Die juristische Presseschau vom 31. August 2023: Juris-Geschäfts­führer abbe­rufen / Ent­wurf für BND-Gesetz / 40 Jahre Kir­che­n­asyl

31.08.2023

Justizminister Buschmann setzt personelle Konsequenzen bei Juris durch. Das Kabinett billigte den Entwurf für ein novelliertes BND-Gesetz. Vor 40 Jahren wurde das erste Mal Kirchenasyl gewährt. 

Thema des Tages

Juris: Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) hat den Sprecher der Geschäftsführung der Juris GmbH mit Wirkung zum heutigen 31. August abberufen, wie die FAZ (Jochen Zenthöfer) schreibt. Grund sei wohl der Versuch von Juris gewesen, nach dem von Buschmann verfügten Stopp des Webprojekts Libra im März erneut eine Nachrichtenredaktion zu Rechtspolitik aufzubauen. Journalistische Tätigkeiten sind dem mehrheitlich in Staatshand befindlichen Unternehmen jedoch nicht erlaubt. 

Rechtspolitik

BND: Das Bundeskabinett hat einen Gesetzentwurf zur Reform des BND-Gesetzes beschlossen, wie LTO berichtet. Dadurch soll der deutsche Auslandsgeheimdienst unter anderem besser vor Spionage geschützt werden. Es sollen unter anderem verdachtsunabhängige Personen-, Taschen- und Fahrzeugkontrollen bei den BND-Beschäftigten durchgeführt werden können. Auch private Geräte wie Smartphones sollen kontrolliert werden können, wenn ein Verdacht vorliegt. Außerdem sollen die Vorschriften zur Übermittlung personenbezogener Daten an Polizeien und Staatsanwaltschaften an Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts angepasst werden. 

"Sichere Herkunftsstaaten": Georgien und Moldawien sollen zu "sicheren Herkunftsstaaten" erklärt werden. Einen entsprechenden Gesetzentwurf beschloss das Bundeskabinett ebenfalls. Entsprechend der Anerkennungspraxis des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge soll gesetzlich vermutet werden, dass auch in diesen beiden Staaten keine politische Verfolgung stattfindet, was aber im Einzelfall widerlegt werden kann. Die SZ (Constanze von Boullion) berichtet.

Beschlüsse der Kabinettsklausur: Bei der Klausurtagung auf Schloss Meseberg hat sich das Bundeskabinett außerdem auf weitere Gesetzesentwürfe und Vorhaben geeinigt. So gab es eine Einigung zu Steuererleichterungen durch das Wachstumschancengesetz und zum Maßnahmenkatalog von Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) zum Bürokratieabbau. Außerdem will die Bundesregierung in den kommenden zwei Jahren die technischen und rechtlichen Voraussetzungen für den Einsatz von künstlicher Intelligenz in der Verwaltung schaffen. Es berichten SZ (Daniel Brössler/Henrike Roßbach), FAZ (Corinna Budras u.a.), taz (Jasmin Kalarickal/Hannes Koch) und LTO.

Asyl: Wolfgang Janisch (SZ) greift im Leitartikel die Diskussion um die Abschaffung des individuellen Asylrechts wieder auf und stellt fest, dass der CDU-Rechtspolitiker Thorsten Frei als Konservativer die bessere Verwirklichung des Rechts auf Asyl hätte anmahnen können, statt zu fordern, das individuelle Asylrecht zu streichen. Es sei ein legitimes Anliegen der EU, ökonomisch motivierte Migration von der Flucht vor Verfolgung zu trennen. Dafür dürfe aber das Asylrecht nicht geopfert werden. Die von Frei vorgeschlagene Kontingentlösung sei schon deshalb abzulehnen, weil es immer Gründe geben werde, keine freiwilligen Flüchtlingskontingente aufzunehmen, etwa weil schon zu viele Flüchtlinge aus der Ukraine gekommen seien.

Vorratsdatenspeicherung: Im Leitartikel kritisiert Katharina Iskandar (FAZ) unter anderem das Zögern des Bundesjustizministers Marco Buschmann, bei der Bekämpfung von Kinderpornographie und Terrorismus die Speicherfrist der IP-Adressen länger anzusetzen als die bisherigen sieben Tage. Eine Speicherfrist von 14 Tagen sei laut einer Studie des Bundeskriminalamtes hingegen schon ausreichend, mehr als 80 Prozent der Taten aufzuklären. 

Justiz

BVerwG zu Raumordnung und Nahversorgung: Eine Ge­mein­de kann gegen ein Ein­zel­han­dels­gro­ß­pro­jekt in der Nach­bar­ge­mein­de nicht mit der Be­grün­dung vor­ge­hen, dass das Projekt die ei­ge­ne Nah­ver­sor­gung mit Le­bens­mit­teln durch einen von der Gemeinde gestützten Bürgermarkt ge­fähr­de. Das entschied das Bundesverwaltungsgericht. Lokale Angelegenheiten seien keine Aufgabe der Raumordnung. beck-aktuell berichtet.

BAG zur Befristung von Führungskräften: Das Bundesarbeitsgericht hat im Juni 2022 entschieden, dass auch wenn bei einer Führungskraft eine "geschäftsführerähnliche" Stellung vorliegt, daraus kein berechtigtes Interesse des Arbeitgebers folgt, statt eines unbefristeten einen befristeten Arbeitsvertrag abzuschließen. Das Gericht sah keinen Sachgrund für die Befristung gegeben. Die Anwältin Alexandra Henkel stellt das Urteil auf dem Expertenforum Arbeitsrecht dar.

BGH – Syndikusanwalt und Nebentätigkeit: Der BGH hat in einem vom Anwaltsgerichtshof Hamm entschiedenen Fall die Revision zugelassen. Es geht um die Frage, welche nichtprägenden Tätigkeiten ein Syndikusanwalt neben seiner Haupttätigkeit für ein Bistum  noch ausführen darf, ohne den Status als Syndikusanwalt zu verlieren. Dabei muss der BGH insbesondere die Ausnahmevorschrift des neuen § 46 Abs. 6 BRAO auslegen. beck-aktuell (Martin W. Huff) berichtet. 

OVG NRW zu Waffenschein für Soldat: Das nordrhein-westfälische Oberverwaltungsgericht hat entschieden, dass ein Bundeswehrsoldat, der sich nach Rückkehr von einem Auslandseinsatz durch islamistische Terroranschläge gefährdet sieht, keinen Anspruch auf Erteilung eines Waffenscheins hat. Der Soldat, der geklagt hatte, war von 2011 bis 2015 in Afghanistan im Einsatz und machte geltend, sich seitdem in einer besonderen Bedrohungslage durch islamistische Extremisten zu befinden. Das Oberverwaltungsgericht urteilte nun jedoch, dass Personen, die Angriffe auf sich befürchteten, ein Waffenschein nur dann zu erteilen sei, wenn sie wesentlich mehr als die Allgemeinheit gefährdet seien. Nach Ansicht des Gerichts traf dies beim Kläger nicht zu. Es berichtet LTO

OLG Oldenburg zu Sachmangel bei Pferd: Das Oberlandesgericht Oldenburg hat entschieden, dass ein ehemaliges Rennpferd nicht als "mangelhaft" im Rechtssinne anzusehen ist, wenn eine Nutzung als Freizeitpferd im Kaufvertrag angegeben war. Eine Frau hatte ein Freizeitpferd gekauft, später stellte sich jedoch heraus, dass das Tier in der Vergangenheit als Rennpferd eingesetzt worden war. Wegen der höheren Belastung des Pferdes wollte die Käuferin den Vertrag rückabwickeln. Das Oberlandesgericht stellte nun fest, dass ein gesundes Pferd nicht schon deswegen mangelhaft ist, weil es früher einmal als Rennpferd eingesetzt wurde. Es berichten LTO (Leonie Ott) und beck-aktuell

LG München I – Ex-Wirecard-Chef Braun: Im Prozess vor dem Landgericht München I gegen Markus Braun und andere Wirecard-Manager hat eine Zeugin ausgesagt, die früher als Betriebswirtin in der Abteilung für Konzernrechnungswesen des Unternehmens gearbeitet hat, wie SZ (Johannes Bauer) schreibt. Sie sollte der Frage nachgehen, ob Wirecard die Kontrolle über fragwürdige Drittpartner hatte und durch das Halten von Anteilen etwa Mitglieder des Vorstands oder Aufsichtsrat berufen und abberufen konnte. Die Zeugin habe dazu jedoch selbst keine Verträge eingesehen, Informationen habe sie hauptsächlich von ihren Vorgesetzen, den Angeklagten, erhalten. Die Aussage ist ein weiterer Beleg dafür, dass Mitarbeitende zwar skeptisch waren in Bezug auf die Geschäftspraktiken ihres Arbeitgebers, diese Skepsis jedoch wegen ihrer Abhängigkeit jedoch schnell verpuffte. 

StA Berlin – Till Lindemann: spiegel.de (Ann-Katrin Müller/ Juliane Löffner) ordnet die Einstellung des Verfahrens gegen Till Lindemann auch vor dem Hintergrund der eigenen Berichterstattung ein. Bei staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen gehe es um Strafrecht, journalistische Texte müssten hingegen medienrechtlichen Kriterien standhalten. Es sei die Aufgabe von Journalist:innen, Hinweisen über mutmaßliches Fehlverhalten nachzugehen – unabhängig davon, ob es dazu schon ein juristisches Verfahren oder sogar ein Urteil gebe. Die Autorinnen weisen darauf hin, dass der Kernvorwurf eines "perversen Groupie-Castingsystems" von den einschränkenden Verfügungen der Zivilgerichte unberührt blieb.

Elena Witzeck (FAZ) fasst in einem Kommentar den Fall Lindemann zusammen und weist darauf hin, dass ein eingestelltes Verfahren kein Freispruch sei und Vorwürfe von Sexualstraftaten im Allgemeinen extrem schwer zu belegen seien. Der Gesellschaft wäre wohl kaum geholfen, wenn als Konsequenz aus dem Fall Rammstein Medien über Fehlverhalten und Missstände nur noch nach rechtskräftig ergangenem Urteil berichteten. Vielmehr sollte jenseits der juristischen Aufarbeitung solcher Fälle eine ernsthafte, von Wertvorstellungen geleitete Debatte über unsere Lebensrealität geführt werden. Christian Rath (taz) mutmaßt, dass die Betäubung von Frauen, um mit ihnen Sex haben zu können, wohl nicht zum "Sypstem Lindemann" gehörte. Dagegen sei einvernehmlicher Sex mit Verehrerinnen nicht strafbar, auch wenn er durch eine "Casting-Direktorin" organisiert wurde. Jost Müller-Neuhof (Tsp) meint, die Justiz müsse es nun mal genauer nehmen als die Skandalreportage. Manche Männer nutzen ihren Status für Sex aus, und manche Frauen ließen sich darauf ein. 

Recht in der Welt

Chile - Victor Jara: Der Oberste Gerichtshof in Chile hat 50 Jahre nach dem Tod des Sängers Victor Jara die Urteile gegen sieben ehemalige Militäroffiziere wegen Entführung und Ermordung bestätigt, wie die taz (Jürgen Vogt) schreibt. Damit sind die Haftstrafen von 25 Jahren gegen sechs Militärangehörige in letzter Instanz rechtskräftig. Bisher waren die zwischen 73 und 85 Jahre alten Verurteilten auf freiem Fuß. Victor Jara wurde am 12. September 1973, nach dem Militärputsch gegen den sozialistischen Präsidenten Salvador Allende, verschleppt und mit Tausenden anderen im Sportstadion Estadio Chile eingesperrt, gefoltert und später ermordet. Bis heute gilt er als einer der wichtigsten politischen Sänger Lateinamerikas.

Juristische Ausbildung

BVerwG – Rechtsextremer Rechtsreferendar: Das Bundesverwaltungsgericht hat die Revision eines Mitglieds der rechtsextremen Partei "Der III. Weg" zugelassen, der in Bayern wegen seiner Parteizugehörigkeit nicht zum Rechtsreferendariat zugelassen wurde, wie beck-aktuell (Michael Dollmann) berichtet. Das Gericht wird die Frage zu klären haben, ob für die Einstellung als Rechtsreferendar:in schärfere Anforderungen gestellt werden dürfen als für die Zulassung als Anwält:in. 

Freiversuch: Nach der neuen Ausbildungsstatistik des Bundesamts für Justiz stehen die Erfolgschancen beim Freiversuch für das Erste Staatsexamen gut, wie auf LTO-Karriere zu lesen ist. Über 85 Prozent der Angetretenen bestanden im Jahr 2021 laut den Angaben des Bundesamts, 70 Prozent davon mit einer Note besser als ausreichend. 

Studium in Thüringen: An der Universität Jena geht laut LTO die Zahl der Jurastudierenden rapide zurück. Da diese Universität die einzige ist, an der man in Thüringen Jura studieren kann, stellt das auch ein Problem für die Justiz in dem Bundesland da, da diese dringend neue Fachkräfte braucht, allein schon mit Blick auf die erwartete große Pensionierungswelle, insbesondere in den neuen Bundesländern. Thüringen ist mit dem Problem jedoch nicht allein, bundesweit sinkt die Studierendenzahl für den Studiengang Rechtswissenschaft.

Sonstiges

Kirchenasyl: Vor 40 Jahren hat sich das Kirchenasyl etabliert, für dass es zwar keine gesetzliche Grundlage gibt, das sich aber mittlerweile auf Absprachen zwischen Innenministerium und Kirchen stützt. Erstmals wurde in Berlin 1983 Kirchenasyl organisiert, nachdem sich dort der 23-jährige politische Flüchtling Cemal Kemal Altun aus Angst vor einer Auslieferung an die Türkei aus dem Fenster eines Gerichtssaals gestürzt hatte. Momentan sind 431 Kirchenasyle mit 655 Personen, davon 136 Kinder, bekannt. In einer Entscheidung von 2022 hat das Bayerische Oberste Landesgericht außerdem entschieden, dass Personen, etwa Pfarrer:innn, die Kirchenasyl gewähren, sich auch nicht wegen Beihilfe zu unerlaubtem Aufenthalt strafbar machen, da der Aufenthalt der Betroffenen den Behörden bekannt sei und es daher an einer rechtswidrigen Haupttat mangele. Es berichtet LTO (Tanja Podolski)

Konkordanz und Klimaschutz: Der Jurastudent André Bartsch stellt auf dem Verfassungsblog fest, dass der Maßstab der praktischen Konkordanz auf die Verteilungsprobleme des Klimaschutzes keine befriedigende Antwort liefere. Vielmehr sei der Klimaschutz als Verteilungskonflikt zu begreifen und das Problem als Frage nach der Kontrolle von zusammenwirkenden Einzelmaßnahmen und der – nach dem Klimaschutzbeschluss des BVerfG verfassungsrechtlich determinierten – verbindlichen Zielsetzung aufzufassen.

 

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lto/ls/chr

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 31. August 2023: . In: Legal Tribune Online, 31.08.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/52601 (abgerufen am: 23.11.2024 )

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