Muss ich Sommerurlaub auf Balkonien machen?
Das derzeit schöne Wetter weckt Urlaubserinnerungen: Sonne, Strand und Meer. Die aktuelle Situation macht die Auswahl indes einfacher: Übrig bleiben dürfte – jedenfalls derzeit – vielen nur der eigene Balkon oder Stadtpark.
Wen die Ferne aber lockt, der wird sich fragen, ob man den Sommerurlaub 2020 nicht besser aufspart und im Herbst dann auf einen Urlaub in der Sonne spekuliert. Arbeitsrechtlich ist das aber gar nicht so unproblematisch - jedenfalls, wenn der Urlaub bereits beantragt und gewährt ist. Änderungen sind dann zumeist nur möglich, wenn der Arbeitgeber damit einverstanden ist.
Hier kommt der Überblick.
Warum eigentlich Urlaub?
Warum ein Arbeitnehmer überhaupt Urlaub beanspruchen kann, lässt sich für Juristen einfach beantworten. Das Bundesurlaubsgesetz (BUrlG) gesteht Arbeitnehmern einen unabdingbaren Anspruch auf einen vierwöchigen bezahlten Urlaub je Kalenderjahr zu (§§ 1, 3 BUrlG). Dieses Recht ist auch unionsrechtlich abgesichert, sodass auch der deutsche Gesetzgeber diesen Anspruch nicht streichen oder reduzieren könnte. Bereits die Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GrCh) gewährt das Recht auf bezahlten Urlaub (Art. 31 II GrCh), dessen Umfang in Höhe von jährlich mindestens vier Wochen durch die Arbeitszeitrichtlinie RL 2003/88/EG präzisiert wird.
Auch der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat in mehreren Urteilen die Bedeutung des Erholungsurlaubs betont, das Recht auf Urlaub als "ein besonders bedeutsamer Grundsatz des Sozialrechts der Union anzusehen ist, von dem nicht abgewichen werden darf" herausgearbeitet (s. z.B. EuGH, Urt. v. 6.11.2018, Az.: C-684/16).
Und: Für das Bestehen des Urlaubsanspruchs kommt es auch nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) nicht darauf an, ob der Arbeitnehmer ein "konkretes Erholungsbedürfnis" hat. Mit anderen Worten: Die erbrachte Arbeitsleistung ist grundsätzlich keine Anspruchsvoraussetzung für das Recht auf Urlaub (BAG, Urt. v. 20.5.2008, Az.: 9 AZR 219/07).
2020 weniger, dafür 2021 mehr Urlaub?
Damit diesem Erholungszweck genüge getan wird, muss der Urlaub also auch tatsächlich genommen werden. Ein Aufsparen des Urlaubs oder ein Auszahlen ist im bestehenden Arbeitsverhältnis nicht möglich. § 7 Abs. 3 S. 1 BUrlG verpflichtet dazu, den Urlaub im laufenden Kalenderjahr zu gewähren und zu nehmen. Eine Auszahlung von Urlaubsansprüchen ist nur ausnahmsweise bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses möglich, wenn der Urlaub wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses tatsächlich nicht mehr gewährt werden konnte (§ 7 Abs. 4 BUrlG).
Auch darf nur Urlaub, der im laufenden Jahr aus dringenden betrieblichen oder persönlichen Gründen wie etwa Krankheit nicht erteilt werden konnte, in das Folgejahr übertragen werden. Er ist dann aber auch bis zum 31. März des Folgejahres zu gewähren und verfällt andernfalls (§ 7 Abs. 3 S. 2, 3 BUrlG).
Heißt trotz der aktuellen Corona-Pandemie: Die Idee, seinen Urlaub 2020 gänzlich aufzuheben, um dann 2021 den doppelten Urlaub geltend zu machen, ist arbeitsrechtlich nicht möglich.
Das nächste Problem: Gewährt ist gewährt
Auch eine "Rückgabe" bereits genehmigten Urlaubs ist arbeitsrechtlich nicht einseitig möglich. Das Argument, dass der Urlaub jetzt ja "nicht wirklich genutzt" werden könne, würde vor Arbeitsgerichten nicht standhalten. Den für 2020 vereinbarten Urlaubs zurückzunehmen ist damit nur mit Einverständnis des Arbeitgebers möglich.
Der Umstand, dass eine gebuchte Reise nicht angetreten werden könne und der Urlaub damit doch sinnlos werde, ist kein rechtlich durchschlagendes Argument. Auch dass mit dem bestehenden Verbot, an die Adria oder nach Jakarta reisen zu dürfen, doch die Geschäftsgrundlage der Urlaubsgewährung entfalle, wird als Argument nicht funktionieren. Zwar wird das Argument der Anpassung der Geschäftsgrundlage, wie das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) es für die Störung von Schuldverhältnissen kennt (§ 313 BGB), in Corona-Zeiten z.B. bei gegenseitigen Verträgen teilweise diskutiert. Auf Urlaubsfragen dürfte dies aber nicht übertragbar sein: Die Gewährung von Urlaub und der damit beabsichtigte Zweck, nämlich sich von der Beanspruchung der Arbeit zu erholen, ist weiterhin möglich. Eine rechtliche Regel, dass Urlaub im Ausland sozusagen erholsamer als solcher in Deutschland ist, gibt es nicht.
Zudem geht es dem Arbeitgeber bei der Gewährung von Urlaub nicht nur darum, die Erholung des Arbeitnehmers zu ermöglichen, sondern auch darum, seinen gesetzlichen Pflichten nachzukommen. Das Reiseziel oder die Urlaubspläne des Arbeitnehmers haben den Chef nicht zu interessieren, selbst wenn dieser aus Höflichkeit fragt, wo es denn hingehe.
Kurzum: Den gewährten Urlaub zurückzugeben oder aufzuschieben, ist nur mit Einverständnis des Arbeitgebers möglich.
Rückruf aus dem Urlaub?
Auf der anderen Seite ist auch der Arbeitgeber an den gewährten Urlaub gebunden. Ein Widerruf gewährten Urlaubs, weil derzeit viel zu tun ist, wird auch Arbeitgebern regelmäßig nicht möglich sein (vgl. nur BAG, Urt. v. 21.9.2000, Az.: 2 AZN 576/00).
Allenfalls in Notfällen hat der Arbeitgeber einen Anspruch darauf, dass der Arbeitnehmer seinen genehmigten Urlaub verändert. Personelle Engpässe, seien diese aufgrund Krankheit oder weiterer urlaubender Arbeitnehmer entstanden, genügen hierfür nicht (LAG Köln, Urt. v. 27.09.2012, 6 Sa 449/12).
Wenn der Arbeitgeber also seine Mitarbeiter um "Rückgabe" des Urlaubs bittet, hat der Arbeitnehmer gute Karten und wird ggf. zusätzlichen Urlaub oder eine finanzielle Kompensation verhandeln können, wenn er sich auf den Wunsch des Arbeitgebers einlässt. Er sollte dabei nur bedenken, welche Folgen die aktuelle Situation für seinen Chef hat. Arbeitgeber, die ihr Personal händeringend benötigen, werden sich sicherlich auch nach der Pandemie daran erinnern, wer überobligatorischen Einsatz gezeigt hat - und dies entsprechend kompensieren.
Was ist mit spontanen Betriebsferien?
Mancher Arbeitgeber mag auch überlegen, ob die derzeitige Situation mit womöglich weniger Betriebsamkeit dazu genutzt werden könnte, die Urlaubsansprüche der Arbeitnehmer abzubauen, um dann, wenn es nach der Krise wieder richtig losgeht, alle Mitarbeiter zur Verfügung zu haben. Die Einführung sogenannter Betriebsferien, die den Arbeitnehmer verpflichten, Urlaub zu nehmen, ist grundsätzlich möglich. Üblich sind solche Schließungen etwa bei vielen Unternehmen um die Weihnachtszeit herum. Aber auch eine Arztpraxis, bei der die einzige Ärztin im Sommerurlaub für zwei Wochen verreist, kann Betriebsferien anordnen und die Arzthelfer dazu verpflichten, Urlaub zu nehmen.
In Betrieben mit Betriebsrat ist bei solchen Vorhaben aber der Betriebsrat zu beteiligen. Außerdem darf der Chef nicht den gesamten Urlaub seiner Mitarbeiter durch vorgegebene Betriebsferien verplanen: Über einen Teil der Zeit muss der Arbeitnehmer selbst verfügen können.
In der Coronakrise kommt für Arbeitgeber erschwerend hinzu: Betriebsferien müssen regelmäßig mit einem entsprechenden zeitlichen Vorlauf angekündigt werden, damit sich Arbeitnehmer darauf einstellen und ihren Urlaub entsprechend planen können. Sie dürfen daher nicht ein Mittel sein, um kurzfristig im Mai noch Urlaubstage zu erledigen. Außerdem kann es sein, dass Arbeitnehmer, die bereits zu Jahresbeginn ihren Urlaub beantragt und genehmigt bekommen haben, vielleicht auch gar keine Urlaubstage mehr für Betriebsferien übrig haben.
Urlaub in der Kurzarbeit
Auch in Unternehmen, bei denen aktuell Kurzarbeit eingeführt ist, werden sich Fragen nach der Urlaubsgewährung stellen.
Dabei gilt: Arbeitnehmer, die während Kurzarbeit Urlaub bereits beantragt und gewährt bekommen haben oder dies nunmehr beantragen, können weiterhin in den Urlaub gehen. Für die Zeit des Urlaubs erhalten sie ihr Urlaubsgeld in der Höhe des ungekürzten Verdienstes, also in voller und üblicher Höhe ohne etwaige Kürzungen infolge der Kurzarbeit (§ 11 Abs. 1 S. 3 BUrlG). Wird die Kurzarbeit allerdings als "Kurzarbeit null" durchgesetzt, bei der die geschuldete Arbeitsleistung also auf null reduziert ist, können sich die Urlaubsansprüche der Arbeitnehmer anteilig für diesen Zeitraum reduzieren (EuGH, Urt. v. 13.12.2018, Az.: C-385/17).
Entsprechendes – also eine anteilige Kürzung des Urlaubsanspruchs – dürfte auch für sonstige Zeiten des Ruhens des Arbeitsverhältnisses gelten. Das BAG hat erst kürzlich (Urt. v. 19.3.2019, Az.: 9 AZR 315/17) in Umsetzung eines Urteils des EuGH (Urt. v. 4.10.2018, Az.: C-12/17) entschieden, dass sich Urlaubsansprüche für Zeiten des Ruhens des Arbeitsverhältnisses wie z.B. einem Sabbatical anteilig reduzieren können.
Arbeitnehmer, die aufgrund Schul- oder Kitaschließungen zuhause ihre Kinder beaufsichtigen und beschulen müssen und daher ihrer Arbeit nicht nachgehen können, verlieren damit einerseits ihren Lohnanspruch aufgrund Nicht-Erbringung der Arbeitsleistung (§§ 275 Abs. 3, 326 Abs. 1 S. 1 BGB) und sind auf staatliche Ausgleichszahlungen nach dem neu geschaffenen Entschädigungsanspruch des § 56 Abs. 1 a Infektionsschutzgesetz (IfSG) angewiesen. Dabei reduziert sich auch für diesen Zeitraum ihr Urlaubsanspruch, weil das Arbeitsverhältnis ruht.
Der Autor Prof. Dr. Michael Fuhlrott ist Fachanwalt für Arbeitsrecht und Partner bei FHM – Fuhlrott Hiéramente & von der Meden Partnerschaft von Rechtsanwälten mbB - sowie Professor für Arbeitsrecht an der Hochschule Fresenius in Hamburg.
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2020 M04 27
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