War es rechtens, die Strompreisbremse durch Abschöpfungen bei Ökostromerzeugern mitzufinanzieren? In Stuttgart beginnt der DJT. Aktionäre von Wirecard können laut OLG München Schadensersatzansprüche künftig besser geltend machen.
Thema des Tages
BVerfG – Strompreisbremse: Das Bundesverfassungsgericht verhandelte über zwei Verfassungsbeschwerden von 22 Ökostromanlagenbetreibern gegen die Abschöpfung ihrer Überschusserlöse, die entstanden, als sich 2022 infolge gestiegener Gaspreise der Strompreis verzehnfachte, ohne dass sich die Kosten für erneuerbare Energien erhöhten. Die abgeschöpften Überschusserlöse wurden sieben Monate lang zur Mitfinanzierung der Ende 2022 in Kraft getretenen Strompreisbremse eingesetzt. Insgesamt geht es um einen Betrag von 750 Millionen Euro. Die beschwerdeführenden Unternehmen sahen in der Abschöpfung eine "Sonderabgabe mit Finanzierungsfunktion", deren verfassungsrechtliche Bedingungen aber nicht erfüllt seien. Die Bundesregierung lehnte die Einstufung als Sonderabgabe ab, weil die abgeschöpften Summen nicht an den Staat flossen. Es handele sich lediglich um eine verfassungsgemäße "Preis- und Erlösregelung". Der Schwerpunkt der Verhandlung lag bei Fragen der Preisbildung am Strommarkt; für verfassungsrechtliche Fragen hatte das Gericht keinen Erörterungsbedarf. Das Urteil wird in einigen Monaten verkündet. Es berichten SZ (Wolfgang Janisch), FAZ (Katja Gelinsky) und LTO (Christian Rath). tagesschau.de (Philip Raillon/Christoph Kehlbach u.a.) brachte einen Vorbericht.
Rechtspolitik
DJT: Am heutigen Mittwoch beginnt in Stuttgart der 74. Deutsche Juristentag. Die dortigen sechs Fachabteilungen beschreibt beck-aktuell (Denise Dahmen): Massenverfahren im Zivilrecht, zeitgemäßer Arbeitnehmerbegriff, strafprozessualer Zugriff auf digitale Geräte, Klimaschutz durch Gesellschaftsrecht, staatliche Reaktionen auf Krisen, Informationsverantwortung von Medien. In der Schlussveranstaltung geht es um die rechtlichen Rahmenbedingungen der militärischen Unterstützung der Ukraine.
DJT – Informationsverantwortung von Medien: beck-aktuell (Maximilian Amos) interviewt Rechtsprofessor Hubertus Gersdorf, den Verfasser des Gutachtens in der medienrechtlichen Abteilung. Er spricht über Gefahren durch Medienkonsum außerhalb der klassischen Kanäle, Herausforderungen des öffentlichen-rechtlichen Rundfunks, den Wandel der Rundfunkfreiheit und die Notwendigkeit einer Regulierung reichweitenstarker Plattformen.
Landtagspräsident:in Thüringen: Über das zu erwartende "Politikspektakel" bei der am morgigen Donnerstag anstehenden konstituierenden Sitzung des neu gewählten Thüringer Landtags schreiben FAZ (Markus Wehner) und LTO. Während es unwahrscheinlich ist, dass Wiebke Muhsal (AfD) als Kandidatin der größten Parlamentsfraktion eine Mehrheit bei der Wahl für das Präsidentenamt erhält, besteht Uneinigkeit über die Konsequenzen. Die AfD behaupte, dass ihr das Vorschlagsrecht exklusiv zusteht, die Landtagsverwaltung gehe davon aus, dass nach einem zweiten gescheiterten Wahlgang auch andere Fraktionen Vorschläge unterbreiten können. Daneben besteht Unsicherheit über die Zulässigkeit der von CDU und BSW beantragten Änderung der Geschäftsordnung. Hier habe der Verfassungsgerichtshof des Freistaats bereits signalisiert, bei Bedarf auch kurzfristig entscheiden zu können.
Asyl/Migration: Im Leitartikel arbeitet Reinhard Müller (FAZ) Unterschiede zwischen einer Asyl- und Migrationspolitik "auf dem Boden und im Sinn des Grundgesetzes" und jener heraus, die von "Verfassungsfeinden" vertreten wird. Während erstere mit "Härte" die Befolgung des Rechts meine und auch "verurteilte Schwerverbrecher" menschlich behandle, erschöpfe sich Letztere darin, Ressentiments zu schüren.
Mutterschutz nach Fehlgeburt: Anfang Juli forderte der Bundesrat die Bundesregierung auf, die Koalitionsvereinbarung über einen verbesserten Mutterschutz nach Fehlgeburten umzusetzen. Rechtsprofessorin Bettina Graue führt auf beck-aktuell die neben dem Mutterschutzgesetz zu ändernden Vorschriften des Personenstandsrechts und des Aufwendungsausgleichsgesetzes an.
Justiz
OLG München zu Wirecard-Anleger:innen: Nach einem Urteil des Oberlandesgerichts München können Aktionär:innen des insolventen Wirecard-Konzerns mit größeren Erfolgsaussichten Schadensersatzforderungen gegen den Insolvenzverwalter erheben. Bislang seien Aktionär:innen in derartigen Konstellationen gegenüber anderen Gläubiger:innen schlechter gestellt gewesen, da sie als Miteigentümer:innen gelten. Im nun entschiedenen, von SZ (Nils Heck/Stephan Radomsky) und FAZ berichteten Fall ist das OLG jedoch der Argumentation der klagenden Union Investment gefolgt. Diese hatte behauptet, zu ihrem Aktienkauf nur durch eine arglistige Täuschung des Wirecard-Vorstands bewegt worden zu sein. Die Anrufung des Bundesgerichtshofs scheint sicher.
BGH zu beA-Übermittlung: Benedikt Windau (ZPO-Blog) macht auf einen von Anfang Juli stammenden Beschluss des Bundesgerichtshofs aufmerksam, nach dem die Einreichung eines Schriftsatzes über das besondere elektronische Anwaltspostfach nur dann wirksam und damit fristwahrend ist, wenn der Absender diesen auch selbst qualifiziert elektronisch signiert. Im entschiedenen Fall waren Verfasser und Signierer personenverschieden, ein Wiedereinsetzungsantrag wurde daher verworfen.
BGH zu Tötungsvorsatz: beck-aktuell berichtet über einen nun veröffentlichten Beschluss des Bundesgerichtshofs vom Anfang des Monats, der eine Anklage wegen versuchten Totschlags zur erneuten Verhandlung an das Landgericht Halle zurückverwies. Das LG habe unzulässig allein aus der Gefährlichkeit des Handelns und der Wahrscheinlichkeit auf einen entsprechenden Vorsatz geschlossen, weitere relevante Umstände jedoch außer Acht gelassen. Der zumindest vorläufig erfolgreiche Revisionsführer hatte bei einer alkoholgeschwängerten Party einen Nebenbuhler aus dem Fenster eines zweiten Stockwerks geschubst; der Geschädigte überlebte schwer verletzt.
OLG Frankfurt/M. zu Vermögensarrest: Am Oberlandesgericht Frankfurt/M. ist ein früherer Mitarbeiter der Deutschen Börse mit dem Versuch gescheitert, einen Teil seines wegen Insiderhandels beschlagnahmten Vermögens wiederzuerlangen. Der bislang lediglich angeklagte Beschwerdeführer hatte sich gegen eine Entscheidung des Landgerichts gewandt, das mehr als eine Million Euro aus seinem Vermögen durch einen Arrest gesichert hatte. Nach Einschätzung des OLG war dies rechtmäßig. Insbesondere sei es unerheblich, dass nur ein Teil der Börsengeschäfte des Mannes auf Insiderinformationen beruhte, während andere Geschäfte als untauglicher Versuch des Insiderhandels zu qualifizieren waren. Der Staat könne vielmehr den gesamten Erlös einziehen, geben FAZ (Marcus Jung) und beck-aktuell das OLG wieder.
LG Dortmund – Handball und Missbrauch: Am nächsten Freitag verhandelt das Landgericht Dortmund über eine Beschwerde des Deutschen Handballbundes. Dem Verband war im Sommer durch einen Beschluss des Oberlandesgerichts Hamm die Fortführung einer Aufarbeitungskommission untersagt worden, die Missbrauchsvorwürfe untersuchen sollte. Einen nicht untergeordneten Teil dieser Vorwürfe betrafen den Trainer Andre Fuhr, der den OLG-Beschluss erwirkt hatte. Sollte dieser Bestand haben, müssten Sportverbände grundsätzlich ihren Umgang mit Vorwürfen missbräuchlichen Verhaltens überdenken, schreibt die FAZ (Christoph Becker) im Sport-Teil.
LG Berlin I – Angriff auf Franziska Giffey: Am Berliner Landgericht I muss sich ein Rentner wegen des Angriffs auf die Berliner Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey (SPD) im vergangenen Mai verantworten. Dass der Angeklagte die Politikerin bei einem Auftritt in einer Bibliothek mit einem Beutel unklaren Inhalts geschlagen hat, steht wohl fest. Im Vordergrund der jetzigen Verhandlung wird vermutlich die Unterbringung in der Psychiatrie stehen. Die von bild.de (Karin Hendrich) wiedergegebenen Einlassungen des Angeklagten offenbaren ein von Verfolgungswahn geprägtes Weltbild.
LG Dresden – vorgetäuschte Straftat: Am heutigen Mittwoch verkündet das Landgericht Dresden sein Urteil über Chokri A., dem schwere Brandstiftung sowie das Vortäuschen einer Straftat vorgeworfen wird. Der Tunesier hatte fälschlich behauptet, dass die Mutter seiner Tochter ihn angegriffen, an ein Bett gefesselt und dieses angezündet habe. Die SZ (Uta Eisenhardt) rekapituliert den ungewöhnlichen Fall. Vermutlich wollte der Angeklagte mit der Falschbezichtigung erreichen, dass die drogenabhängige Frau das Recht zum Umgang mit der gemeinsamen Tochter verliert.
LG Zwickau zu Bierdusche: Das Landgericht Zwickau hat einem Schiedsrichter, der bei einer Drittligapartie des örtlichen Fußballvereins von einem Anhänger eine Bierdusche verpasst bekam, 1.500 Euro Schmerzensgeld zugesprochen. Die Tat habe ungerechtfertigt in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers eingegriffen und dessen Ehre und Ansehen geschädigt, so spiegel.de über die Entscheidung. Gefordert hatte der Schiedsrichter 25.000 Euro.
AG München zu spiegelverkehrter Dusche: Die juristische Auseinandersetzung über die Folgen eines Fehlers bei der Bestellung einer maßgefertigten Dusche endeten am Amtsgericht München für den Kläger erfolglos. Dieser hatte erst beim Einbau der Dusche bemerkt, dass er eine spiegelverkehrte Dusche geordert hatte und nun gehofft, wenigstens einen Teil der Kosten vom Monteur ersetzt zu bekommen. Dieser Argumentation schloss sich das Gericht in seinem von LTO berichteten Urteil von Ende Juli nicht an. Vielmehr sei ein Einbau und ggfls. Nacharbeiten "die einzig vernünftige Lösung."
DIS zu DAZN vs. DFL: Die Deutsche Fußball Liga muss ihre Auktion der Fernsehrechte für die nächsten Bundesliga-Spielzeiten wiederholen. Dies ordnete die Deutsche Institution für Schiedsgerichtsbarkeit an. Bei der Vergabe eines Rechtepakets an den Anbieter Sky hatte sich die DFL gegen das höher dotierte Angebot des Konkurrenten DAZN entschieden, weil dieser eine kurzfristig geforderte Bankbürgschaft nicht sofort beibringen konnte. Die kurzfristige Anforderung der Bankbürgschaft wäre laut DIS aber nur zulässig gewesen, wenn sich Probleme der Zahlungsfähigkeit erst während der Auktion ergeben hätten. Es berichten FAZ (Daniel Theweleit), LTO und bild.de.
Recht in der Welt
Frankreich – Vergewaltigung als Angebot: Im Feuilleton schreibt die FAZ (Lena Bopp), dass der Strafprozess gegen Dominique Pelicot in Frankreich zu einer Diskussion über eine Neufassung des Vergewaltigungstatbestandes geführt habe. Weil die aktuelle Rechtslage einer "Vergewaltigungskultur" Vorschub leiste, die davon ausgehe, dass "Männer über Frauen und deren Körper einfach verfügen könnten", werde nun gefordert, das explizite Einverständnis von Frauen in die gesetzliche Definition einer Vergewaltigung aufzunehmen.
Finnland – Asylgesetz: Der Jurist Max Jacobs beschreibt im FAZ-Einspruch das neue finnische Asylgesetz als eine Herausforderung für die gesamte EU. Die im Gesetz vorgesehene Möglichkeit, Schutzsuchende an der Außengrenze zu Russland ohne weitere Prüfung ihrer Anliegen zurückzuweisen, stehe im klaren Widerspruch zum non-refoulement-Prinzip und verletze nicht nur Pflichten Finnlands innerhalb der EU, sondern auch verschiedene internationale Menschenrechtsabkommen.
Libanon – Pager-Explosionen: Rechtsprofessor Stefan Talmon beklagt im Verfassungsblog vorschnelle Einschätzungen über die völkerrechtliche Zulässigkeit von Maßnahmen wie nach den letztwöchigen Pager-Explosionen im Libanon. Oftmals argumentiere jede Seite je nach gewünschtem Ergebnis, dabei stelle "das Völkerrecht" keinen "monolithischen Block" und noch nicht einmal eine objektive Rechtsordnung dar. Der Autor selbst gelangt zu der Einschätzung, dass die mutmaßlich israelisch veranlassten Explosionen keine verbotene Methode der Kriegsführung darstellen.
Sonstiges
Inken Gallner im Interview: Das Hbl (Heike Anger/Frank Specht) spricht mit Inken Gallner, Präsidentin des Bundesarbeitsgerichts, über die Situation bei VW. Daneben spricht die Juristin die Vermutung aus, dass ein Gesetzentwurf zur Arbeitszeiterfassung nicht mehr zu erwarten ist.
Oktoberfest und Kartellrecht: Der Bierdurst aller Oktoberfestgäste darf bislang nur mit Produkten der großen sechs Münchner "Traditionsbrauereien" gestillt werden. Die seit einigen Jahren im Stadtgebiet produzierende Giesinger Brauerei will dies ändern, weiß LTO und beschreibt die bis zur Erreichung dieses Ziels auszuräumenden Hürden.
Italienische Bußgeldbescheide: Ab sofort können italienische Bußgeldbescheide wegen Verkehrsverstößen auch wieder in anderen europäischen Ländern, u.a. in Deutschland, betrieben werden. Voraussetzung hierfür war die Behebung von Problemen beim italienischen Teil des EU-weiten Datenregisters. FAZ (Matthias Rüb) und LTO berichten.
Das Letzte zum Schluss
Work hard, play hard: Bekanntermaßen ist der Frohsinn im Rheinland zu Hause, die Firmenfeier-Eskapaden eines Angestellten beschäftigten hingegen die Düsseldorfer Arbeitsgerichtsbarkeit. Dort ging der Mann erfolgreich gegen seine Kündigung vor. Die erhielt er, nachdem er bei einer Betriebsfeier auf einem Partyschiff sprichwörtlich baden gegangen und – lediglich mit einer Unterhose bekleidet – eben dieses Schiff umrundet hatte. Die Parteien verständigten sich dann auf Vorschlag des Landesarbeitsgerichts dahingehend, den Vorfall mit einer Abmahnung auf sich beruhen zu lassen. Über den Fall und den Vergleich aus dem Juli 2023 berichtet Arnd Diringer (expertenforum.arbeitsrecht).
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen Internet-Angebot des jeweiligen Mediums.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
LTO/mpi/chr
(Hinweis für Journalisten und Journalistinnen)
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Sie können die tägliche LTO-Presseschau im Volltext auch kostenlos als Newsletter abonnieren.
Die juristische Presseschau vom 25. September 2024: . In: Legal Tribune Online, 25.09.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/55490 (abgerufen am: 11.11.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag