"Für Männer mit Kindern gibt es viele Vorbilder, für Frauen nicht"
LTO: Frau Dr. Harraschain, Was machen Sie beruflich?
Dr. Nadja Harraschain: Ich bin Anwältin bei A&O Shearman im Bereich Arbitration/Litigation. Ich vertrete Mandant:innen in Schiedsverfahren und vor staatlichen Gerichten, berate aber auch im Vorfeld von Verfahren und bei Vergleichsverhandlungen. Die meisten Prozesse, an denen ich beteiligt bin, finden vor Schiedsgerichten statt. Im Regelfall geht es um Vertragsstreitigkeiten zwischen Unternehmen aus verschiedenen Ländern. Meist verlangt eine Seite Schadensersatz, teilweise geht es aber auch um die Durchsetzung der vertraglich vereinbarten Leistung.
Wieso haben Sie sich gerade auf das Schiedsrecht spezialisiert?
Ich bin da glücklich hineingestolpert. Im dritten Semester meines Jurastudiums an der Uni Freiburg habe ich am Vis Moot teilgenommen. Der Vis Moot ist ein internationaler Moot Court, bei dem Studierende in die Rolle der Parteivertreter:innen schlüpfen und so handelsrechtliche Fälle vor einem Schiedsgericht simulieren. Das hat mir viel Spaß gemacht und deshalb habe ich versucht, in Studium und Referendariat so viele Erfahrungen wie möglich in dem Bereich zu sammeln. Ich habe mich etwa an der Uni Freiburg weiter beim Vis Moot engagiert und meine Praktika und Referendariatsstationen entsprechend ausgesucht und auch zu einem Thema aus dem Schiedsrecht promoviert. Als Anwältin bin ich dabeigeblieben – und habe es nie bereut.
"Man sollte Freude haben, fremde Menschen zu treffen"
Was mögen Sie an Ihrem Job am liebsten?
Ich mag es, wie international meine Tätigkeit ist. Die Schiedsverfahren, die wir führen, sind in der Regel auf Englisch und man steht sehr oft im Austausch mit Kolleg:innen aus verschiedenen Staaten. Zum Beispiel haben wir in unserem deutschen Arbitration-Team Kolleg:innen aus den USA, Indien und der Ukraine. Wir arbeiten auch eng mit den Kolleg:innen aus den anderen Büros zusammen, zum Beispiel aus London, Bratislava, Dubai, Istanbul, Shanghai und Washington. Und ich reise viel; erst letztens habe ich an einem Schiedsverfahren in Abu Dhabi teilgenommen. So lernt man auch viel über andere Kulturen, das finde ich persönlich sehr spannend. Und es gibt eine weltweit sehr gut vernetzte "Schieds-Community".
Wieso ist die Vernetzung im Schiedsrecht so wichtig?
Die Schiedsrichter:innen bei den Schiedsverfahren werden benannt, entweder von den Parteien selbst oder aber durch eine Schiedsinstitution, die das Verfahren administriert. Grundvoraussetzung dafür, dass man benannt wird, ist natürlich, dass man mit seiner Expertise in dem Bereich auch bekannt ist. Deshalb hat die Schieds-Community ein Interesse daran, sich zu kennen und sich auszutauschen.
Dr. Nadja Harraschain ...
… ist Anwältin im Bereich Arbitration
… hat während ihrer Promotion breaking.through gegründet
… hat anfangs allein an der Website gebastelt
… führt gerne selbst Interviews
Was muss man mitbringen, wenn man sich auf das Schiedsrecht spezialisieren will?
Neben Englischkenntnissen natürlich eine gewisse Freude daran, fremde Menschen zu treffen und interkulturell zu arbeiten. Ich glaube aber auch, dass der Bereich gerade die Leute anzieht, die offen sind und gerne andere Menschen kennenlernen, weil das eben tagtäglich passiert.
"Unter vier Kindern wird man nicht Partner – ein Scherz unter Männern"
Außerdem haben Sie vor sechs Jahren breaking.through gegründet, eine Online-Plattform, die erfolgreiche Juristinnen porträtiert und Rollenbilder für Frauen vorstellen will. Wie sind Sie auf die Idee gekommen?
Während meiner Promotion habe ich als wissenschaftliche Mitarbeiterin in einer Großkanzlei gearbeitet. Dabei ist mir aufgefallen, dass es deutlich weniger Frauen in Führungspositionen gibt als Männer. Frauen mit Kindern gab es damals in meinem Kanzleiumfeld so gut wie gar nicht, während es bei Männern den Witz gab, dass man unter vier Kindern nicht Partner wird. Gleichzeitig habe ich immer wieder Gespräche mit gut ausgebildeten Juristinnen geführt, die gesagt haben, dass sie nur zwei oder drei Jahre in einer Großkanzlei arbeiten wollen mit der Begründung, sie wollten ja später Kinder haben. Ich habe mich dann gefragt, woran diese großen Unterschiede zwischen Männern und Frauen liegen können. Dann ist mir aufgefallen, dass es für Männer in dieser Hinsicht viele Vorbilder gibt, für Frauen aber nicht.
Das wollten Sie ändern?
Ja. Ich hatte das Glück, dass ich viele inspirierende Frauen in meinem Umfeld hatte, mit denen ich mich auch persönlich über Karriere und Familiengründung unterhalten konnte. Zum Beispiel meine Doktormutter Prof. Dr. (em.) Ingeborg Schwenzer, die zu einer Zeit Professorin geworden ist, in der es noch sehr wenige Frauen in der Position gab. Ich habe dann festgestellt, dass nicht viele Frauen die Möglichkeit haben, sich so auszutauschen, und das wollte ich ändern und Vorbilder sichtbar machen.
Wie machen Sie das?
Wir führen Interviews mit Juristinnen, veranstalten aber auch Panel-Diskussionen und Workshops. Außerdem bieten wir eine "Ratsvermittlung" an. Juristinnen – auch in der Ausbildung – können sich mit karrierebezogenen Fragen an uns wenden, beispielsweise zum Wiedereinstieg nach der Elternzeit. Wir vermitteln die Fragestellerin dann an eine Juristin aus dem Netzwerk, mit der sie sich austauschen kann. Dafür bekommen wir von beiden Seiten viel positives Feedback.
"Eines meiner Vorbilder ist meine Chefin Anna Masser"
Wie groß ist das Netzwerk mittlerweile?
Wir sind ein ehrenamtlich arbeitendes Team von 35 Personen, aufgeteilt auf Deutschland und die Schweiz. Die Schweiz hat aber eine eigene Plattform, denn der Markt und die Kultur unterscheiden sich. Das Team ist zum Glück sehr schnell gewachsen. Anfangs war ich allein, habe das Konzept entwickelt, bis nachts an der Website gebastelt und Anfragen für die Interviews gestellt. Aber ich bin froh, dass ich jetzt so viel Unterstützung habe, allein würde ich alles gar nicht mehr schaffen.
Für breaking.through haben Sie über die Jahre schon viele Interviews mit Juristinnen geführt. Führen Sie lieber Interviews oder werden Sie lieber interviewt?
Beides macht mir viel Spaß. Aber ich führe definitiv lieber Interviews, weil man dabei viel über die Interviewpartnerin lernt und seinen Horizont erweitert. Man kann sich aussuchen, mit wem man gerne worüber sprechen möchte und die Personen freuen sich auch in den allermeisten Fällen und sagen zu. Aber leider komme ich schon länger nicht mehr dazu, selbst Interviews für breaking.through zu führen. Meine großartige Stellvertreterin, Laura Nordhues, und ich haben viele andere Aufgaben und müssen so viele Entscheidungen treffen, da bleibt leider keine Zeit.
Haben Sie ein Vorbild?
Sogar mehrere. Neben meiner Doktormutter zum Beispiel auch meine Chefin Anna Masser, die die deutsche Praxisgruppe Schiedsverfahrensrecht bei A&O Shearman leitet. Ich habe sie tatsächlich über breaking.through kennengelernt. Mein Mann, der auch Anwalt ist, hat uns einander vorgestellt und mir vorgeschlagen, sie zu interviewen. Seit dem Interview sind sie und ich in Kontakt geblieben. Ich habe dann meine Anwaltsstation in ihrem Team – damals noch bei Allen & Overy – gemacht und wir haben festgestellt, dass wir uns nicht nur persönlich gut verstehen, sondern auch gut zusammenarbeiten können.
Sie ist eine sehr gute Juristin und sehr authentisch und geradlinig. Die Zusammenarbeit in unserem Team ist von großer gegenseitiger Wertschätzung und Vertrauen geprägt. Daneben schätze ich die Flexibilität, die sie bei uns im Team bietet – sie sagte mir vor meiner Anwaltsstation mal, "ich bin flexibel – aber anspruchsvoll; wann und wo Du arbeitest, ist mir völlig egal, ich will nur, dass die Arbeit gut ist". Genau das lebt sie auch.
"Ich fange sehr früh an zu arbeiten"
Großkanzleianwältin, Geschäftsführerin von breaking.through, Mutter von zwei Kindern – wie schaffen Sie das zeitlich?
Um uns beiden Vollzeitarbeit zu ermöglichen, haben mein Mann und ich unsere Arbeitszeiten verschoben: Ich fange sehr früh an und hole die Kinder am frühen Abend ab und mein Mann übernimmt die Kinder morgens und arbeitet abends. So können wir beide unserer Arbeit nachgehen und haben Zeit für unsere Kinder. Ich habe so außerdem Zeit für breaking.through. Für mich passt dieses Modell perfekt. Natürlich ist das sehr anstrengend, aber ich möchte keinen Teil meines Lebens missen. Daneben haben wir das Glück einer verlässlichen, ganztägigen Kinderbetreuung. Beide Privilegien weiß ich sehr zu schätzen. Vereinbarkeit steht und fällt mit guter Zusammenarbeit und leider noch immer mit den Betreuungsmöglichkeiten.
Haben Sie denn das Gefühl, dass es mittlerweile für Frauen einfacher ist, Karriere und Familie zu vereinbaren?
Auf jeden Fall. Über breaking.through habe ich Frauen aus verschiedenen Generationen kennengelernt. Die ersten Frauen, die überhaupt Jura studiert und dann noch Karriere gemacht haben, hatten meistens keine Kinder. Oder sie hatten Kinder, haben aber so gearbeitet, als hätten sie keine Kinder, um sich nicht angreifbar zu machen und damit die Karrieren nachfolgender Frauen zu gefährden. Aber natürlich gab es auch Ausnahmen. Wir haben zum Beispiel ein Interview mit Dr. Gisela Wild veröffentlicht, die die erste weibliche Partnerin der heutigen Kanzlei Taylor Wessing war. Heute ist sie 91 Jahre alt. Sie hat schon in den 1960er Jahren eine Art "Teil-Home-Office" in der Kanzlei etabliert, in der sie damals gearbeitet hat. Sie hat immer um 16 Uhr das Büro verlassen, um Zeit für ihren Sohn zu haben – und abends dann wieder von Zuhause aus gearbeitet. Das war damals natürlich außergewöhnlich, heutzutage kommt das häufiger vor. Man ist einfach grundsätzlich flexibler und kann – zumindest in den meisten Kanzleien – mehr Homeoffice machen. Und es gibt mehr Angebote für die Kinderbetreuung, auch wenn da immer noch viel getan werden muss.
Vielen Dank für das Gespräch!
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2024 M08 5
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