Die juristische Presseschau vom 8. Oktober 2024: Juris­ti­sche Auf­ar­bei­tung des Hamas-Ter­rors / Immo­bi­li­en­käufe bald papierlos? / Klage gegen Gas­för­de­rung

08.10.2024

Eine Rechtsprofessorin dokumentiert die Verbrechen der Hamas vom 7. Oktober 2023 gegen Familien. Justizminister Buschmann plant die Digitalisierung von Immobilienkäufen. Die Deutsche Umwelthilfe klagt gegen die Erdgasförderung vor Borkum.
 

Thema des Tages

Israel - Angriff der Hamas: Ein Jahr nach dem Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 hat die Welt (Erica Zingher) mit der israelischen Rechtsprofessorin Cochav Elkayam-Levy über die Dokumentation der Verbrechen der Hamas gegen Frauen, Kinder und Familien gesprochen. Mit einer von ihr gegründeten Forschungskommission sammelt sie seit einem Jahr Beweise und Zeitdokumente zu den Übergriffen. In diesem Kontext entwickelte sie den Begriff "Kinocide" für gezielte Angriffe gegen Familien, "Kin" sei der lateinische Begriff für Verwandtschaft. "Einen Menschen vor den Augen der Angehörigen zu missbrauchen, zu ermorden oder zu entführen, ist eine andere Ebene der Grausamkeit." Die Forschungsergebnisse sollen nach dem Vorbild des Yad Vashem-Archivs veröffentlicht werden.

Reinhard Müller (FAZ) kommentiert anlässlich des Jahrestags des Überfalls, Deutschlands Platz müsse an der Seite der Überfallenen sein. Der Angriff durch die Hamas dürfe von Israel nur mit rechtsstaatlichen Mitteln beantwortet werden. Jedoch seien "wohlfeile Ratschläge und schulmeisterliche Ermahnungen aus der Ferne schon deshalb fehl am Platze", weil für die effektive Verteidigung auch im Völkerrecht die Sicht des Angriffsopfers maßgeblich sei.

Antisemitische Straftaten: Der Zentralrat der Juden in Deutschland veröffentlichte ein Lagebild zu den "Auswirkungen des Krieges in Israel auf die jüdischen Gemeinden in Deutschland", wonach 2024 bereits fast die Hälfte aller jüdischen Gemeinden in Deutschland von antisemitischen Vorfällen betroffen waren. Die Umfrage belegt zudem ein "verstärktes Unsicherheitsgefühl unter Jüdinnen und Juden in Deutschland". Seit dem 7. Oktober 2023 befänden sich die Gemeinden in einem "Ausnahmezustand". LTO und taz (Frederik Eikmanns) berichten.

VGH Hessen zu propalästinensischer Versammlung: Der hessische Verwaltungsgerichtshof hob das seitens der Stadt Frankfurt erlassene Verbot der Versammlung "Für ein freies Palästina – Der Sieg gehört der Gerechtigkeit" im Eilverfahren auf. Die Tatsache, dass die Versammlung für den 7. Oktober angemeldet war, begründe allein keine Gefahr für die öffentliche Sicherheit. Der VGH argumentierte, die Anmelderin habe in der jüngeren Vergangenheit weitgehend friedliche und störungsfreie Versammlungen durchgeführt. LTO berichtet.

Rechtspolitik

Digitale Immobilienkäufe: Wie beck-aktuell (Joachim Jahn) erfahren hat, plant Justizminister Marco Buschmann (FDP), dass Immobilienkäufe künftig vollständig digital abgewickelt werden sollen. Der Gesetzentwurf befinde sich derzeit in der Ressortabstimmung. Laut Gesetzesbegründung kommunizieren die meisten beteiligten Behörden derzeit noch in Papierform mit den Notar:innen.

Kindschaft / Abstammung / Unterhalt für Trennungskinder: Im Bundesfamilienministerium, das von Lisa Paus (Grüne) geführt wird, ist man irritiert, dass Justizminister Marco Buschmann (FDP) drei Referentenentwürfe zum Familienrecht an die Bundesländer weitergeleitet und die Länder für den 25. Oktober zu einer Besprechung eingeladen hat. Das Familienministerium hatte der Einleitung der Ressortabstimmung in der Bundesregierung ausdrücklich widersprochen, weil es Bedenken hinsichtlich der Änderung beim Unterhaltsrecht in asymmetrischen Wechselmodellen hat. In Fällen, in denen der Vater die Betreuung des Kindes zu mehr als 29 Prozent aber weniger als 50 Prozent übernimmt, soll er nach dem Entwurf des Bundesjustizministeriums in Zukunft weniger Unterhalt zahlen müssen. Das Familienministerium gab an, es wolle verhindern, dass alleinerziehende Mütter "unzumutbare finanzielle Einbußen" schultern müssen. LTO (Hasso Suliak) berichtet und stellt auch die anderen beiden Referentenentwürfe vor, ebenso beck-aktuell. 

Constanze von Bullion (SZ) lobt die Reformpläne zum Unterhaltsrecht, auch wenn sie für alleinerziehende Mütter eine bittere Pille darstellten. Zwei Korrekturen schlägt sie jedoch vor: Erstens eine Übergangsfrist, in der die Mutter ihre Erwerbstätigkeit ausweiten kann. Zweitens müsse die Schwelle von 29 Prozent auf 40 Prozent der Kinderbetreuung angehoben werden, "um so viel Rabatt beim Unterhalt zu rechtfertigen. Wenn Väter spürbar weniger zahlen wollen, sollen sie auch spürbar mehr anpacken."

Digitale Dienste: Der Anwalt Lucas Brost fordert auf LTO eine Nachbesserung der EU-Verordnung Digital Services Act (DSA). Die Fristen für die Reaktion durch die Plattformbetreiber müssten verkürzt werden und auch die Rechtsdurchsetzung besser geregelt werden. Das alte deutsche Netzdurchsetzungsgesetz (NetzDG) könne hier Vorbild sein. Als Beleg für seine Forderung schildert der Autor den Fall einer Persönlichkeitsrechtsverletzung auf Facebook, die von Meta nur unzureichend und schleppend bearbeitet wurde. Obwohl das Landgericht eine einstweilige Verfügung erlassen hatte, ist der Beitrag - nun in leicht veränderter Form - auch sechs Monate nach dem ersten Post noch online. 

Eurobonds: Der Rechtsprofessor Christoph Degenhart kritisiert auf beck-aktuell, dass sich Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen für die "verfassungsrechtlich höchst zweifelhaften Euro-Bonds" aufgeschlossen zeige. Nachdem der Corona-Aufbaufonds der EU "ungeachtet erheblicher Zweifel die Hürden der Ultra-Vires-Kontrolle soeben noch genommen" habe und vom Bundesverfassungsgericht mitgetragen wurde, sei es in Zukunft schwierig, den eingeschlagenen Pfad wieder zu verlassen. Letztlich habe das BVerfG damals "den Einstieg in eine dauerhafte und grundlegende Veränderung der europäischen Finanzarchitektur ohne die erforderliche primärrechtliche Grundlage hingenommen".

Justizminister Limbach: Christian Wernicke (SZ) portraitiert NRW-Justizminister Benjamin Limbach (Grüne), dem vorgeworfen wird, er habe in das Besetzungsverfahren für den Präsidentenposten am OVG NRW eingegriffen. Limbach sei ein Vollblut-Jurist mit Prädikatsexamen, so Wernicke, aber "als Politiker wirkt er fast anämisch, schwach, ja naiv".

Justiz

OVG Nds – Erdgasförderung: Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) geht mit einer Klage vor dem niedersächsischen Oberverwaltungsgericht gegen die Genehmigung der Erdgasförderung im Wattenmeer vor Borkum vor. Im August hatte das niedersächsische Landesamts für Bergbau, Energie und Geologie einem niederländischen Unternehmen die Förderung für die kommenden 18 Jahre genehmigt. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hatte angekündigt, etwaige Gerichtsentscheidungen abzuwarten. Bevor das Gas gefördert werden kann, muss noch ein völkerrechtliches Abkommen zwischen Deutschland und den Niederlanden unterzeichnet werden. zeit.de und LTO berichten.

EuGH zu Eulex: Auf dem Europarechtsblog Jean Monnet Saar analysiert die wissenschaftliche Mitarbeiterin Annika Blaschke ausführlich das Urteil des EuGH von Mitte September zum Rechtsschutz bei der Eulex-Mission der EU im Kosovo. Es verbessere insgesamt den Grundrechtsschutz im Bereich der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik.

EuGH zu FIFA-Transferregeln/Diarra: Auf FAZ-Einspruch analysiert der Rechtsanwalt Mirko Gleitsmann die Entscheidung des EuGH, wonach die bisherigen FIFA-Transferregeln gegen die Arbeitnehmerfreizügigkeit und das Kartellrecht verstoßen. Möglicherweise würden Vertragsbrüche seitens der Fußballer infolge der Entscheidung künftig lukrativer. Denn bei diesen hätten die Vereine zwar Anspruch auf Schadensersatz, erhielten aber keine hohen Ablösesummen. 

Christian Rath (taz.de) geht davon aus, dass die FIFA zunächst versuchen wird, die Sanktionen für vertragsbrüchige Vereine möglichst wenig abzuschwächen, um das System der Ablösesummen nicht zu gefährden.

BVerfG zu BKA-Gesetz: Die Verbunddatei "Gewalttäter Sport", die beim Bundeskriminalamt geführt wird, wird nach dem Urteil des BVerfG zum BKA-Gesetz reformiert werden müssen. Bislang wurden auch bloße Beschuldigte eines Ermittlungsverfahrens in der Datei abgespeichert. Nach dem Urteil ist dafür aber eine Negativ-Prognose erforderlich, nach der von der Person auch künftig eine Gefahr ausgeht. Auf eine Reform der Datei hatte sich die Ampel eigentlich schon im Koalitionsvertrag geeinigt. netzpolitik.org (Leonhard Pitz) berichtet.

OLG Stuttgart – Umsturzpläne/Reuß: Im Prozess gegen neun Angeklagte des militärischen Arms der Gruppe um Prinz Reuß vor dem Oberlandesgericht Stuttgart hat der 58-jährige Dachdeckermeister Ralf Helmut Sch. ausgesagt. Ihm wird unter anderem der Aufbau einer "Heimatschutzkompanie" für den Tag X vorgeworfen. Er habe diese Truppe aber eher als "technisches Hilfswerk" verstanden, die am Tag X helfe, falls der Strom ausfällt. Die taz (Benno Stieber) berichtet.

LG Berlin I – Stasi-Mord am Tränenpalast: Im Prozess um den Stasi-Mord an dem Polen Czeslaw Kukuczka vor dem Landgericht Berlin I forderte die Staatsanwaltschaft in ihrem Plädoyer eine Freiheitsstrafe von zwölf Jahren für den ehemaligen Stasi-Mitarbeiter Manfred N. Er habe sich 1974 des heimtückischen Mordes schuldig gemacht, indem er Kukucka, der seine Ausreise in den Westen erzwingen wollte, durch einen Schuss in den Rücken getötet habe. Die Verteidigerin forderte einen Freispruch, da die Täterschaft nicht hinreichend belegt sei. Zudem habe es sich bloß um einen inzwischen verjährten Totschlag gehandelt, da sich das Opfer noch in Gefahr gewähnt haben müsse. Es berichtet besonders ausführlich die SZ (Verena Mayer) sowie FAZ (Jörg Thomann) und spiegel.de.

LG Braunschweig – Christian B.: Am heutigen Dienstag wird das Urteil des LG Braunschweig über den Angeklagten Christian B. erwartet. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm drei Vergewaltigungen und sexuellen Missbrauch von Kindern in zwei Fällen vor. Die Verteidigung bezweifelte am Montag die Glaubwürdigkeit der verschiedenen Zeug:innen und forderte einen Freispruch. Weil der Angeklagte im Übrigen im Verdacht steht, für das Verschwinden des dreijährigen englischen Mädchens Maddie McCann verantwortlich zu sein, erregte der Prozess besondere Aufmerksamkeit. FAZ (Kim Maurus) und bild.de (Kai Feldhaus) berichten.

LG Düsseldorf – rechtsextreme Anschlagspläne: Vor dem LG Düsseldorf begann der Prozess gegen den 41 Jahre alten Martin A., der sich während der Coronapandemie radikalisierte und im Internet Anschläge auf Ausländer und Polizisten ankündigte. Die Polizei fand bei ihm Pistolen, Gewehre und viele andere Waffen. Angeklagt ist er wegen Verstößen gegen das Kriegswaffen- und das Sprengstoffgesetz. Es berichtet die FAZ (Reiner Burger).

ArbG Bonn zu Ulrike Guerot: Auf beck-aktuell bespricht die Rechtsanwältin Charlotte Gaschke das Urteil des Arbeitsgerichts Bonn aus dem April zur Kündigung von Ulrike Guerot durch die Universität Bonn. Die Politikwissenschaftlerin hatte in Büchern plagiiert, die sie im Berufungsverfahren der Universität Bonn eingereicht hatte, sich nachträglich aber darauf berufen, es handele sich lediglich um "populärwissenschaftliche Schriften". Das Arbeitsgericht widersprach dieser Einschätzung. Die Bücher seien als wissenschaftliche Leistung anzusehen und müssten daher auch dem Grundsatz der Redlichkeit genügen.

VG Dresden zu AfD im Verfassungsschutzbericht: Der sächsische Verfassungsschutzbericht von 2020 verletzt die sächsische AfD nicht in ihren Rechten. Dies entschied das Dresdner Verwaltungsgericht. Insbesondere die Erwähnung des sogenannten Flügels im Abschnitt Rechtsextremismus sei rechtens gewesen. spiegel.de berichtet.

Recht in der Welt

USA – Kalifornisches KI-Gesetz: In Ermangelung eines Bundesgesetzes zur Regelung von Künstlicher Intelligenz hat Kalifornien mit dem "AB 2013" ein eigenes KI-Gesetz erlassen. Es verpflichtet Entwickler ab 2026 dazu, auf ihrer Website zu dokumentieren, welche Datensätze bei der Entwicklung und Schulung der KI verwendet wurden. Rechtsanwalt Axel Spies stellt das Gesetz auf beck-aktuell vor.

USA – Google Play Store: Ein US-Bezirksrichter in San Francisco hat Google dazu verpflichtet, seinen Play Store für Drittanbieter zu öffnen und deren App Stores in den Google Play Store einzubinden. Er setzt damit ein Jury-Urteil von Ende 2023 um. Die bisherige Regelung, wonach App-Entwickler Gebühren an Google zahlen müssen, war damals für rechtswidrig erklärt worden. zeit.de berichtet.

EGMR/Ungarn – Asyl: Die MPI-Referentin Dana Schmalz analysiert auf dem Verfassungsblog das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte von Mitte September zu einer afghanischen Familie, die von Ungarn unter Drohung und ohne Gelegenheit, einen Asylantrag zu stellen, nach Serbien abgeschoben wurde. Der EGMR stemme sich mit dem Urteil "leise und ohne viel öffentliche Reaktion" gegen die "vollständige Untergrabung rechtlicher Standards im Asyl- und Migrationsrecht".

Juristische Ausbildung

Baurecht: Die ARGE Baurecht des Deutschen Anwaltvereins (DAV) hat ein Mentorenprogramm ins Leben gerufen, in dem der juristische Nachwuchs ab dem ersten Staatsexamen durch erfahrene Baurechtler:innen an das Baurecht herangeführt werden soll. LTO-Karriere (Franziska Kring) hat sich mit einer Mentorin und zwei Mentees darüber unterhalten, welche Erwartungen sie haben und warum das "noch immer sehr männerdominierte" Baurecht sie fasziniert.

Sonstiges

Kündigungen durch den Arbeitgeber: Im Gespräch mit spiegel.de (Florian Gontek) verrät der Rechtsanwalt Alexander Birkhahn verschiedene "Tricks", mit denen Arbeitgeber unliebsamen Arbeitnehmer:innen kündigen können, die unter dem gesetzlichen Kündigungsschutz stehen. So nennt er etwa das Weisungsrecht, "mit dem sich gut spielen lässt". Es gehe darum, "ein Fehlverhalten zu provozieren, Mitarbeitende zu triezen", um auf diese Weise einen Kündigungsgrund zu erhalten.

 

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LTO/pna/chr

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 8. Oktober 2024: . In: Legal Tribune Online, 08.10.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/55577 (abgerufen am: 11.11.2024 )

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