NRW kürzt das Rechtsreferendariat

"Die Justiz ist kein ver­trau­ens­wür­diger Arbeit­geber"

von Maryam Kamil AbdulsalamLesedauer: 6 Minuten

An Referendaren in NRW wird weiter gespart. Ab September wird aus Kostengründen früher mündlich geprüft. Heftige Kritik bleibt da nicht aus, Prüfungsrechtler geben bereits Tipps. Maryam Kamil Abdulsalam hat den Überblick.

Nachdem Ende Mai bereits bekannt wurde, dass das NRW-Justizministerium Stellen für Referendar:innen kürzt, hat das Landesjustizprüfungsamt (LJPA) weitere Sparmaßnahmen angekündigt: In einem Schreiben teilte es am Dienstag mit, dass die mündlichen Prüfungen aus finanziellen Gründen künftig schon im 25. statt im 26. Monats des Vorbereitungsdienstes stattfinden. Den Referendar:innen steht damit künftig ein Monat weniger Lernzeit zur Verfügung. Die Änderung gilt für alle, die ab September 2024 ihre Examensklausuren schreiben.

Bisher sieht der Ausbildungsplan in NRW vor, dass zwischen den schriftlichen Examensklausuren und der mündlichen Prüfung fünf Monate zu überbrücken sind. Im ersten Monat finden über zwei Wochen hinweg die schriftlichen Examensprüfungen statt, in den Monaten zwei bis vier steht für die Kandidat:innen die Wahlstation an. Da nun der fünfte Monat gestrichen wird, fragen sich viele Kandidat:innen: Wann soll man denn da noch für die mündliche Prüfung lernen?

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September-Durchgang hat im Januar mündliche Prüfung

Betroffen sind alle Referendar:innen, die ab September 2024 ihre schriftlichen Prüfungen schreiben. Für den September-Durchgang gilt also: Anstatt im Februar erwartet sie nun im Januar der Abschluss ihres Referendariats. Dr. Marcus Strunk, Pressesprecher des Justizministeriums NRW, versichert auf LTO-Anfrage, die Vor- und Nachteile dieser Sparmaßnahme auch für die Referendar:innen seien sorgfältig abgewogen worden. Allerdings habe die Justiz nur mit den vorhandenen Ressourcen ihre Aufgaben zu erfüllen. "Dazu zählt es, die Gerichte mit den erforderlichen Stellen für Richterinnen und Richter und die Strafverfolgungsbehörden mit ausreichend Stellen für Staatsanwältinnen und Staatsanwälten auszustatten. Hier ist an Einsparungen nicht zu denken", so Strunk.

Das Ministerium argumentiert außerdem, es habe das geringste Übel für die Referendar:innen gewählt: "Das Interesse der Referendarinnen und Referendare wurde nachdrücklich dadurch berücksichtigt, dass es bei einer Anfertigung der Aufsichtsarbeiten im 21. Ausbildungsmonat verbleibt", wie es in dem Schreiben heißt.

Gleich zweierlei verschweigt das Ministerium dabei: Die jetzt betroffenen Referendar:innen des September-Durchgangs sind nur noch zwei Monate von ihren schriftlichen Prüfungen entfernt. Eine Vorverlegung der Examensklausuren in den August wäre wohl im Hinblick auf Zumutbarkeit und Chancengleichheit undenkbar gewesen. Außerdem regelt § 58 Abs. 1 S. 1 Juristenausbildungsgesetz (JAG) NRW ganz konkret den Zeitpunkt der schriftlichen Aufsichtsarbeiten. Eine Vorverlegung der Klausuren hätte also einer Gesetzesänderung bedurft. Das hätte Zeit und Geld gekostet.

Betroffene beklagen Aufwand und Vertrauensverlust

Für die Betroffenen (Namen der Personen und ihre Stellung als Referendar:in sind der Redaktion bekannt; sie möchten anonym bleiben) geht es um Viel. Ein Referendar aus dem OLG Bezirk Düsseldorf kritisiert gegenüber LTO zum Beispiel, dass er seine Wahlstation im Ausland machen wollte und sich jetzt zwei Monate vor seinen schriftlichen Prüfungen noch mehr Planungsaufwand ausgesetzt sieht: "Ich habe nicht nur weniger Lernzeit, sondern muss nun auch umplanen. Ich muss jetzt versuchen, mit der Kanzlei meiner Wahlstation eine Vier-Tage-Woche auszuhandeln, um Lernzeit zu gewinnen. Da bin ich vollständig auf das Wohlwollen der Kanzlei angewiesen. Dabei habe ich die Kanzlei extra nach meinen eigenen Interessen ausgewählt. Davon profitiere ich jetzt auch weniger, wenn ich unerwartet einen Lerntag einplanen muss."

Er fügt hinzu: Das LJPA entscheide etwas und alle Referendar:innen müssten deswegen innerhalb kurzer Zeit eine individuelle Lösung für ihre Ausbildungsplanung finden, um sich ausreichend Lernzeit zu verschaffen. Das störe ihn sogar am meisten. "Für mich geht es um das Gefühl, das vermittelt wird. Am Ende klappt das alles irgendwie mit der Umplanung. Aber es ist kein Vertrauen in die Ausbildungsverantwortlichen mehr da."

Eine weitere betroffene Referendarin berichtet von ihren Planungsunsicherheiten gegenüber LTO: "Ich mache meine Wahlstation in einer Kanzlei in New York und komme erst am 2. Januar 2025 wieder. Ich dachte, ich hätte dann noch den ganzen Januar Zeit für die Vorbereitung auf die mündliche Prüfung. Wegen der Arbeitsbelastung und Zeitverschiebung habe ich kaum Möglichkeiten, während meiner Zeit in New York für die mündliche Prüfung zu lernen. Meine Flüge habe ich auch schon gebucht, sodass eine Zuweisung zu einer anderen Stelle für die Wahlstation kaum sinnvoll wäre."

"Ich weiß jetzt: Die Justiz NRW ist kein vertrauensvoller Ausbilder und damit auch kein vertrauensvoller Arbeitgeber", so das Fazit eines weiteren betroffenen Referendars gegenüber LTO.

Prüfungsrechtler: Chancengleichheit verletzt

Hinzu kommt: Im Januar 2025 werden wegen der Kürzung um einen Monat gleich zwei Monatsdurchgänge mündlich geprüft. Der September-Durchgang, der als erstes von der Kürzung betroffen ist, wird dann nur vier Monate Vorbereitungszeit gehabt haben, während die andere Gruppe, die regulär im Januar geprüft wird, fünf Monate Vorbereitungszeit hatte.

Dr. Arne-Patrik Heinze ist Anwalt für Prüfungsrecht und sieht in der Verschiebung der Ausbildungszeiten ohne Übergangsregelung verfassungsrechtliche Probleme: "Im Kern kommen eine Unvereinbarkeit mit dem Gleichheitsgrundsatz und eine Unvereinbarkeit mit der Berufsfreiheit in Betracht. Bezüglich des Gleichheitsgrundsatzes bestehen nur geringfügige Bedenken, da die Vergleichsgruppe ein Prüfungsdurchgang ist, der grundsätzlich nicht unverhältnismäßig ungleich behandelt wird." Allerdings führe die Veränderung der Zeitplanung zu einer unverhältnismäßigen, unechten Rückwirkung im Rahmen der Berufsfreiheit, soweit die neue Regelung nicht ausschließlich für Neuanfänger gilt, so Heinze. "Zumal das Interesse des Landes den eher untergeordneten Aspekt der Kostenersparnis betrifft. Daher halte ich sie für verfassungswidrig."

Das LJPA beziehungsweise das Justizministerium hätte nach Heinzes Auffassung also eine Übergangsregelung schaffen müssen. Im Hochschulrecht seien für die Einführung neuer Rahmenbedingungen für Prüfungen Übergangszeiten von vier bis fünf Semestern üblich.

Verkürzung eine notwendige Sparmaßnahme oder unzumutbare Belastung?

Prüfungsrechtler Christian Reckling gibt zu bedenken, dass der Zeitpunkt der mündlichen Prüfung nicht im JAG NRW festgelegt ist, nur der Zeitpunkt der Anfertigung der schriftlichen Aufsichtsarbeiten ist demnach fix. Die gesetzlich nicht festgelegte Prüfungsordnung könne dann auch während des Ausbildungsverlaufs geändert werden. "Derartige Änderungen innerhalb des Prüfungsrechtsverhältnisses dürfen nur nicht zu evident unsachlicher Behandlung mit einer Verschlechterung lediglich eines Teils der zu prüfenden Berufsbewerber führen", führt Reckling weiter aus.

Die Frage ist hier also: Ist die Verkürzung der Lernzeit eine unzumutbare Belastung für die betroffenen Referendar:innen?

Mit Bezug auf die ständige Rechtsprechung zu Prüfungsbedingungen erklärt Reckling: "Der Grundsatz des Vertrauensschutzes hat zur Folge, dass eine wesentliche Änderung während des Prüfungsverfahrens in der Regel unzulässig ist, weil gewährleistet sein muss, dass der Kandidat die Prüfung unter Bedingungen ablegt, auf die er sich eingestellt und nach denen er seine oftmals langfristige Vorbereitung eingerichtet hat."

Darüber hinaus greife der Vertrauensschutz der Referendar:innen auch dann ein, wenn die Änderung zwar nicht während des Prüfungsverfahrens, aber doch so kurzfristig vor dessen Beginn erfolgt, dass dem Prüfling eine Umstellung billigerweise nicht zugemutet werden kann. Reckling empfiehlt betroffenen Prüflingen deshalb, die Verkürzung der Vorbereitungszeit schriftlich gegenüber dem LJPA zu rügen – und zwar vor der Prüfung und nicht erst nach Bekanntgabe der Prüfungsergebnisse.

Update: Eine Sparmaßnahme für die Sparmaßnahme

Nach Angaben von Ministeriumssprecher Strunk ist das nicht die letzte Sparmaßnahme am Rechtsreferendariat in NRW. Auf LTO-Anfrage sagt er: "Des Weiteren plant Nordrhein-Westfalen, um weitere circa 70 Neueinstellungen von Referendarinnen und Referendaren abdecken zu können, die Zahlung der Unterhaltsbeihilfe nur noch bis zum Tag des Bestehens (mündliche Prüfung) oder endgültigen Nichtbestehens der zweiten juristischen Staatsprüfung zu gewähren“. 

Zur Einordnung: Bis Ende 2025 soll die Zahl der Referendarstellen in NRW sukzessive von 3.776 auf 3.000 gekürzt werden. Darin enthalten sind bereits die durch die Gehaltskürzungen "gewonnenen" 70 Stellen. Mit anderen Worten: Würde nicht taggenau an der Auszahlung der Unterhaltsbeihilfe gespart, könnten in Zukunft noch weniger als die letztlich 3.000 geplanten Referendar:innen eingestellt werden. Das Ministerium kalkuliert also schon fest mit dieser Sparmaßnahme, um nicht unter die Vorgaben einer anderen Sparmaßnahme zu unterschreiten. 

Referendar:innen in NRW haben damit noch mehr Druck, sich nach dem zweiten Examen schnellstens um ihren Lebensunterhalt zu kümmern, vorzugsweise durch einen Job. Für Viele dürfte dieser nach den jüngsten Erfahrungen aber wohl nicht bei der Justiz NRW infrage kommen.

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