teams, das Team-Gefühl macht uns aus und wir möchten uns als Team, d.h. Associates, Partnerinnen und Partner und Assistenzen, auch im Büro begegnen – und das ist schwer möglich, wenn alle an einem anderen Tag frei haben. Und es macht auch die Kommunikation nach außen einfacher: Die Kanzlei ist freitags zu. So können die Mitarbeitenden die Zeit auch wirklich planbar nutzen.

Thiess: Und so ist auch die Auswertung für die Probephase einfacher. Wenn sich jeder einen Tag aussuchen könnte und es Probleme gibt, weiß man am Ende nicht, ob das generell an der Vier-Tage-Woche oder nur an diesem erhöhten Organisationsaufwand liegt. Wenn man den organisatorischen Teil aber klarer strukturiert, sind die Stärken und Schwächen des Modells besser erkennbar. Es ist auch nicht sinnvoll, dass man einerseits durch die Vier-Tage-Woche fokussierter arbeiten möchte, andererseits dann aber so viel organisieren muss und dadurch viel Zeit verliert.

Welche Vorteile hat die Vier-Tage-Woche denn aus Ihrer Sicht?

Schreiber: Zum einen erhoffen wir uns eine verbesserte Work-Life-Balance und eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Mit einem freien Tag unter der Woche kann zum Beispiel jeder stressfreier Termine beim Arzt oder bei den Behörden wahrnehmen, Qualitytime mit den Kindern verbringen oder ein verlängertes Wochenende planen. Und gleichzeitig glauben wir, dass es einen positiven Effekt auf die Konzentrationsfähigkeit hat, wenn man weiß, dass man nur an vier Tagen arbeiten und entsprechend effektiv sein muss – und dann drei Tage Wochenende hat. 

"Der Freitag gilt künftig als Wochenende"

Wie sind denn die momentanen Arbeitszeiten?

Thiess: Wir haben auch jetzt keine festen Arbeitszeiten. Die Arbeit muss natürlich gemacht werden und man muss zu den üblichen Geschäftszeiten erreichbar sein, aber wir messen die Arbeitszeit nicht mit der Stoppuhr. Das wird sich auch in Zukunft nicht ändern.

Gilt die Vier-Tage-Woche denn auch für die Partnerinnen und Partner? 

Schreiber: Grundsätzlich schon. Wir haben intern kommuniziert, dass der Freitag als Wochenende gilt. Natürlich darf jeder bei Bedarf immer ins Büro kommen, wie auch samstags oder sonntags, aber es wird nicht erwartet. Bei den Partnerinnen und Partnern als Selbstständige ist die Situation etwas anders, da kann eher auch mal Arbeit am Wochenende anfallen und gleichzeitig sind wir unter der Woche gegebenenfalls flexibler als zum Beispiel die Assistenz. Aber das Projekt soll uns allen mehr Flexibilität ermöglichen, auch uns Partnern.

"Noch nicht viele Kanzleien trauen sich"

Wieso erscheint die Vier-Tage-Woche in vielen Kanzleien undenkbar?

Thiess: Der Anwaltsberuf ist natürlich konservativ geprägt. Man ist seit Jahren daran gewöhnt, auf jeden Fall fünf Tage zu arbeiten und teilweise auch samstags. Ich glaube nicht, dass das Konzept der Vier-Tage-Woche für Kanzleien ungeeignet ist, aber es gibt nur noch nicht viele, die sich trauen. Auch grundsätzlich ist das Vier-Tage-Modell auf dem deutschen Arbeitsmarkt ja noch nicht die Regel. Deshalb machen wir jetzt den Versuch, ob es bei uns klappt.

Schreiber: Dieses Konservative muss die Anwaltswelt aber mit Blick auf die Zukunft definitiv aufgeben. Wir müssen unsere Arbeitsrealität anpassen, wenn wir wettbewerbsfähig bleiben möchten. Wenn wir junge Leute für den Anwaltsberuf begeistern, uns diverser aufstellen und für eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf sorgen wollen, müssen wir da offener sein. Das Modell, dass man rund um die Uhr arbeitet und das Leben genießt, wenn man in Rente geht, funktioniert nicht mehr.

Wie passt die Vier-Tage-Woche zu etwaigen Billable-Hours-Vorgaben?

Schreiber: Natürlich müssen wir als Wirtschaftsunternehmen Geld verdienen, aber es gab bei uns noch nie fixe Billable-Hours-Vorgaben für Associates. Beim Vergütungsmodell für Senior Associates kann das schon eher eine Rolle spielen. Wichtiger ist aber, dass die Leute sich entwickeln - und dafür braucht es eben einfach Zeit. Natürlich muss die Qualität der Arbeit stimmen, aber das an billable hours zu messen, halten wir für falsch. Das Problem, dass wir billable hours in die 4 Tage Woche "übersetzen" müssen, haben wir also nicht. Aber natürlich ist einer der Faktoren, an denen wir den Erfolg des Projekts messen werden, die Wirtschaftlichkeit.

Befürchten Sie denn Umsatzverluste?

Thiess: Wir gehen mit der positiven Erwartung heran, dass wir keine Einbußen haben werden – und haben sogar die Hoffnung, dass die drei freien Tage so motivieren, dass wir noch wirtschaftlicher werden.

"Unsere Mandanten brauchen keinen Strafrechtler, weil sie gerade verhaftet worden sind"

Was ist in Notfällen, wenn ein Projekt fertiggestellt werden muss oder die Mandanten kurzfristige Anfragen haben? Wird dann von Donnerstagabend bis Freitagmorgen durchgemacht?

Schreiber: Wir haben uns innerhalb der Teams überlegt, ob man einen Notdienst braucht. Das kann in einzelnen Fällen so sein, dann gibt es aber einen Ausgleichstag. Auch bislang ist es mal vorgekommen, dass ein Projekt so dringend ist, dass wir uns am Wochenende in der Kanzlei getroffen haben. Dass es aber wirklich nicht anders geht, als die Arbeit am Wochenende zu machen, ist zumindest in meinem Team die Ausnahme.

Thiess: Das liegt auch an der Struktur unserer Rechtsgebiete, dem IP/IT-Recht. Natürlich gibt es auch mal Fälle, in denen man sehr schnell reagieren muss, zum Beispiel bei markenrechtlichen Abmahnungen. Unsere Mandantinnen und Mandanten rufen aber üblicherweise nicht an und brauchen einen Strafrechtler, weil sie gerade verhaftet worden sind.

Was glauben Sie, wie die Mandanten reagieren werden, wenn freitags keiner erreichbar ist?

Schreiber: Wir sind gespannt, aber glauben, dass es sehr viel Verständnis geben wird. Die Vier-Tage-Woche und flexiblere Arbeitsmodelle sind ja keine kanzleispezifischen Herausforderungen. Alle beschäftigen sich damit, wie man gute Arbeit leisten, Spaß dabei und gleichzeitig ein Privatleben haben kann. Das bisherige Vorgehen verschiebt sich einfach nur: Wenn aktuell jemand freitags anruft, besprechen wir mit den Mandantinnen und Mandanten, wie dringend das Anliegen ist – und finden dann eine gute Lösung. Das machen wir dann eben donnerstags.

Wie soll es nach der sechsmonatigen Testphase weitergehen?

Thiess: Nach der Testphase machen wir nochmal eine Abstimmung unter allen. Uns ist es wichtig, dass es einen Konsens gibt. Wenn wir eine Zweidrittelmehrheit erhalten und die übrigen Parameter stimmen, gibt es keinen Grund, mit dem Projekt nicht weiterzumachen.

Schreiber: Wir rechnen dabei mit einem recht eindeutigen "Ja" oder "Nein". Wenn die Mitarbeitenden aber überwiegend dagegen sind, gehen wir wieder zurück zur Fünf-Tage-Woche. Wenn das Ergebnis knapp ausfällt, muss man überlegen, welche Alternativen es gibt. Wichtig ist es, dass das Modell für alle unterschiedlichen Gruppen passt – egal ob Anwälte oder Assistenz, mit oder ohne Kinder oder jung oder alt. Das ist eine große Herausforderung, aber gleichzeitig auch eine Chance.

Vielen Dank für das Gespräch!

Marlene Schreiber ist seit dem Jahr 2012 bei Härting tätig, seit 2020 als Partnerin und Co-Leiterin des Teams Digital. Sie ist Fachanwältin für IT-Recht.

Lars Thiess hat im Jahr 2009 als Studentischer Mitarbeiter bei Härting angefangen und ist mittlerweile Senior Associate im Intellectual Property (IP)-Team.

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