Themenwoche Anwalt & Technik

Kanzleisoftware am Vorabend der digitalen Revolution

von Johanna Strohm, LL.M.Lesedauer: 5 Minuten
Für Anwälte ist spezielle Kanzleisoftware selbstverständlich. Aber die digitale Revolution steht erst bevor. Wenn das Tablet bei Gericht nicht nur die Gesetzessammlung enthält, sondern auch die gerade erst online in der Kanzlei aktualisierte Handakte, wirkt der zwingende elektronische Rechtsverkehr ab 2016 fast altmodisch. Ein Überblick.

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Die eingesetzte EDV ist einer der zentralen Faktoren für die Arbeitsabläufe in einer Kanzlei. Entscheidungen für oder gegen eine bestimmte Software beeinflussen daher auf Jahre hinaus auch die Wettbewerbsfähigkeit einer Kanzlei. Als viele noch gar nicht wussten, was ein Computer ist und kann, erwarb Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht Dietrich Gehrmann 1983 seine erste Kanzleisoftware, sehr zur Verwunderung seiner Kollegen "Ich wurde damals von vielen belächelt, aber es war genau der richtige Schritt." Der Aachener Anwalt setzt seitdem auf die Kanzleisoftware von RA-MICRO und hat dadurch nach seiner Einschätzung in all den Jahren immer eine Vollzeitarbeitskraft eingespart. Begonnen hat die Entwicklung anwaltsspezifischer Software Anfang der 1980-er Jahre. Von Beginn an dabei ist Rechtsanwalt Dr. Peter Becker, Gründer und Geschäftsführer der RA-MICRO Software GmbH & Co. KGaA. Neben seiner anwaltlichen Tätigkeit erfand er zur Vereinfachung der täglichen Arbeit ein Kanzleiorganisationskonzept auf Microcomputerbasis.

Akten- und Adressverwaltung immer noch am wichtigsten

Seitdem ist der Markt für Kanzleisoftware immer mehr angewachsen, jedes Jahr drängen neue Produkte und Anbieter auf den Markt. "Vor allem ist die Software immer günstiger geworden und die Produkte immer innovativer", berichtet Becker. Ersetzt im Konkurrenzkampf vor allem auf neue Ideen und die 90 Mitarbeiter seiner Entwicklungsabteilung. Ob RA Micro, AnNoText oder Datev,  um nur die größten Anbieter im Markt zu nennen: Sämtliche Programme konzentrieren sich auf das Arbeiten rund um die Akte. Für die Anwender, Anwälte und Mitarbeiter, sind Akten- und Adressverwaltung sowie das Dokumentenmanagement nach wie vor die wichtigsten Funktionen. Die Arbeitsgemeinschaft Kanzleimanagement des Deutschen Anwaltsvereins (DAV) hat sich 2013 in einer Erhebung mit den Merkmalen von Anwaltsprogrammen beschäftigt und eine Umfrage unter Anwältinnen und Anwälten zur EDV-Nutzung in den Kanzleien vorgenommen. Überwiegend verwenden diese danach noch klassische datenbankbasierte Client-Server-Systeme, die auf Windows-Betriebssystemen laufen.

Kanzleisoftware reloaded: Management statt nur Adressverwaltung

Die Untersuchung des DAV zeigt auch, dass die meisten Programme sich noch an der forensisch tätigen Allgemeinkanzlei mit Abrechnung nach dem RVG orientieren. Aber die Rechtsberatung gerade in mittelgroßen Kanzleien ändert sich, betriebswirtschaftliche Aspekte werden immer wichtiger. Die Kanzleisoftware ist nicht mehr nur ein Arbeitsinstrument für das Sekretariat oder ein Dokumentenmanager für den Anwalt, sondern auch ein Managementwerkzeug. Rechtsanwalt Simon Ahammer, Leiter der Softwareentwicklung bei Beiten Burkhardt Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, bestätigt, dass schon jetzt ein Schwerpunkt der Softwarenutzung in seiner Kanzlei das Controlling ist: "Zweidrittel der Arbeit der Anwälte am Programm dreht sich um die Leistungserfassung, Billing und Reporting."  Da diese Bereiche von den klassischen Anbietern bislang oft nicht ausreichend abgedeckt werden, setzen größere und besonders spezialisierte Kanzleien auf maßgeschneiderte Softwarelösungen wie die der Karlsruher STP-Gruppe, die sich auf Produkte für Wirtschafts- und Insolvenzkanzleien spezialisiert hat. Zunehmend erwarten aber auch kleinere Kanzleien die Möglichkeit einer differenzierten Verwaltung von Stundensätzen oder Unterstützung bei der internen Honorarverteilung zur Gewinnermittlung.

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2/2: Maßgeschneidert, flexibel, mit den Kollegen verknüpft

Das Angebot an Softwarefunktionen hat sich in den letzten Jahren besonders im Bereich Dokumentenmanagement ständig weiterentwickelt und spezialisiert, dennoch gibt es zumeist nur ein Komplettprogramm für alle Kanzleimitarbeiter. Softwareentwickler Ahammer hält dies für nicht mehr zeitgemäß, "in Zukunft werden sich spezialisierte, auf Modulen basierte miteinander verknüpfte Programme durchsetzen, für jeden Arbeitsbereich ein eigenes Programm, für jedes Problem eine eigene schnelle Lösung". Eine solche Lösung bietet bereits die Wolters Kluwer Deutschland GmbH, zu der auch Legal Tribune ONLINE gehört. Die langjährig am Markt etablierte Kanzleisoftware AnNoText ist mit der neuen Arbeitsumgebung für Anwälte jdesk über eine Schnittstelle verknüpft, die Module agieren miteinander. "So kann zum Beispiel ein Schriftsatz der Gegenseite von seinem Eingang in der Poststelle bis hin zu seiner Bearbeitung durch den Rechtsanwalt einheitlich, sicher und effizient bearbeitet werden", erläutert  Ralph Vonderstein, Chief Information Officer Legal & Regulatory.   Um eine bisher genutzte Software erfolgreich zu verändern, ist nach Erfahrung von Martin Harasim, Leiter Technisches Produktmanagement AnNoText,  die Einbeziehung aller Bereiche einer Kanzlei entscheidend, neben den Anwälten auch Büroorganisation, Sekretariat und Buchhaltung. Es braucht nicht nur die richtige Software für den Workflow innerhalb einer Kanzlei, sondern die Mitarbeiter müssen auch die wichtigsten Arbeitsabläufe aller Kollegen kennen.

Sichere Daten in der privaten Wolke

Bereits jetzt bieten viele große Anbieter flexible Teile ihrer Softwarelösungen für den Einsatz auf mobilen Endgeräten an, vor allem in Form von Apps. Diese werden in Zukunft verstärkt die Nutzung bestimmter mobil benötigter Elemente der Kanzleisoftware ermöglichen wie etwa die Zeiterfassung. Doch Mandatsinformationen können mobil nur dann sinnvoll genutzt werden, wenn die Daten zentral und mit einer leistungsfähigen Internetanbindung zur Verfügung gestellt werden. Immer mehr Anbieter setzen dabei auf eine "Private Cloud", bei der die Bereitstellung der Daten über ein firmeninternes Internet verläuft. Dadurch werden die Daten sicher bearbeitet und verwahrt und gleichzeitig die Hardwarekosten reduziert. Trotz aller bereits jetzt im Kanzleialltag genutzten technischen Möglichkeiten sind sich die Softwarehersteller einig, dass die große digitale Revolution erst noch bevorsteht. Viele Anwälte zögern aber noch vor dem großen Sprung zur E-Akte zur vollständigen digitalen Bearbeitung eines Mandats.*

Digital wird sich durchsetzen, wenn es besser ist als analog

Das im vergangenen Jahr beschlossene Gesetz zur Förderung des Elektronischen Rechtsverkehrs verpflichtet die Anwälte spätestens ab 2022 zum elektronischen Verkehr mit der Justiz. Softwareexperte Harasim erwartet eine radikale Veränderung: "Im Moment bedeutet Digitalisierung zusätzlichen Zeitaufwand für die Kanzleien. Nach der allgemeinen Umstellung auf eine elektronische Kommunikation zwischen Justiz, Verwaltung und anderen Anwaltskanzleien wird das Digitale der Alltag sein." Er rät Anwälten, ihre internen Postbe- und verarbeitungsprozesse bereits jetzt an die neuen Technologien, insbesondere an das ab 2016 zur Verfügung stehende elektronische Anwaltspostfach, anzupassen. Rechtsanwalt Gehrmann setzt in seiner Kanzlei weiterhin auf die neueste Technik, auch wenn er an einer erfolgreichen Umsetzung auf Seiten der Justiz noch zweifelt. RA Micro-Gründer Becker ist davon überzeugt, dass sich die digitale Technik auch in anderen Kanzleien weiter durchsetzen wird, sobald sie besser ist als ihre analoges Gegenstück. "Ein Anwalt wird dann ein Tablet statt einer Handakte mit ins Gericht nehmen, wenn er es bequem in einer Hand halten kann, dennoch alles gut darauf zu lesen ist und es ihm mehr bietet als das Papier." Die ersten 8-Zoll-Tablets sind nun auf dem Markt, zusammen mit der passenden Software haben sie eine große Chance, viele Zweifler zu überzeugen. * Formulierung am Tag der Veröffentlichung geändert um 11:53.

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