Small Talk mit Beate Streicher, Juristin bei Amnesty

"Ich mache Jura, Politik und Stra­tegie zug­leich"

von Dr. Franziska KringLesedauer: 6 Minuten

Im Small Talk fragen wir Juristinnen und Juristen, was sie so machen. Heute: Beate Streicher, Juristin bei Amnesty International in Deutschland, über die Arbeit bei einer NGO – und wieso sie gerne einen Tag Innenministerin wäre.

LTO: Frau Streicher, der Weg in eine Nichtregierungsorganisation (non-governmental organization, NGO) ist für Juristinnen und Juristen eher ungewöhnlich. Wie sind Sie zu Amnesty International (Amnesty) gekommen?

Beate Streicher: Ich wusste schon früh, dass ich in den Bereich Menschenrechtsarbeit gehen möchte. Schon im Studium habe ich mich deshalb auf internationales Recht und Menschenrechte spezialisiert. Ich war studentische Hilfskraft am Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht in Heidelberg und habe beim Moot Court in Straßburg mitgemacht. Und ich habe lange ehrenamtlich bei Amnesty gearbeitet.

Gegen Ende des Referendariats habe ich die Ausschreibung für meine jetzige Stelle gesehen – und gemerkt, dass ich aktuell genau das gerne machen möchte. Im Dezember 2021 habe ich dann bei Amnesty angefangen, berichte also aus der Perspektive einer Berufsanfängerin – das kann vielleicht für junge Leute, die sich für die Arbeit in einer NGO interessieren, hilfreich sein.

Beate Streicher …

Ist Juristin bei Amnesty International in Deutschland

Deckt u.a. die Themen Polizei und Menschenrechte ab

Mag die Vielseitigkeit ihres Jobs

Wäre gerne einen Tag Innenministerin

Empfiehlt das Buch "Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen, aber wissen sollten"

Sie sind Expertin für Polizei und Menschenrechte, Antirassismus und Völkerstrafrecht bei Amnesty International in Deutschland. Wie kann man sich Ihren Job in der Praxis vorstellen?

Eigentlich als Mischung aus juristischen Fragestellungen und politischen und strategischen Aspekten. Ich habe zwei Aufgabenbereiche: zum einen die Öffentlichkeitsarbeit, das heißt ich gebe zum Beispiel Interviews. Der andere Teil umfasst die Lobbyarbeit, also ich vertrete unsere Forderungen gegenüber Behörden, der Bundesregierung und Abgeordneten.

Wenn zum Beispiel die Novellierung des Bundespolizeigesetzes schließlich kommen sollte, wäre ich dafür verantwortlich, die Stellungnahme von Amnesty dazu zu verfassen.

Beate Streicher, Foto: Fotohaus Kerstin Sänger

Sie decken viele Themenfelder ab – welche großen Themen beschäftigen Sie derzeit?

Derzeit landen bei mir viele Fragen zum humanitären Völkerrecht im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg. Hier arbeite ich eng zusammen mit einer Kollegin, die für die Region Europa und Zentralasien zuständig ist. Gerade die juristischen Fragen übernehme ich, wenn es etwa um Presseanfragen zu den laufenden Gerichtsverfahren geht.

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"Wir fordern eine unabhängige Beschwerdestelle für Polizeigewalt"

Welche Themen stehen in den Bereichen Polizei, Menschenrechte und Antirassismus momentan auf Ihrer Agenda?

In Bezug auf die Themen Polizei und Menschenrechte haben viele zivilgesellschaftliche Organisationen, darunter auch wir, Forderungen an die neue Bundesregierung gestellt – und tatsächlich greift der Koalitionsvertrag aus dem vergangenen Jahr einige davon auf. Wir fordern zum Beispiel die Einführung einer Kennzeichnungspflicht für die Bundespolizei sowie einer unabhängigen Beschwerdestelle für Fälle von Polizeigewalt.

In einigen Wochen habe ich gemeinsam mit einer Kollegin ein Gespräch im Bundesministerium des Inneren zum Nationalen Aktionsplan gegen Rechtsextremismus. Zur Vorbereitung studieren wir die Inhalte des Aktionsplanes und gleichen sie mit unseren Forderungen ab. Gerade die Bereiche struktureller Rassismus und Rechtsextremismus, auch in Behörden, haben ja eine Vorgeschichte. Es gab vor fast zehn Jahren den 2. Abschlussbericht des NSU-Untersuchungsausschusses und viele seitdem erhobene Forderungen wurden noch nicht umgesetzt – deshalb ist es wichtig, sich in den politischen Kontext einzuarbeiten. Beispielsweise die klare Benennung von Rassismus als strukturelles Problem und ein diskriminierungssensibler Umgang mit Betroffenen von rassistischer Gewalt. Dafür braucht es unter anderem verpflichtende Antirassismus-Trainings in der Aus- und Fortbildung von Sicherheitskräften.

Wie ist Amnesty aufgebaut?

Zunächst unterscheidet man zwischen der internationalen Ebene sowie den Sektionen in verschiedenen Staaten. Ich arbeite bei der deutschen Sektion mit insgesamt über 140 Mitarbeitenden. Auch unsere ehrenamtlichen Mitglieder sind ein wichtiger Teil unserer Organisation, aber ich beschränke mich jetzt auf die Beschreibung des Hauptamts.

Innerhalb der deutschen Sektion gibt es zum einen die Abteilung “Kampagnen und Kommunikation”. Dieses Team kümmert sich um Kampagnen zu Themen, die wir längerfristig bearbeiten. Daneben gibt es unsere Kommunikationsexpert:innen, wie das Presseteam und die Online-Redaktion.

Die Abteilung, in der ich arbeite, ist für die Mitgliedschaftsbetreuung und die inhaltliche Arbeit zuständig. In meinem Team gibt es Referent:innen, die zu bestimmten Regionen arbeiten, etwa Europa und Zentralasien oder die Amerikas, und solche, die bestimmte Themen abdecken – dazu gehöre auch ich. Wir sind insgesamt 15 Mitarbeitende und davon gut ein Drittel Jurist:innen. Eine Kollegin ist zum Beispiel für Asylrecht und Asylpolitik zuständig, eine andere für Klimawandel und Menschenrechte. Ein weiterer Schwerpunkt ist der Bereich Menschenrechte im digitalen Zeitalter.

Wir stellen regelmäßig Praktikant:innen und Referendar:innen ein – das ist eine gute Möglichkeit, um Einblicke in die Arbeit bei Amnesty l zu erhalten.

Wie kann man sich das Referendariat bei Amnesty vorstellen?

Bei Amnesty kann man die Wahlstation absolvieren. Wir schreiben die freien Stellen auf unserer Homepage aus, tatsächlich kommen in den nächsten Wochen neue Ausschreibungen dazu. In meinem Team betreuen jeweils zwei Referent:innen die Praktikant:innen bzw. Referendar:innen. Wir achten darauf, diese in das Tagesgeschäft einzubinden, sie sind etwa bei Teambesprechungen dabei und unterstützen uns beim Verfassen von Stellungnahmen.

Das Referendariat ist sehr vielseitig. Ich decke ja viele verschiedene Themen ab, etwa Antirassismus und Völkerstrafrecht, und bei diesen aktuellen Themen bearbeiten die Referendar:innen dann die juristischen Fragestellungen, die in einen politischen Kontext eingeordnet werden müssen. Das können etwa Rechercheaufgaben sein oder der Entwurf einer Presseerklärung. Wir sind einige Volljurist:innen im Team, sodass wir im Referendariat ausbilden können.

"Diskriminierungssensibilität ist eine Grundlage für Menschenrechtsarbeit"

Was mögen Sie an Ihrem Job am liebsten?

Eindeutig die Vielseitigkeit. Ich kann mein juristisches Fachwissen in der Praxis anwenden, aber mein Job geht deutlich darüber hinaus und verbindet rechtliche Fragen mit politischen und strategischen Aspekten.

Jeder Tag ist anders und läuft häufig ganz anders ab als ursprünglich geplant. Gerade Anfragen, die wir über unsere Pressestelle erhalten, müssen wir sehr kurzfristig bearbeiten und oft noch am gleichen Tag ein Interview geben. Wenn ich juristische Einschätzungen abgeben muss, nehme ich mir aber auch einige Stunden Zeit, um die entscheidenden Fragen gründlich zu recherchieren. Mein Job ist sehr dynamisch und spannend, das schätze ich sehr.

Und was mögen Sie nicht?

Ich bin ja erst seit fünf Monaten bei Amnesty, aber meine Vorgängerin hat zehn Jahre hier gearbeitet – und gerade im Bereich Polizei und Antirassismus wurden viele Forderungen, die seit Jahren bestehen und ein eindeutiges menschenrechtliches Fundament haben, immer noch nicht umgesetzt.  Dazu gehört die Einrichtung von unabhängigen Beschwerdestellen, die schon seit Jahren von internationalen Gremien und Organisationen gerügt wird, ein konsequenteres Vorgehen gegen Rassismus und Rechtsextremismus in den eigenen Reihen von Sicherheitsbehörden und konkrete Schritte gegen Racial Profiling. Das ist frustrierend, sowohl für die Betroffenen als auch für die Organisationen, die hinter den Forderungen stehen.

Welche Eigenschaften und Fähigkeiten muss man in Ihrem Job haben, außer juristischen Kenntnissen natürlich? 

Eine gewisse Flexibilität und Spontanität sind sicherlich von Vorteil. Wichtig ist auch der Wille, über das rein Juristische hinauszugehen, zum Beispiel ein Interesse für politische Zusammenhänge. Und man sollte bereit sein, über den Tellerrand hinauszublicken und etwas dazuzulernen, etwa den Umgang mit der Presse – das lernt man im Jurastudium ja nicht.

Außerdem braucht man Diskriminierungssensibilität, also ein Bewusstsein für Rassismus und andere strukturelle Diskriminierungen bzw. eine Offenheit, in dem Bereich dazuzulernen – das ist eine Grundlage für Menschenrechtsarbeit.

"Ich wäre gerne einen Tag Generalsekretärin des Europarates"

Welchen Rat würden Sie jungen Jurist:innen geben, die eine Tätigkeit bei einer NGO anstreben?

Wenn man sich für bestimmte Themen interessiert, zum Beispiel für Menschenrechte oder Umweltrecht, sollte man sich früh in dem Bereich spezialisieren, entweder im Rahmen des Studiums oder daneben. Hilfreich sind auch Auslandserfahrungen oder Praktika, um wertvolle Einblicke zu erhalten und herauszufinden, ob die Tätigkeit wirklich die richtige ist. Und es gilt – gerade für Frauen: an sich selbst glauben. Natürlich braucht man auch das nötige Quäntchen Glück, aber es hilft, auf die eigenen Fähigkeiten zu vertrauen.

Mit wem würden Sie gerne einen Tag lang die Rollen tauschen?

Viele der Themen, die ich jetzt im Job bearbeite, sind im Innenministerium angesiedelt – deshalb wäre es von Vorteil, einen Tag Innenministerin zu sein.

Außerdem liegt mir das europäische Menschenrechtssystem am Herzen. Ich wäre gerne einen Tag Generalsekretärin des Europarates, das stelle ich mir sehr spannend vor.

In unseren Smalltalks fragen wir zum Schluss immer gerne nach Buchempfehlungen – haben Sie eine für uns?

Da fällt mir spontan das Buch von Alice Hasters ein "Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen, aber wissen sollten". Hasters beschreibt auch die Situation in Deutschland und ich finde es sehr wichtig, im eigenen Land Betroffenen zuzuhören.

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