BGH: Präim­plan­ta­ti­ons­diag­nostik zur Ent­de­ckung schwerer gene­ti­scher Schäden nicht strafbar

pl/LTO-Redaktion

06.07.2010

Der BGH hat einen angeklagten Frauenarzt vom Vorwurf einer dreifachen strafbaren Verletzung des Embryonenschutzgesetzes freigesprochen. Jedwedem Dammbruch-Argument erteilt der Senat dabei in seltener Deutlichkeit eine Absage.

In Übereinstimmung mit dem Landgericht und dem Generalbundesanwalt ist der 5. ("Leipziger") Strafsenat zu der Auffassung gelangt, dass der Angeklagte § 1 Abs. 1 Nr. 2 ESchG (missbräuchliche Anwendung von Fortpflanzungstechniken) und § 2 Abs. 1 ESchG (missbräuchliche Verwendung menschlicher Embryonen) nicht verletzt hat (Urt. v. 06.07.2010, Az. 5 StR 386/09, noch nicht veröffentlicht).

Hintergrund des Verfahrens war, dass sich in den Jahren 2005 und 2006 drei Paare mit dem Ziel einer extrakorporalen Befruchtung an den Angeklagten, einen Gynäkologen mit dem Schwerpunkt Kinderwunschbehandlung, gewandt hatten. In allen Fällen wies einer der Partner genetische Belastungen auf. Aufgrund dessen bestand die Gefahr, dass auch die erzeugten Embryonen genetisch belastet sein würden, was einen Abort, eine Totgeburt, ein Versterben des Neugeborenen nach der Geburt oder die Geburt eines schwerkranken Kindes hochwahrscheinlich machte.

Im Hinblick auf die Gefahrenlage und dem Wunsch seiner Patienten entsprechend führte der Angeklagte jeweils eine PID an nicht zu einem lebensfähigen Organismus entwicklungsfähigen Zellen durch. Die Untersuchung diente dem Zweck, nur Embryonen ohne genetische Anomalien übertragen zu können. So verfuhr der Angeklagte, der sich in der Folge selbst anzeigte, auch in allen Fällen. Embryonen mit festgestellten Chromosomenanomalien wurden hingegen nicht weiter kultiviert und starben in der Folge ab.

Aus den genannten Strafbestimmungen kann der Senat nicht mit der im Strafrecht erforderlichen Bestimmtheit (Art. 103 Abs. 2 GG) ein Verbot der bei Erlass des Embryonenschutzgesetzes im Jahr 1990 erst im Ausland entwickelten Präimplantationsdiagnostik (PID) ableiten, die den Embryo nach derzeitigem medizinisch-naturwissenschaftlichem Kenntnisstand überdies nicht schädigt.

 

Das Vorgehen des Angeklagten verstößt weder gegen den Wortlaut noch gegen den Sinn des Gesetzes. Dem bei jeder Gesetzesauslegung zu würdigenden Willen des historischen Gesetzgebers lässt sich ein Verbot einer solchen PID, die der Gesetzgeber nicht ausdrücklich berücksichtigt hat, nicht entnehmen.

Laut BGH läuft die PID dem mit dem Gesetz verfolgten Zweck des Schutzes von Embryonen vor Missbräuchen nicht zuwider. Das Embryonenschutzgesetz erlaube die extrakorporale Befruchtung zur Herbeiführung einer Schwangerschaft ohne weitere Einschränkungen.

Ein strafbewehrtes Gebot, Embryonen auch bei genetischen Belastungen der Eltern ohne Untersuchung zu übertragen, würde hingegen hohe Risiken bergen; vor allem sei zu besorgen, dass sich die Schwangere im weiteren Verlauf nach einer ärztlicherseits angezeigten und im Übrigen mit denselben Diagnosemethoden durchgeführten Pränataldiagnostik für einen Schwangerschaftsabbruch entscheide. Die PID sei geeignet, solch schwerwiegende Gefahren zu vermindern.

Der Senat weist auch auf die nomative Vergleichbarkeit mit der in § 3 S. 2 ESchG geregelten Ausnahme vom Verbot der Geschlechtswahl durch Verwendung ausgewählter Samenzellen hin: Die Situation, in der die PID hier angewandt worden sei, vergleicht der Senat mit derjenigen, in der ausnahmsweise das Geschlecht des Kindes beeinflusst werden darf, weil dadurch eine geschlechtsgebundene Erbkrankheit vermieden werden kann.

Der Senat weist auf den Einzelfallcharakter der Entscheidung hin, die er explizit nicht als Freifahrtschein für eine unbegrenzte Selektion von Embryonen anhand genetischer Merkmale verstanden wissen möchte, sondern ausdrücklich beschränkt auf die Untersuchung von Zellen auf schwerwiegende genetische Schäden extrakorporal erzeugter Embyos.

Etwaigen Möglichkeiten einer Fehlinterpretation des Freispruchs in Richtung des befürchteten Dammbruchs, der unter dem Stichwort "Designer-Babys" und der Einflussnahme auf das Geschlecht des Kindes durchaus auch medial kolportiert wurde, begegnet der Senat damit in aller Deutlichkeit.

Zitiervorschlag

BGH: . In: Legal Tribune Online, 06.07.2010 , https://www.lto.de/persistent/a_id/907 (abgerufen am: 20.11.2024 )

Infos zum Zitiervorschlag
Jetzt Pushnachrichten aktivieren

Pushverwaltung

Sie haben die Pushnachrichten abonniert.
Durch zusätzliche Filter können Sie Ihr Pushabo einschränken.

Filter öffnen
Rubriken
oder
Rechtsgebiete
Abbestellen