Small Talk mit Markenrechtler Ulrich Hildebrandt

Ein bis­schen wie fern­öst­liche Kampf­kunst

von Annelie KaufmannLesedauer: 5 Minuten

Im Small Talk fragen wir Juristinnen und Juristen, was sie denn so machen. Heute: Ulrich Hildebrandt. Warum Markenrecht wenig mit Jura zu tun hat, wie man Gegner ins Leere laufen lässt und wieso ein Musikstudium hilft.

LTO: Was machen Sie beruflich?

Hildebrandt: Ich bin Anwalt für Markenrecht. Und das bedeutet, ich mache vor allem wenig Jura. Wenn jemand genervt ist von Jura, dann sage ich immer: Mach Markenrecht, da hast du fast nichts mehr damit zu tun.

Sondern womit?

Um es an einem einfachen Beispiel zu sagen: Wenn wir die Firma Steiff vertreten, die Teddybären verkauft, müssen wir erstens zusehen, dass keine Fälschungen auf dem deutschen Markt landen und zweitens, dass wir diesen Markt absichern, damit sie ihre Produkte gut verkaufen können. Das ist Strategie, Beratung, Management. Ich beschäftige mich auch viel mit Psychologie, Führungstechnik, Entscheidungstheorie und mit ethischen Fragen.

Studiert haben Sie Jura und Kirchenmusik…

Ja und aus beiden Fächern brauche ich heute ungefähr gleich viel. Aus Jura das Vertragsrecht, mehr eigentlich nicht. In der Musik lernt man, an Ergebnissen zu feilen, bis sie perfekt sind. Und sich Dinge durch Praxis selbst beibringen.

Was mögen Sie an Ihrem Job am liebsten?

Am liebsten, wirklich am liebsten, führe ich einen Abwehrprozess für ein Unternehmen, das viel Geld in der Kriegskasse hat. Ein Markenangriff wird meist mit sehr viel Energie und Schwung gestartet – aber man kann ihn meistens wunderbar ins Leere laufen lassen. Das ist ein wenig wie fernöstliche Kampfkunst. Man hält nicht direkt dagegen, eigentlich berührt man den Gegner gar nicht, aber am Ende liegt er trotzdem am Boden.

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"Tricks erkennen und aufdecken, das gehört zu unseren Aufgaben"

Und was mögen Sie nicht?

Mich nervt diese Mischung aus Posertum und Arroganz, die man bei manchen Juristen findet. Ich bin seit knapp zwanzig Jahren in diesem Beruf und habe drei Bücher zum Markenrecht geschrieben. Ich vertrete keine Auffassung, die ich für falsch halte. Wenn ich auf eine Richterin oder einen Richter treffe, der sagt, unser Vortrag sei völliger Blödsinn, da müsse man nicht mal drüber nachdenken – naja, sagen wir so: Dann zweifle ich nicht an mir. Aber zum Glück habe ich es meistens mit sehr angenehmen Menschen zu tun.

Wie viel Diplomatie ist gefragt?

Wir gehen mit allen Kolleginnen und Kollegen nett um, auch wenn das nicht auf Gegenseitigkeit beruht. Wir sind aber gleichzeitig sehr direkt – was manche Juristen verunsichert. Vielleicht wird das auch mal als unfreundlich verstanden.

Und wie viel ist Manipulation? Es gibt die Anekdote, dass Sie mal zwei Jahre lang Werbung für eine bestimmte Marke in der Nähe des Gerichts plakatiert haben, damit den Richtern die Marke bekannt vorkam…

Das stimmt, heute würden wir das aber nicht mehr machen. Wir manipulieren den Sachverhalt nicht. Ich bin mir jedoch sicher, dass es Kanzleien gibt, die vor nichts zurückschrecken. Im Markenrecht läuft fast alles über das Verkehrsverständnis – und das bestimmen die Richterinnen und Richter. Man kann mit viel Aufwand dafür sorgen, dass sich eine Marke durchsetzt. Die Telekom hat zum Beispiel Milliarden in die Hand genommen, um die Farbe Magenta als Marke zu etablieren. Man kann aber auch mit viel weniger Geld gezielt die Richterinnen und Richter – oder ihr Umfeld – beeinflussen. Solche Tricks müssen wir erkennen und aufdecken, das gehört auch zu unseren Aufgaben.

"Wir wollen einfach zeigen, dass wir anders sind"

Wie halten Sie es mit Schriftsätzen: lieber kurz oder lang?

Kurz. Manche Schriftsätze sind auch lang, aber nicht so lang wie die der Gegner. Erstens hat keiner Lust, so viel zu lesen. Und zweitens zeigt die Erfahrung, dass Richter ihren eigenen Kram machen wollen. Ein Schriftsatz muss sein wie ein Ikea-Möbelstück. Die Argumente liefern wir, aber das Ergebnis muss sich die Richterin oder der Richter selber zusammenbauen. Für das schöne Gefühl, den Fall selbst gelöst zu haben.

Was ist Ihr Highlight des Jahres?

Wir haben zum 1. Januar 2021 die Kanzlei gegründet. Das ist toll zu sehen. Erst hat man eine Vision und jetzt nimmt es wirklich Formen an, jetzt sieht man die Leute und die Räume. Wir wollten einen Ort schaffen, an dem wir gerne sind, und das hat funktioniert.

Auf der Kanzlei-Homepage gibt es Fotos, da stehen Sie im Schlachtensee – mit Anzug. Welches Wortspiel hatten Sie denn da im Sinn? Steht Ihnen das Wasser manchmal bis zum Hals?

Nein, und es war auch nicht der "Sprung ins kalte Wasser". Wir wollten einfach zeigen, dass wir anders sind. Und das nicht nur sagen. Wir gehen nett miteinander um, wir arbeiten ziemlich hierarchiefrei und wir halten uns an unsere Satzung. Da steht das Geld nicht ganz vorne. Unsere Satzung beginnt mit der Menschenwürde. Manche halten das für etwas hochgegriffen, aber ich finde das wichtig. Ich will nicht nur Geld verdienen; ich will die Welt zumindest nicht schlechter machen, als sie ist.

"Wettbewerb über Qualität und ethische Gesichtspunkte"

Wie macht man mit Markenrecht die Welt besser?

Indem man die richtigen Unternehmen vertritt. Markenrecht trägt dazu bei, den Wettbewerb aufrechtzuerhalten. Wettbewerb kann verdammt schädlich sein – das sehen wir gerade beim Klimawandel und Artensterben. Aber Wettbewerb kann auch positive Auswirkungen haben, wenn man ihn kanalisiert und in die richtigen Bahnen lenkt. Also kein Preiswettbewerb, sondern Wettbewerb über Qualität und ethische Gesichtspunkte. Das versuchen wir. Wir ermöglichen mit dem Markenrecht einen guten Wettbewerb.

Was wird sich in den nächsten zehn Jahren in Ihrer Branche ändern?

Das hängt davon ab, wie lange es noch Marken gibt. Wenn man irgendwas Digitales hat und sich vor dem Kauf sofort alle relevanten Informationen anzeigen lassen kann – etwa, ob es im Produktionsprozess Kinderarbeit gab oder wie genau die Tierhaltung aussieht – dann könnte man anhand dieser Informationen die Kaufentscheidung treffen. Die Marke wäre dann weniger wichtig. Unternehmen versuchen ja, ihre Marken mit Emotionen aufzuladen und viele Verbraucher lassen sich gerne auf diese Art bescheißen. Das finde ich nicht gut. Marken können aber auch echte Werte transportieren, etwa, wenn sie zu einem bestimmten Verbund gehören, der sich an klare Kriterien hält, die auch kontrolliert werden. Ich hoffe, Einkaufen wird künftig rationaler.

Zum Schluss fragen wir hier neuerdings gerne nach einem Buchtipp: Haben Sie einen? Vielleicht ein Buch, das jeder gelesen haben sollte, der eine Kanzlei gründet?

(Lacht) Nein. Aber ich kann Ihnen sagen: Wer die Goldberg-Variationen von Johann Sebastian Bach nicht kennt, macht einen großen Fehler im Leben.

Prof. Dr. Ulrich Hildebrandt ist Rechtsanwalt für Markenrecht und Gründer der Kanzlei Hildebrandt. Rechtsanwälte in Berlin. Er hat neben Jura auch Kirchenmusik studiert, unter dem Pseudonym „Doc H.“ mehrere CDs mit Klavier- und Orgelmusik veröffentlicht, mehrere Bücher zum Markenrecht verfasst und ist Honorarprofessor der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf.

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Thema:

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