Small Talk mit Christian Deckenbrock, Jurist & Offizieller bei Olympia

"Das Größte, was man errei­chen kann"

von Dr. Franziska KringLesedauer: 7 Minuten

Im Small Talk fragen wir Juristinnen und Juristen, was sie denn so machen. Heute: Christian Deckenbrock, Akademischer Rat an der Uni Köln – und Hockey-Schiedsrichter. Gerade ist er als "Technischer Delegierter" bei Olympia in Tokio.

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LTO: Was machen Sie beruflich? 

Dr. Christian Deckenbrock: Ich bin Akademischer Rat am Institut für Arbeits- und Wirtschaftsrecht der Universität Köln. Da der Geschäftsführende Direktor des Instituts, Prof. Dr. Martin Henssler, zugleich auch das Kölner Institut für Anwaltsrecht leitet, bin ich auch hier engagiert. Mein Forschungsschwerpunkt liegt im Rechtsdienstleistungs- und im Anwaltsrecht, in dem ich mit sämtlichen Facetten beschäftigt habe – von den Berufspflichten wie Verschwiegenheit und dem Verbot, widerstreitende Interessen zu vertreten, über das Werberecht, die Anwaltsgerichtsbarkeit und das anwaltliche Gesellschaftsrecht bis hin zu Fragen des Anwaltshaftungsrechts. Aktuell stehen natürlich die umfangreichen Reformen von RDG und BRAO, die der Gesetzgeber kurz vor Ende der Legislaturperiode verabschiedet hat, im Zentrum meiner Forschung. 

Gleichberechtigt neben der Forschung steht die Lehre. Hier halte ich Vorlesungen in verschiedenen Bereichen des Zivilrechts und in verschiedenen Stadien des Studiums. Außerdem betreue ich Master- und Seminararbeiten. 

Was mögen Sie an Ihrem Job am liebsten? 

Ich mag es, junge Leute in ihrer juristischen Ausbildung zu unterstützen, ihnen beizubringen, wie ein Jurist denkt, und wie man sich schwierigen Rechtsproblemen wissenschaftlich nähert. Zudem bereitet es mir Spaß, Rechtsprobleme etwas tiefer zu durchdringen und neue Argumente in die Diskussion einzubringen. Diese Kombination aus Lehre und Forschung schätze ich sehr. 

Wie sind Sie zum Hockeysport gekommen? Waren Sie früher selbst aktiver Spieler? 

Ich habe mit etwa acht Jahren angefangen, Hockey zu spielen. Parallel war ich auch leidenschaftlicher Basketballer, bei stetig wachsender Körpergröße (heute sind es zwei Meter) bot sich das an. 

Auch meine jüngeren Schwestern haben Hockey im Verein gespielt. Schon als Kind habe ich Hockeyspiele gepfiffen, wenn man das so nennen kann. In meiner Erinnerung stand ich mehr auf dem Platz und habe ab und an in eine Pfeife getrötet. Mit 13 Jahren habe ich meine Schiedsrichter-Tätigkeit zunächst aufgegeben und mit 16 sogar mit dem Hockeyspielen aufgehört. Ich war kein besonders guter Spieler und Basketball schien da die bessere Alternative. Allerdings habe ich auch weiterhin die Bundesligaspiele der Damen- und Herrenmannschaften verfolgt, die Begeisterung für den Hockeysport ist also nie ganz abgerissen.

"Bei einem Spiel tauchten die Schiris nicht auf und ich musste spontan einspringen" 

Wie sind Sie dann Hockey-Schiedsrichter geworden? 

Das war ein glücklicher Zufall. Meine Schwester hatte im Gegensatz zu mir das Hockeyspielen nicht aufgegeben. Meine Mutter war Betreuerin ihrer Jugendmannschaft und schlug vor, mit zu einem Spiel zu kommen. Beim Hockey gibt es immer zwei Schiedsrichter, die das Spiel gemeinsam leiten. Beide tauchten aber nicht auf. Da Handys damals noch nicht so verbreitet waren, konnten wir sie auch nicht erreichen. Deshalb musste ich spontan einspringen und das Spiel – was eigentlich gar nicht zulässig ist – sogar ganz allein pfeifen. 

Nach dem Spiel fragte mich Carola Meyer, die heutige Präsidentin des Deutschen Hockey-Bundes (DHB) und damalige Jugendwartin im Verein, ob ich nicht einen Schiedsrichter-Lehrgang machen will. Ich sagte zu und bin seit 1996 Schiedsrichter. 

Wie sind Sie in der Bundesliga gelandet? 

Ich habe mich hochgearbeitet. Ich habe im Jugendbereich angefangen, dann in der Oberliga und Regionalliga Spiele geleitet und pfeife schließlich seit 2000 in der Bundesliga. Ich bin also in rund vier Jahren in der Bundesliga angekommen und habe mittlerweile fast 500 Spiele in der ersten und zweiten Liga gepfiffen. Allerdings sind die Strukturen beim Hockey anders als etwa beim Fußball, da es viel weniger Mannschaften und Ligen gibt. Der Aufstieg als Schiedsrichter in die Bundesliga ist daher sicher auch einfacher als in anderen Sportarten. Das Ende meiner eigenen Schiedsrichterei ist nun in Sichtweite, aber die 500 Spiele möchte ich schon gerne noch vollmachen. Ohne Corona wäre das sicher schon längst passiert. 

Was reizt Sie an der Schiedsrichter-Tätigkeit? 

Für mich ist es eine Möglichkeit, am Leistungshockey beteiligt zu sein. Es gibt auch Schiedsrichter, die selbst auf hohem Niveau gespielt haben, aber das ist jedenfalls nicht der Regelfall. Außerdem bin ich in den Jahren viel in Deutschland herumgekommen und habe viele Leute kennengelernt. Zudem bin ich überzeugt, dass die Verantwortung, die mit der Schiedsrichterrolle einhergeht, auch ansonsten für das Leben hilfreich ist. Man muss in Sekundenbruchteilen Entscheidungen treffen und vertreten, gleichzeitig aber auch lernen, sich mit Kritik – ob sachlich oder nicht – angemessen auseinanderzusetzen.  

"Technischer Delegierter ist bei den Olympischen Spielen die höchste Stufe" 

Wie sind Sie "Technischer Offizieller" geworden? 

Ich war zur richtigen Zeit am richtigen Ort. 2005 fand die Europameisterschaft in Deutschland statt. Für diese Veranstaltung musste der DHB als Gastgeber zwei Offizielle stellen. Als zwei Wochen vor dem Turnier jemand absagen musste, bin ich – vielleicht deshalb, weil ich mich damals schon in der Verbandsarbeit engagiert habe – gefragt worden, ob ich zur Verfügung stehe, und habe spontan zugesagt, ohne zu wissen, was mich erwartet. 

Für jedes Hockeyspiel gibt es drei Offizielle: Die beiden Judges bedienen die Uhr und füllen den Spielberichtsbogen aus, während der sog. Technical Officer für einen reibungslosen Ablauf des Spiels sorgt. Er kümmert sich unter anderem um die Einhaltung der Pausen- und Strafzeiten und die Auswechslungen. Außerdem muss er etwa dafür sorgen, dass es auf den Mannschaftsbänken fair zugeht und die Trainer sich benehmen. 

Mir kam zugute, dass ich in einem vergleichsweise jungen Alter die Offiziellen-Laufbahn eingeschlagen habe und es nicht viele andere Offizielle in der großen Hockeynation Deutschland gab. Zudem habe ich mich offenbar nicht ganz dumm angestellt. Nach einigen Einsätzen als Judge wurde ich vermehrt als Technical Officer eingesetzt und bin seit 2008 auch verschiedentlich in der Funktion als Technischer Delegierter angesetzt worden. Zuerst waren das Clubturniere auf verschiedenen Leveln, dann kamen Europameisterschaften und schließlich Weltturniere dazu. Zu meinen Highlights vor Tokio gehört meine Teilnahme bei den Olympischen Jugendspielen in Singapur 2010 und bei den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro 2016, wo ich noch als Technical Officer im Einsatz war.  

Durch meine Offiziellentätigkeit habe ich viele Länder gesehen. Ich war nicht nur in vielen europäischen Ländern, sondern etwa auch in den USA, in Indien, Russland, Malaysia, Singapur, Brasilien und Südafrika im Einsatz. Bei dieser Gelegenheit habe ich viele tolle und interessante Menschen kennengelernt. Manche Kolleginnen und Kollegen sieht man zwar nur einmal im Leben, andere habe ich in über 15 Jahren häufiger gesehen. Der Gruppenzusammenhalt ist etwas ganz Besonderes. Social-Media hilft sehr dabei, auch über die Jahre in Kontakt zu bleiben. 

Was sind Ihre Aufgaben in Tokio? 

In Tokio bin ich als Technischer Delegierter zusammen mit einer australischen Kollegin für den ordnungsgemäßen Ablauf des gesamten Hockeyturniers (Damen und Herren) verantwortlich. In derselben Funktion habe ich auch schon 2018 die Weltmeisterschaft in Bhubaneswar (Indien) geleitet. Diese Ansetzung zu den Olympischen Spielen, die ich bereits 2019 erhalten habe, ist eine große Ehre für mich, als Technischer Offizieller kann man mehr nicht erreichen. Diese Position wird ein und demselben Offiziellen bei Olympischen Spielen in der Regel auch nicht mehr als einmal überantwortet. 

Wir koordinieren ein Team aus 28 Schiedsrichterinnen und Schiedsrichtern, 14 technischen Offiziellen und drei Ärztinnen und Ärzten. Unsere Kernaufgabe ist es sicherzustellen, dass die Regularien eingehalten werden. Dabei steht uns auch die Disziplinargewalt zu, wir entscheiden also auch über mögliche Sanktionen gegen Spieler, wobei gegen unsere Entscheidungen auch die sog. Appeal Jury angerufen werden kann. Deshalb sichten wir nach jedem Spiel diverse Spielszenen auf mögliches unsportliches Verhalten. Hier in Tokio mussten wir bislang einen Spieler und eine Spielerin für je ein Spiel sperren. Zudem gab es mehrere Verwarnungen.  

Wie entscheiden Sie über eine solche Sperre? 

Es findet ein sog. Disciplinary Hearing statt, also eine Art Gerichtsverhandlung light, die ich gemeinsam mit meiner australischen Kollegin leite. Ich muss die Regularien gut kennen, auslegen und umsetzen. Die Strafe sollte angemessen, also nicht zu hart oder zu mild sein. Bei der Beurteilung helfen mir sowohl meine juristische Grundausbildung als auch mein Schiedsrichter-Background sehr.  

"In Rio 2016 hat ein ganzes Lokal mit einer Zweitplatzierten im Gewichtheben gefeiert" 

Wie erleben Sie die Stimmung in Tokio? 

Die Stimmung ist gut, allerdings bekommen wir mehr als die Platzanlage und das Hotel aufgrund der Restriktionen nicht zu Gesicht. Eigentlich wollte ich schon vor dem Turnier mit einigen anderen Offiziellen durch Japan reisen, daraus wurde leider nichts. Es ist anders als sonst, aber ich bin trotzdem froh, dass die Olympischen Spiele stattfinden. 

Die Stimmung ist deshalb naturgemäß nicht zu vergleichen mit der in Rio 2016. Ich war damals auch im Deutschen Haus, konnte Medaillen anfassen und habe Fotos gemacht. Plötzlich stand Heiner Brand neben mir. Auch den ehemaligen Stabhochspringer Sergey Bubka habe ich getroffen oder die Beachvolleyballspielerin Laura Ludwig. Die Ränge und Straßen waren voll und die Leute haben Olympia geliebt. Zum Beispiel hat auch die deutsche Handball-Nationalmannschaft die Hockey-Herren unterstützt – das waren ganz besondere Erlebnisse. 

Die philippinische Gewichtheberin Hidilyn Diaz hat in Rio de Janeiro 2016 die Silbermedaille gewonnen und wir waren abends in einem Restaurant an der Copacabana. Dann kam sie herein und das ganze Lokal hat mit ihr gefeiert. Dieses Jahr hat sie sogar die allererste Goldmedaille überhaupt für ihr Land gewonnen. Solche Abende wie damals in Rio vergisst man nicht! 

Außerdem sind Sie "Vizepräsident Recht" beim DHB. Welche Aufgaben haben Sie da? 

In meiner Rolle als Vizepräsident beschäftige ich mich mit sämtlichen rechtlichen Fragen, die im DHB auftauchen, etwa im Vertragsrecht, im Sportrecht und im Arbeitsrecht. Auch für die Vorbereitung von Satzungs- und Spielordnungsänderungen bin ich zuständig. In diesem Jahr mussten wir wegen der Corona-Pandemie zum Beispiel die Saison der zweiten Bundesliga abbrechen und Wertungen für die Ermittlung von Aufsteigern vornehmen. Dies hat zu insgesamt drei Sportgerichtsverfahren vor dem Bundesschiedsgericht des DHB geführt. Ich versuche, rechtliche Fragen im Rahmen meiner Möglichkeiten selbst zu klären, aber manchmal muss ich mir externe Unterstützung suchen, etwa bei datenschutzrechtlichen Fragestellungen. 

Wie schaffen Sie das alles zeitlich? 

Der Zeitaufwand ist hoch. Meine Abreise nach Japan fiel mit dem Semesterende zusammen. Ich habe bis zuletzt Vorlesungen gehalten, musste die Klausuren vorbereiten und noch einen Stapel Examensklausuren korrigieren. Wenn man drei Wochen am Stück weg ist, lassen sich bestimmte Aufgaben leider nicht ewig verschieben. 

Die Vorbereitung auf ein olympisches Turnier dauert sehr lange, in meinem Fall eigentlich seit 2019. Damals fand hier – noch in der Annahme, dass die Spiele bereits 2020 stattfinden – ein Test-Event statt, in dem die Abläufe geübt wurden. Seitdem habe ich an unzähligen Online-Meetings mit dem IOC, dem Weltverband, den Offiziellen und Schiedsrichtern, aber auch mit den Trainern der Mannschaften teilgenommen. Zudem müssen zahlreiche Dokumente gesichtet und an die aktuellen Gegebenheiten angepasst werden. 

Jetzt in Tokio merke ich aber, dass sich der Aufwand lohnt. 

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