Die eigene Kanzlei gründen

"Früh­zeitig auf ein Rechts­ge­biet fest­legen"

Interview von Dr. Franziska KringLesedauer: 7 Minuten

Viele träumen von der eigenen Kanzlei. Aber wie fängt man an und mit welchen Kosten muss man rechnen? Gründerin Şölen Izmirli erklärt im Interview, wie die Gründung finanziert werden kann und warum ein großes Netzwerk wichtig ist.

LTO: Frau Izmirli, Sie haben vor rund 13 Jahren Ihre eigene Kanzlei in Hamburg gegründet. Was sind die ersten Schritte, wenn ich mich als Anwältin bzw. Anwalt selbstständig machen möchte?

Şölen Izmirli: Zunächst muss man sich entscheiden, ob man die Kanzlei von Zuhause aus führen möchte oder sofort ein Büro anmietet.

Ansonsten ist ja das Schöne am Anwaltsberuf, dass man eigentlich nicht viel braucht, um zu starten. Man muss sich zuerst um die Vermögensschadenhaftpflichtversicherung kümmern, damit man die Anwaltszulassung überhaupt erhalten kann. Auch die beA-Karte ist mittlerweile zur Kommunikation mit den Gerichten unerlässlich.

Die meisten Anwältinnen und Anwälte, die ich kenne und die ihre eigene Kanzlei gegründet haben, haben sich zuerst  darum gekümmert Vor der Kanzleigründung hat man vielleicht schon aus dem Bekannten- und Freundeskreis ein oder zwei Mandate. Das kann man dann nach und nach ausbauen und sich überlegen, in welche Richtung man gehen möchte. Was ich auch sehr wichtig finde, ist eine Kanzleisoftware, mit der man unter anderem die Schriftsätze erstellen, die Buchhaltung machen, die Fristen im Blick haben und das beA nutzen kann. Gerade am Anfang wird man so bei der Kanzleiorganisation etwas an die Hand genommen.

Mit welchen Kosten muss ich für die Gründung rechnen – angenommen, ich miete ein Büro an?

Die Kosten für das Büro hängen natürlich stark vom Standort ab, also ob die Kanzlei in Großstädten wie Hamburg, München, Berlin oder Köln oder aber in kleineren Städten auf dem Land ist.

Viele junge Kolleginnen und Kollegen gehen auch erstmal mit anderen in Bürogemeinschaft, mieten also wirklich nur einen Raum in dem Büro. Aber auch bei der reinen Raummiete kommt man in Hamburg auf mindestens 500 bis 700 Euro. Wenn man auf das Sekretariat zugreifen kann, zahlt man auch dafür häufig separat. Hinzukommen u.a. Versicherungen, GEZ-Gebühren, Telefonkosten, Anwaltssoftware und der Beitrag für das Versorgungswerk. Das sind schon einige Kosten, die man nicht unterschätzen sollte.

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"Viele Gründer arbeiten nebenbei als freie Mitarbeiter"

Welche Versicherungen benötige ich denn?

Ohne Vermögenshaftpflichtversicherung bekommt man keine Zulassung. Dann natürlich die private oder freiwillig gesetzliche Krankenversicherung. Außerdem ist man noch im Versorgungswerk. Wenn man ein Büro hat, sollte noch dringend eine Bürohaftpflichtversicherung hinzukommen. Da wir immer digitaler arbeiten, sollte man auch über eine Cyberversicherung nachdenken.

Was viele Kolleginnen und Kollegen vernachlässigen, ist eine Berufsunfähigkeitsversicherung und eine Krankentagegeldversicherung.. Wenn man mal länger krank ist, kann es sein, dass man über einen langen Zeitraum keine Einnahmen hat. Zur Überbrückung bieten sich diese Versicherungen an.

Wie kann ich die Kanzleigründung finanzieren, wenn ich nicht über das nötige Eigenkapital verfüge?

Existenzgründer, die – etwa direkt nach dem zweiten Staatsexamen – aus der Arbeitslosigkeit kommen, können staatliche Unterstützung erhalten. Sie können den sogenannten Gründungszuschuss der Arbeitsagentur beantragen. Man braucht dafür u.a. einen Businessplan und einen Liquiditätsplan. Mit dem Gründungszuschuss, den man zunächst ein halbes Jahr monatlich erhält, kann man erstmal für die Anfangszeit die Fixkosten decken.

Es gibt auch noch weitere Förderungen für Existenzgründer, etwa ein Kredit bei der KfW oder anderen Banken. Aber man muss natürlich im Blick haben, dass man die Kredite irgendwann zurückzahlen muss.

Es ist unerlässlich, dass man schnell an eigene Mandate rankommt, was ja erstmal nicht so einfach ist. Viele arbeiten zunächst nebenbei in einer anderen Kanzlei als freie Mitarbeiter, um so die Fixkosten des eigenen Büros zu zahlen. So kann man in den ersten Monaten ganz gut überleben.

"Die meisten Mandate bekommt man über Empfehlungen"

Wie schaffe ich es denn, die ersten Mandate zu akquirieren bzw. Geld zu verdienen?

Auch ich habe meine Kanzlei am Anfang zum großen Teil über die freie Mitarbeit in einer anderen Kanzlei finanziert. Irgendwann habe ich aber festgestellt, dass ich mich mehr auf die eigene Mandatsakquise konzentrieren musste. Dann habe ich angefangen, das Internet mehr zu nutzen. Vor 13 Jahren war nicht allen Kanzleien bewusst, dass man auch so Mandate akquirieren kann. Ich habe meine Homepage überarbeitet und mich auf sämtlichen Portalen und Foren im Internet – kostenlose Portale, anwaltsspezifische Portale, Branchenbücher usw. – registriert und dann hat sich alles langsam entwickelt. Meiner Meinung nach bekommt man die meisten Mandate über Empfehlungen. Wenn man ein Mandat gut macht, spricht sich das schnell herum.

Je nachdem, in welchem Bereich man tätig ist, gibt es unterschiedliche Möglichkeiten, um Mandate zu generieren. Ich bin im Verkehrsrecht tätig, also habe ich mir einen guten Kontakt zu Sachverständigen, Autohäusern und Werkstätten aufgebaut. Zudem übernehmen viele Anwälte am Anfang Terminsvertretungen für Kollegen. So können sie sich in den Rechtsgebieten entwickeln, Prozesserfahrung sammeln und dafür auch Geld verdienen. Solange noch nicht alle Gerichte auf die Videoverhandlung übergehen, werden Terminsvertreter immer gesucht. 

Strafrechtler können sich z.B. als Pflichtverteidiger beiordnen lassen. So erhält man dann – gewollt oder ungewollt – Mandate. In den unterschiedlichsten Bereichen gibt es verschiedene Märkte, auf denen man die Mandanten findet, die man möchte. Die Kunst ist es nur, relativ schnell herauszufinden, wen man eigentlich möchte.

Wie kann man das herausfinden?

Man sollte sich frühzeitig auf ein Rechtsgebiet festlegen. Natürlich muss es – gerade in den ländlichen Gebieten – auch Anwälte geben, die sämtliche Fälle bearbeiten. Auch ich habe in den ersten zwei Jahren einfach alle Mandate angenommen. Dann habe ich aber gemerkt, dass das keinen Spaß macht und Zeit und Geld kostet, wenn man sich immer neu in fremde Rechtsgebiete einarbeiten muss. Deshalb sollte man sich auf Rechtsgebiete spezialisieren, die einem Freude bereiten und auch leichtfallen.

"Zuvor ein bis zwei Jahre Berufserfahrung"

Sie sind im Vorstand des Hamburgischen Anwaltvereins und waren lange Stellvertretende Vorsitzende des Forums Junge Anwaltschaft im Deutschen Anwaltverein (DAV). Inwiefern hilft Ihnen das bei der Mandatsakquise?

Durch meine ehrenamtlichen Tätigkeiten habe ich mir ein großes Netzwerk aufgebaut. Das unterschätzen ganz viele, aber über so ein anwaltliches Netzwerk generiert man auch Mandate. Man kann Stammtische und Fachtagungen besuchen und sich in den jeweiligen Anwaltskammern engagieren. Dann berichtet vielleicht ein Strafrechtler, dass sein Mandant auch einen Verkehrsunfall hatte und fragt, ob ich das Mandat nicht übernehmen kann.

Wann ist der beste Zeitpunkt, um eine eigene Kanzlei zu gründen?

Meine persönliche Einschätzung ist, dass man ein bis zwei Jahre Berufserfahrung gesammelt haben sollte. Dann hat man schon ein erstes Gespür für den Anwaltsberuf. Wenn man Glück hat, landet man zum Berufseinstieg in einer Kanzlei, in der man auch Einblicke bekommt, wie man sie führt und was zu den Tätigkeiten eines Rechtsanwalts gehört. Schließlich muss ein selbstständiger Rechtsanwalt nicht nur Mandate bearbeiten, sondern auch ein Unternehmen führen und dazu gehört neben der Akquise auch Rechnungen schreiben und die Buchhaltung.

Ist man auf Hilfe von Kolleginnen und Kollegen angewiesen?

Das kann sehr hilfreich sein. Ich hatte das Glück, dass mir die Kollegin, die mich in meiner Festanstellung eingearbeitet hat, in zwei Wochen einen Crashkurs gegeben hat. Wie lege ich eine Akte an? Was sind Wiedervorlagen? Was muss ich bei Fristen beachten, wie trage ich Fristen ein? Wer macht die Fristenkontrolle? Wie schreibe ich einen Kostenfestsetzungsantrag? Dieses Praxiswissen bringt einem leider in der Ausbildung niemand bei. Ich finde es schade, dass diese Anwaltspraxis kein Teil von Studium und Referendariat ist. Auch die Anwaltsstation im Referendariat liegt ja vor den Prüfungen – da ist der Fokus bei den anstehenden Klausuren. Nach dem Examen werden alle dann ins kalte Wasser geschmissen und müssen den eigentlichen Anwaltsberuf erst erlernen.

"Die meisten Anfänger scheuen sich, Honorarvereinbarungen zu schließen"

Lernen muss man vor allem auch, wie man die eigenen Tätigkeiten abrechnet. Sollte ich anfangs nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG), nach Stunden abrechnen oder pauschal ein Honorar vereinbaren?

Die meisten Anfänger scheuen sich, Honorarvereinbarungen mit Mandanten zu schließen, weil sie ja noch lernen und aus ihrer Sicht das Geld nicht wert sind. Und es gibt Rechtsgebiete, in denen Honorarvereinbarungen nicht möglich bzw. praktikabel sind. Das Verkehrsrecht zählt mitunter auch dazu. Ein Großteil des Verkehrsrechts geht z.B. nur über RVG.

Bei den Honorarvereinbarungen kommt es wieder auf das Rechtsgebiet und den Standort an. Als ich damals angefangen habe, Honorarvereinbarungen mit Mandanten zu schließen, hat man einen Stundensatz nicht unter 100 Euro kalkuliert. Mittlerweile kann man aus meiner Sicht als Berufsanfänger zwischen 200 und 250 Euro pro Stunde abrechnen. Aber wenn der Fall und der Aufwand es rechtfertigt, kann man auch mehr veranschlagen. Gerade im Wirtschaftsrecht, wenn es um hohe Summen geht, muss man natürlich auch die Honorare höher ansetzen, weil man über den Stundensatz ja auch sein Haftungsrisiko abdeckt.

"Schon im ersten Berufsjahr Urlaub einplanen"

Wenn Sie auf die Gründung Ihrer Kanzlei zurückblicken: Gibt es etwas, das Sie aus heutiger Perspektive anders machen würden?

Ich hätte wahrscheinlich von Anfang an versucht, mich etwas größer aufzustellen, also mit mehr Kollegen zusammenzutun. Ich habe das aufgrund des finanziellen Risikos aber immer gescheut. Ich bewundere junge Kollegen, die da einfach mutiger sind.

Ansonsten würde ich wohl alles genauso machen. Ich war angestellt, dann freie Mitarbeiterin in einer Kanzlei. Danach hatte ich eine Bürogemeinschaft mit Kolleginnen und Kollegen und daraufhin haben wir eine Sozietät gegründet. Ich konnte das stetig weiterentwickeln. Aber natürlich habe ich immer noch das Ziel, mich zu vergrößern und arbeite darauf hin. Vielleicht würde ich nur von Anfang an mehr Urlaub einplanen

Man sollte an Urlaub denken, wenn man gerade dabei ist, sich eine Existenz aufzubauen?

Wenn man es sich leisten kann, ja. Aber das muss natürlich jeder für sich entscheiden. Ich empfehle, schon im ersten Berufsjahr Urlaub einzuplanen, selbst wenn es nur ein verlängertes Wochenende ist. Man braucht einfach die Erholung, weil man sonst für die Mandantschaft nicht funktioniert. Das sollte man sich früh antrainieren, ansonsten kostet es immer mehr Überwindung, die Kanzlei einfach mal einen längeren Zeitraum ruhen zu lassen.

Vielen Dank für das Gespräch!

Şölen Izmirli ist Fachanwältin für Verkehrsrecht, gründete 2010 ihre eigene Kanzlei und ist seit 2014 Sozia in der auf das Verkehrsrecht spezialisierten Kanzlei Dwars & Izmirli in Hamburg.

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