Abwerbung kaum zu vermeiden
Arbeitskräfte sind mittlerweile für die meisten Unternehmen ein wertvolles Gut. Um Arbeitnehmer:innen zu halten, werden einerseits zunehmend attraktive Arbeitsbedingungen und Benefits gewährt. Andererseits versuchen Unternehmen, sich durch Abwerbeverbote, nachvertragliche Wettbewerbsverbote oder die Geltendmachung unlauteren Wettbewerbs nach dem Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb (UWG) vor dem gefürchteten Brain Drain, dem Verlust von Wissen und Erfahrung, zu schützen.
Wegen der hohen Hürden, die die Rechtsprechung an einen Wettbewerbsverstoß stellt, hindert das UWG jedoch faktisch nur in Ausnahmefällen das Abwerben von Arbeitnehmer:innen. Auch von der Vereinbarung nachvertraglicher Wettbewerbsverbote sehen viele Unternehmen in der Praxis wegen der damit verbundenen Kosten ab. Denn für deren Laufzeit ist den ausgeschiedenen Arbeitnehmer:innen eine sogenannte Karenzentschädigung zu bezahlen, die im Regelfall mindestens 50 Prozent ihrer bisherigen vertragsgemäßen Bezüge entsprechen muss.
Das Mittel der Wahl war daher bislang vor allem die Vereinbarung eines vertraglichen Wettbewerbsverbots mit Vertragspartnern. So suchten die Unternehmen zu verhindern, dass die Vertragspartner während bestehender Vertragsbeziehungen und dem daraus resultierenden engen Kontakt zu eigenen Mitarbeitern, die eigenen Arbeitnehmer:innen abwerben.
Auch diese Praxis der Unternehmen ist allerdings inzwischen schwieriger geworden: Das Oberlandesgericht (OLG) Köln setzt der Durchsetzbarkeit solcher Regelungen nunmehr nämlich sehr enge Grenzen (Urt. v. 03.09.2021, Az. 6 U 81/21).
Ansprachen trotz Abwerbeverbots
Worum ging es in dieser Entscheidung? Die Antragstellerin erbrachte Call-Center-Dienstleistungen für die Antragsgegnerin. In dem zu Grunde liegenden Vertrag war unter anderem ein Abwerbeverbot vereinbart: "Beide Parteien verpflichten sich, keinen derzeitigen Mitarbeiter oder eine sonst vertraglich verpflichtete Person des anderen Vertragspartners mittelbar oder unmittelbar abzuwerben, sofern diese mit Leistungen aus diesem Vertrag oder einem der Vertragsteile betraut ist." Gesonderte Regelung zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen oder sonstigem Know-how wurden nicht getroffen.
Trotz des vereinbarten Abwerbeverbots wurden mehrere Arbeitnehmer der Antragstellerin während der bestehenden Vertragsbeziehung von Mitarbeitern der Antragsgegnerin angesprochen und gefragt, ob sie unter Umständen Interesse an einem Wechsel hätten. Als die Antragsgegnerin hierauf angesprochen wurde, sicherte diese zu, dass solche Abwerbeversuche künftig unterblieben. Da es trotzdem zu weiteren Abwerbeversuchten kam, erfolgte eine anwaltliche Abmahnung, auch damit änderte sich jedoch nichts.
Die Antragstellerin beantragte daher den Erlass einer einstweiligen Verfügung, die es der Antragsgegnerin untersagt, für die Laufzeit des zwischen ihnen bestehenden Vertrags eigene Arbeitnehmer zum Zwecke der unmittelbaren oder mittelbaren Abwerbung anzurufen oder anrufen zu lassen. Das Landgericht (LG) Köln entsprach dem Antrag. Die von der Antragsgegnerin eingelegte Berufung gegen diese Entscheidung war erfolgreich.
Grundsätzlich keine Durchsetzbarkeit des vertraglichen Abwerbeverbots
Ein Anspruch darauf, dass die Antragsgegnerin das Abwerben von Arbeitnehmern unterlasse, ergäbe sich im konkreten Fall weder aus dem UWG noch aufgrund des vertraglich vereinbarten Wettbewerbsverbots, entschied das OLG.
Das Gericht stellt zwar fest, dass die Antragsgegnerin gegen das vertraglich vereinbarte Wettbewerbsverbot verstoßen habe, weil sie die Abwerbeversuche durch ihre Mitarbeiter nicht unterbunden hat. Es müssten jedoch die Vorgaben des § 75f des Handelsgesetzbuches (HGB) beachtet werden. Dieser besagt, dass "im Falle einer Vereinbarung, durch die sich ein Prinzipal einem anderen Prinzipal gegenüber verpflichtet, einen Handlungsgehilfen, der bei diesem im Dienst ist oder gewesen ist, nicht oder nur unter bestimmten Voraussetzungen anzustellen, … beiden Teilen der Rücktritt frei [steht]. Aus der Vereinbarung findet weder Klage noch Einrede statt".
Nach dieser Regelung seien nicht nur strenge Einstellungsverbote gerichtlich nicht durchsetzbar, sondern auch Vereinbarungen zwischen Unternehmen, keine Arbeitnehmer des jeweiligen Vertragspartners abzuwerben. Unter Berücksichtigung dieser gesetzgeberischen Wertung sei den Interessen von Beschäftigten an ihrem beruflichen Fortkommen grundsätzlich der Vorrang gegenüber dem Interesse des Arbeitgebers einzuräumen, sich vor dem Abwerben von Mitarbeitern und dem damit verbundenen Know-how-Verlust oder damit verbundener Wettbewerbsnachteile zu schützen.
Ausnahmsweise überwiegendes Interesse des Arbeitgebers
Durchsetzbar seien vertragliche Abwerbeverbote nur dann, wenn ausnahmsweise berechtigte Interessen des Arbeitgebers an der Untersagung von Abwerbeversuchen anerkannt werden könnten, die das Interesse des betreffenden Arbeitnehmers an seinem beruflichen Fortkommen überwiegen. Dies sei etwa dann der Fall, wenn das Abwerben als solches eine unlautere geschäftliche Handlung darstelle, die nach dem UWG unzulässig sei. Denkbar sei auch, dass durch das Abwerbeverbot einem besonderen Vertrauensverhältnis zwischen den Vertragsparteien oder der besonderen Schutzbedürftigkeit einer Partei Rechnung getragen werden soll.
Das Vorliegen solcher besonderer Umstände wurde im konkreten Fall allerdings verneint: Die Antragstellerin habe lediglich Call-Center-Dienstleistungen für die Antragsgegnerin erbracht. Dass die Parteien besondere Vereinbarungen zum Schutz erlangten Know-hows unterlassen hatten, spräche gegen eine besondere Vertrauenssituation, die ohnehin aber nur in engen Grenzen anzunehmen sei. Das Abwerben stellte hier auch kein wettbewerbswidriges Verhalten am Maßstab des UWG dar, da die Schwelle zur sogenannten Behinderung des Wettbewerbs nicht erreicht sei.
Es müsse deshalb bei der Wertung des § 74f HGB verbleiben und der Verstoß gegen das vertraglich vereinbarte Abwerbeverbot könne nicht gerichtlich durchgesetzt werden.
Wenig Schutz vor Abwerbung
Die Entscheidung des OLG Köln schränkt den Schutz vor Abwerbeversuchen für Unternehmen deutlich ein. Denn letztlich bedeutet sie, dass ein solcher Schutz vertraglich nicht bzw. kaum über den ohnehin bestehenden, gesetzlichen Schutz vor unlauteren geschäftlichen Handlungen nach dem UWG ausgeweitet werden kann.
Die vom OLG Köln ausnahmsweise anerkannten Sonderfälle, in denen die besonderen Interessen des betroffenen Arbeitgebers der generellen gesetzlichen Wertung des § 74f HGB vorgehen, sind weitgehend deckungsgleich mit den von der Rechtsprechung anerkannten Fällen, in denen das Abwerben von Mitarbeiterin ohnehin eine unlautere geschäftliche Handlung nach dem UWG darstellt. Ein grundsätzlicher Vorteil vertraglich vereinbarter Abwerbeverbote ist damit nicht mehr erkennbar.
Wollen Unternehmen solche auch künftig verwenden, müssen sie darauf achten, soweit möglich zusätzliche Regelungen zu vereinbaren, die Indizien für eine besondere Schutzbedürftigkeit oder Vertrauensstellung schaffen. Zu denken ist etwa an besondere Klauseln zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen oder eine inhaltliche Beschränkung auf ein Verbot des Abwerbens von entsprechenden Know-how-Trägern.
Oder sie vertrauen auch künftig auf die Macht des Faktischen: Denn vertraglich vereinbarte Abwerbeverbote sind in der Praxis gerichtlich zwar kaum durchsetzbar. Aber wer Beschäftigte eines Vertragspartners entgegen einer Vereinbarung versucht abzuwerben sollte immer damit rechnen, dass sich dann auch der andere bis dahin redlich Handelnde nicht mehr an Vereinbarungen hält und nach § 75f HGB vom Vertrag zurücktritt. Dann ist die Frage, ob der Verlust der Geschäftsbeziehungen und womöglich der eigenen Reputation die bloße Chance auf neue Beschäftigte durch Abwerbung wert ist.
Der Autor Dr. Stefan Lochner ist Fachanwalt für Arbeitsrecht und Partner bei Advant Beiten.
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2022 M06 3
Individual-Arbeitsrecht
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