Juristen in Shanghai Teil 3

Blitz­kar­riere als Strip­pen­zieher für die deut­sche Wirt­schaft

von Gil Eilin JungLesedauer: 7 Minuten
Shanghai ist für deutsche Unternehmen der Brückenkopf nach China, und die Deutsche Auslandshandelskammer ihr Vorposten. Gil Eilin Jung traf sich vor Ort mit einem ihrer Geschäftsführer und sprach mit ihm darüber, wie man als junger Anwalt zum wirtschaftlichen Strippenzieher in Fernost wird und warum man deutsche Kaffeekränzchen erst in der Ferne so richtig schätzen lernt.

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Verbrecher, sagt man, gehen gerne an den Ort ihres Verbrechens zurück – auch wenn Christoph Angerbauers Tat nur darin bestanden hat, sich verboten gut zu amüsieren. Denn einer Katharsis gleich feierte die Deutsche Community der 17-Millionen-Metropole Shanghai hier im Grand Hyatt vor wenigen Wochen bis morgens um 6 Uhr den German Ball, der sich in 14 Jahren zu dem gesellschaftlichen Highlight des Jahres entwickelt hat. Ein Event, das alle deutschen Ex-Pats aus den fernsten Ecken Chinas anzieht, deren Unternehmen Rang, Namen und Börsennotierungen haben. Gastgeber ist jedes Jahr die Deutsche Auslandshandelskammer (AHK) und indirekt Christoph Angerbauer, der Geschäftsführer der AHK-Dienstleistungsgesellschaft GIC. Nun sitzen wir da, wo sich venezianisch Maskierte auf die Big Party einstimmten, im 53. Stock des 420 Meter hohen Jin Mao Towers, keine 1000 Meter Luftlinie von Angerbauers Büro entfernt. Bis 2008 war der "Turm des Wohlstands", das höchste Bauwerk Chinas und bleibt wohl immer einer der schönsten Art Deco-Wolkenkratzer der Welt. Wirft man hier oben, im offenen Atrium-Foyer des imposanten Gebäudes, den Kopf in den Nacken, kann man an 34 Stockwerken entlang 152 Meter in die Höhe schauen, bis einem ganz schwindelig wird. Ein Sinnbild nahezu für eine Stadt mit Wachstumsraten von bis zu 10 Prozent, die Geschäfte, Erfolg und eben jenen Wohlstand für ganz viele zu versprechen scheint.

Vor einem Jahr erst wechselte Angerbauer nach Shanghai. Er kam aus Vietnam, als Leiter des Ho-Chi-Minh-Stadt-Büros einer deutschen Anwaltskanzlei. Zusammen mit seinem Team betreut der 31-jährige Jurist heute deutsche Firmen bei ihren Geschäftstätigkeiten vor Ort. Neben der reinen Lizenzierung in China, insbesondere bei der Gründung von 100%igen Tochtergesellschaften (Ltd. Co.) und Joint Ventures, steht Angerbauer auch bereit, wenn es darum geht Zulieferer und Facharbeiter zu finden, Aus- und Weiterbildung der chinesischen Mitarbeiter zu gewährleisten, genauso wie Messeauftritte zu organisieren – von der Wahl des Standes, dem Design der Marketing-Tools bis zum gekonnten Web-Auftritt.

Erhöhter Beratungsausfwand für deutsche Kunden

Angerbauer hat an der Universität München Jura studiert und 2006 das Zweite Staatsexamen abgelegt. Der Anwalt mit Spezialisierungen im  Steuerrecht und Internationalen Privatrecht kam nach Zwischenstationen in Paris und München vor fünf Jahren nach Asien. "Ich hatte immer schon eher ein thematisch breit gefächertes Interesse", sagt er und betont, dass ihm genau das heute in seiner Funktion als Geschäftsführer der GIC Shanghai zugute kommt. In China sei der Beratungsaufwand für Kunden "deutlich höher, weil die rechtlichen Strukturen längst nicht so gefestigt sind wie in Deutschland", findet der Jurist. Eine Vorgehensweise, die für deutsche Juristen "gewöhnungsbedürftig sei". Stellt sich etwa eine bestimmte Sachlage ein, neigt man in China eher dazu, die zuständigen Behörden zu kontaktieren. Keine Recherche, kein Blick in Kommentare. Und wenn, dann unterläge die Anwendung der Gesetze oftmals regionalen Unterschieden, die teilweise erheblich voneinander abweichen. Verwirrung total? "Ja", sagt Angerbauer, "zudem ändert sich auch permanent alles." China habe in den letzten 30 Jahren sämtliche Rechtsgrundlagen an internationale Standards angepasst, allerdings sei die Umsetzung aller Vorschriften noch nicht landesweit gewährleistet. Das chinesische Gerichtssystem sei nicht mit dem deutschen vergleichbar. "Es besteht im Staat keine Gewaltenteilung, so dass gerichtliche Entscheidungen manchmal schwer nachvollziehbar sind", sagt Angerbauer. Aber auch hier sieht der Jurist deutliche Verbesserungen. Juristisch kompliziert wird es für Firmen oft, wenn es um Standortwechsel geht, was in Europa zuweilen wie ein Hobby betrieben wird. Nicht so in China. Da schlägt die bürokratische Keule mit voller Wucht zu und was sich wie ein simpler, administrativer Akt anhört, kann sich bis zu sechs Monate herauszögern – im Extremfall bis zur Firmenpleite. "Das Problem ist, dass bestehende Lizenzen abgegeben werden müssen, weil dann andere Behörden zuständig sind." Da sind Geschäftsaktivitäten unmöglich, weil die Steuernummer erst mal weg ist, sich keine Rechnungen mehr stellen lassen und das Business brach liegt, ehe man sich versieht. "Wer sich verändern will, dem raten wir eher dazu, etwas Adäquates in derselben Finanzamtszuständigkeit zu finden oder gleich ganz neu zu gründen."

Steuerrecht "Made in Germany"

Der Attraktivität der deutschen Auslandshandelskammer AHK tun solche Pannen keinen Abbruch. Im Gegenteil. Für deutsche Firmen in China, egal ob bereits vor Ort etabliert oder noch in der Planungsphase, ist die AHK ein Service-Center mit magnetischer Wirkung, wie Angerbauers Chef Jan Nöther betont. Nöther leitet die AHK seit Sommer 2010 als Delegierter der deutschen Wirtschaft. Neben juristischer Beratung, gibt es technische und handwerkliche Schulungen auf höchstem Standard für deutsche und chinesische Betriebe, über 100 Tagungen und Workshops im Jahr und enge geschäftliche wie soziale Kontakte zu den 1.300 Mitgliedern, als wäre China ein Dorf und die Members Nachbarschaft. "Es gibt starke industrielle Faktoren, wo die Deutschen eine große Rolle spielen", sagt Nöther. Die Automobilhersteller und –Zulieferer, der chemische Sektor mit Bayer oder BASF und viele andere. "Wir haben das Who’s who der deutschen Industrie hier", betont der AHK-Chef. Deutsche Produkte seien "en vogue" – und Angebauers Job ist es, die Maschine am laufen zu halten.

Dazu gehören auch allgemeine Informationen zu Steuerrechtsfragen. "Das chinesische Steuerrecht hat sich in den letzten Jahren sehr stark den internationalen Standards angenähert", erklärt der Rechtswissenschaftler. "Auch wenn man weltweit über deutsches Steuerrecht schmunzelt, ist in China auch in diesem Bereich das Label 'Made in Germany' stark", sagt Angerbauer. Eine Besonderheit ist in diesem Zusammenhang die sogenannte Geschäftssteuer, die auf die meisten Dienstleistungen in China erhoben wird, mit einem Steuersatz zwischen 3 und 5,5 Prozent, die jedoch nicht wie die Umsatzsteuer einen Vorsteuerabzug ermöglicht.  "In einer Leistungskette addieren sich Steuern so schnell ins Uferlose, was wiederum zur Folge hat, dass sich die Dienstleistungen erheblich verteuern", erläutert Angerbauer. Allerdings sei die Einführung einer Umsatzsteuer für China auch in diesem Bereich geplant. Als ein Pilotstarttag ist der 1. Januar 2012 in Shanghai vorgesehen. Eindeutige Regelungen liegen jedoch noch nicht vor.

"Sorglos-Paket" für Expats

Christoph Angerbauer ist ein waschechter Münchner mit fröhlichen braunen Augen und einem offenen Lachen. Er ist "in Schwabing geboren und aufgewachsen", wie er sagt. Während seiner Schulzeit verbrachte er einige Monate in Frankreich und ein Jahr in Japan. Er lebte bei einer japanischen Gastfamilie in der Nähe von Osaka und war einziger Ausländer in seiner Schule. Keine Erfahrung, die ihn geschreckt hat. Im Gegenteil: "Asien hat mich vom ersten Moment an fasziniert, die Andersartigkeit. Mein Fokus fiel anfangs auf Japan, weil es das einzige Land der Welt war, das in den 1990er Jahren wirtschaftlich in der Top-Liga spielte ohne westlich geprägt zu sein". Dennoch, um als Anwalt in Shanghai zu leben, muss man einen gewissen Idealismus mitbringen, weil das Mietniveau gehoben und die Lebenshaltungskosten gepfeffert sind. Ein "Sorglos- Paket" wie Angerbauer es nennt, unterstützt da viele Expats mit freundlichen Grüßen vom Arbeitgeber, inklusive einer Housing-Allowance und gelegentlichen Heimflügen. Angerbauer lebt nicht wie viele seiner deutschen Landsleute in einem geschützten Compound außerhalb der Innenstadt, sondern "Altstadt mittendrin" wie er sagt, keine zehn Gehminuten vom People’s Square. "Die Mischung ist mir wichtig, ich möchte das richtige Leben spüren, und nicht nur die Hochglanz-Fassaden im Finanzzentrum."

Deutsche Bäcker und deutsche Kaffeekränzchen

Mit seinem Chinesisch geht es schrittweise voran. Seit einem Jahr büffelt er die Sprache, macht beruflich das meiste in Englisch und Deutsch. Seine Arbeit in China, sagt er, lässt ihn sein altes Heimatland aus einem anderen Blickwinkel betrachten. "Man gewinnt Abstand zu den 'kleinen' Problemen, die in Deutschland täglich durch die Medien geistern und häufig nach ein bis zwei Wochen wieder in der Versenkung verschwinden. Man konzentriert sich auf die großen Trends, allerdings muss man laufend darauf achten den Bezug zu Deutschland zu behalten." Ob es Asien für die nächsten zehn Jahre sein wird, bezweifelt der Anwalt. "Die Anforderungen sind enorm, aber es gibt einem auch sehr viel zurück." Mit einer deutschen Anwaltstätigkeit habe das wenig zu tun. Was dem Juristen derzeit am meisten fehlt, sind "anständige Schafskopfrunden". Was er dagegen etabliert hat, sind deutsche Kaffeekränzchen. "Sonntagnachmittags mit Freunden Kaffee zu trinken und Kuchen zu essen – das ist unschlagbar." In Shanghai gibt es inzwischen zahlreiche deutsche Bäcker, die ausgezeichnet backen. Zuhause in München, sagt Angerbauer, hat er so was nie gemacht. "Dafür fand ich mich immer zu jung". Mittlerweile hat er das ideale Alter dafür. Und das Leben besteht ja nicht nur aus Arbeit. Mehr auf LTO.de: Juristen in Shanghai Teil 2: Bloß nicht das Gesicht verlieren Als Anwalt in Boomtown Shanghai: Es muss nicht immer Frankfurt sein China entdeckt Carl Schmitt: Pekings Blick nach Plettenberg

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