"Über Depressionen reden wie über ein gebrochenes Bein"
LTO: Herr Park, wie sah Ihr Leben vor der Erkrankung aus?
Byung Jin Park: Rückblickend kann ich nicht sagen, wann die Depressionen angefangen haben. Wir sind im Jahr 1995, als ich zehn Jahre alt war, von Korea nach Deutschland gekommen. Ich musste eine neue Sprache und Kultur kennenlernen. Das hat auch eine Rolle für meine Persönlichkeitsentwicklung gespielt.
Das Studium war nicht leicht, aber die Juristerei macht mir Spaß. Die Schwierigkeiten begannen zu Beginn des Berufslebens. Im Jahr 2012 habe ich meine erste Stelle in einer mittelständischen Kanzlei angetreten und wollte mich beweisen. Kurz danach habe ich geheiratet, eine Tochter bekommen und wir haben ein Haus gekauft. Für mich war es sehr schwer, den Beruf, die Familie und sonstige Verpflichtungen unter einen Hut zu bringen. Ich dachte aber, dass jeder so etwas durchmacht und es an mir liegt.
Wann haben Sie gemerkt, dass es so nicht mehr weitergeht und Sie ernsthaft krank sind?
Ich hatte immer mehr körperliche Symptome, war oft krank. Ich fühlte mich schwach und antriebslos, dachte aber an eine normale Grippe und nicht an psychosomatische Ursachen.
Eines Tages bin ich morgens schweißgebadet aufgewacht, weil ich einen Alptraum hatte. Ich konnte mich nicht aus dem Bett bewegen und habe es mit letzter Kraft geschafft, mich krankzumelden. Hinterher habe ich erfahren, dass dieses Phänomen "Depressiver Stupor" heißt und ein Anzeichen einer schweren Depression ist.
Auch meine Ehe litt unter der Situation. Mit einer Psychotherapeutin vereinbarte ich einen Termin für eine Eheberatung. Nachdem ich ihr die Situation geschildert hatte, sagte sie: "Herr Park, wir müssen über Sie reden, nicht über Ihre Ehe. Sie leiden an einer schweren Depression." Dieser Moment hat mir die Augen geöffnet.
"In Deutschland sind Depressionen bei Anwälten ein Tabuthema"
Wann haben Sie sich getraut, über Ihre Erkrankung zu sprechen?
Zunächst habe ich nur mit meiner Psychotherapeutin gesprochen. Im realen Umfeld hatte ich ansonsten keine Anlaufstelle. Gerade Anwältinnen und Anwälte müssen in der Öffentlichkeit und vor den Mandanten Souveränität ausstrahlen. Ich habe lange versucht, dieses Spiel mitzuspielen. Innerlich gelang es mir schon lange nicht mehr, aber nach außen war ich stark.
In Deutschland sind Depressionen bei Anwältinnen und Anwälten leider immer noch ein Tabuthema. In den USA gibt es ein Projekt von und für Berufsträger:innen aus dem juristischen Bereich mit psychischen Erkrankungen. Die Homepage bietet eine Plattform zum gegenseitigen Austausch. So etwas gibt es meines Wissens nach in Deutschland nicht.
Deshalb habe ich beschlossen, an die Öffentlichkeit zu gehen. Ende des Jahres 2018 – in der für mich schwierigsten Phase, meine ehemalige Frau und ich hatten uns getrennt – habe ich begonnen, auf Twitter offen über meine Depressionen zu sprechen.
Wie waren die Reaktionen in den sozialen Medien, als Sie öffentlich über Ihre Depressionen gesprochen haben?
Ich habe viele positive Rückmeldungen bekommen, wie mutig ich sei. Ich habe meine Entscheidung nie als mutig empfunden – für mich war es eine Möglichkeit, mich mit anderen Menschen auszutauschen. Es haben sich viele Betroffene gemeldet, die sagen, wie gut es tut, dass jemand offen über die Krankheit spricht.
Viele Menschen leiden unter Depressionen, verstecken das aber im realen Leben aber gut. Auch Anwält:innen haben mir geschrieben, dass sie ebenfalls betroffen sind, das aber aus Angst vor der Reaktion der Kanzleien und Mandanten nicht öffentlich machen wollen.
"Jede Depression ist anders, aber mir hilft das Radfahren"
Im Jahr 2020 haben Sie eine Akuttherapie im Medical Park am Chiemsee absolviert. Gab es einen bestimmten Moment in der Klinik, in dem Sie gemerkt haben, dass es bergauf geht?
Einen Moment möchte ich hervorheben: In den ersten zwei Wochen des Klinikaufenthalts habe ich an allen körperlichen Übungen teilgenommen und war jeden Tag im Fitnessbereich. Durch die Antriebslosigkeit und falsche Ernährung hatte ich in den vergangenen Jahren viel zugenommen und war übergewichtig. Dafür wollte ich mich wohl bestrafen und habe sogar mit Plattfüßen am Nordic Walking teilgenommen.
Eines Tages kam der Sporttherapeut zu mir und sagte: "Herr Park, ich will Sie diese Woche nicht mehr im Sportbereich sehen. Sie haben mehr als genug getan und brauchen eine Pause". Erst danach merkte ich, dass ich am ganzen Körper Schmerzen hatte. Scheinbar war ich nicht in der Lage, das selbst zu merken, und musste diesen Satz von außen hören. Am gleichen Tag hatte ich einen Termin mit meiner Psychologin und wir haben über wichtige Themen gesprochen, über die ich vorher nicht reden konnte.
Was hat Ihnen geholfen, die Krankheit zu überwinden?
Ich würde nicht sagen, dass ich die Krankheit "überwunden habe" – sie ist noch da und wird immer da sein, aber ich habe gelernt, damit umzugehen. Die Depression kontrolliert mich nicht mehr, sondern ich habe wieder mehr Kontrolle über mein Leben.
Jede Depression ist anders und für jede Person gibt es andere Mittel, die ihr helfen. Bei mir ist das Radfahren. Dabei kann ich abschalten und konzentriere mich allein auf die Fahrt und die Natur.
Die Zeit in der Klinik war wertvoll für mich. Ich habe gelernt, stolz auf mich zu sein – und mir zu verzeihen. Ich darf Fehler machen. Meine Selbstzweifel sind noch da, aber weniger geworden.
Wieso haben Sie sich dazu entschieden, ein Buch über ihren Weg aus der Krankheit zu schreiben?
Während des Klinikaufenthalts habe ich ein Therapiebuch geschrieben: eine Art Tagebuch, in dem ich Notizen zu jedem Tag gemacht habe. Ich wollte die Erkenntnisse und Erinnerungen festhalten. Außerdem war das Buch für meine Tochter gedacht, die vor Kurzem acht Jahre alt geworden ist. Sie ist noch zu klein, um alles zu verstehen, deshalb hoffe ich, dass ihr dieses Buch eines Tages helfen wird.
Ich wurde von einer Lektorin bei Twitter angeschrieben, ob ich meine Erlebnisse zu einem Buch verarbeiten möchte. Ich hatte keinerlei Erfahrungen mit dem Schreiben von Büchern und wusste nicht, ob ich es schaffe. Meine Motivation war immer meine Tochter. Jetzt erscheint das Buch bald in zweiter Auflage, weil die erste fast ausverkauft ist, und ich kann sagen: Ich bin stolz auf mich.
"Depression ist eine Krankheit"
Insgesamt waren Sie sieben Wochen in der Klinik. Wie war der Wiedereinstieg ins Arbeitsleben für Sie?
Das war ein spannender Moment. Ich hatte schon vor dem Klinikaufenthalt beschlossen, einen klaren Schnitt zu machen. Ich wollte die Kanzlei, in der ich sechs Jahre lang in leitender Position tätig war, verlassen.
Im April 2020 habe ich als Syndikusanwalt bei dem Drucktechnologie-Unternehmen n-art-m GmbH in Hanau angefangen. Ich habe über Microsoft Teams an der ersten Teamsitzung teilgenommen, als ich noch in der Klinik war. Das war ein wenig bizarr.
Für mich war es eine große Hilfe, dass ich nur aus dem Homeoffice arbeite und mein geschütztes Umfeld nicht verlassen musste. Nach dem Klinikaufenthalt musste ich einiges verarbeiten und hatte so genug Raum für mich.
Wie geht es Ihnen heute? Wie sieht Ihr Alltag aus?
Gerade befinde ich mich in einer depressiven Phase und es fällt mir schwer, Aufgaben zu meiner Zufriedenheit zu erfüllen. Mit meinem Arbeitgeber habe ich aber Glück. Ich kenne meine Chefin gut und sie wusste von Anfang an von meiner Depression. Bis jetzt hatte ich vor allem die Erfahrung gemacht, dass auf psychische Belange wenig Rücksicht genommen wird. Heute kann ich mit Kolleginnen und Kollegen und meiner Vorgesetzten offen über meine Depression sprechen.
Ich habe eine Teilzeitstelle und habe genug Zeit und Raum für mich. Ich kann flexibel die Arbeitszeiten anpassen und auf meinen psychischen Zustand reagieren. Hierzu habe ich die volle Unterstützung meiner Vorgesetzten und Kolleginnen und Kollegen. So bleibt zudem Zeit fürs Radfahren und für meine Tochter.
Außerdem habe ich mit einer Dissertation im Bereich der Künstlichen Intelligenz an der Universität Würzburg begonnen. Die Forschung macht mir Spaß und gibt mir neue Impulse.
Was würden Sie anderen Betroffenen aus Ihrer jetzigen Sicht mit auf den Weg geben?
Anderen Betroffenen würde ich sagen, dass es wichtig ist, sich mit sich selbst zu beschäftigen und dass es keine Schande ist, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen.
Vor allem möchte ich aber Menschen, die noch nie mit Depressionen in Berührung gekommen sind, mit auf den Weg geben: "Depression ist eine Krankheit. So, wie man mit Menschen mit einem gebrochenen Bein umgeht, sollte man auch mit Menschen mit Depressionen umgehen und die Krankheit nicht verteufeln." Ich möchte – auch mit meinem Buch "Ins Leere gelaufen" – zur Enttabuisierung beitragen. Vielleicht gelingt es uns irgendwann, auch auf beruflicher Ebene, normal über das Thema zu sprechen.
Vielen Dank für das Gespräch.
Die Fragen stellte Franziska Kring.
Byung Jin Park ist Syndikusrechtsanwalt bei der n-art-m GmbH in Hanau. Die zweite Auflage seines Buches "Ins Leere gelaufen" erscheint in Kürze beim mvg Verlag.
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2021 M08 18
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