Die juristische Presseschau vom 16. Juli 2024: Kli­ma­schutz­ge­setz aus­ge­fer­tigt / Rechts­ex­t­reme Polizei-Chats nicht strafbar / Ver­fahren gegen Trump ein­ge­s­tellt

16.07.2024

Bundespräsident Steinmeier hat die Änderung des Klimaschutzgesetzes nach langer Prüfung ausgefertigt. Das OLG Frankfurt/M. sieht im Polizei-Chat "Itiotentreff" keine Straftat. In Trumps Dokumentenaffäre wurde das Verfahren eingestellt.

Thema des Tages

Klimaschutz: Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat die Änderungen des Klimaschutzgesetzes ausgefertigt. Nachdem der Bundesrat die Gesetzesänderung Mitte Mai gebilligt hatte, prüfte Steinmeier ungewöhnlich lange, ob sie verfassungskonform ist und ausgefertigt werden kann. Nun hieß es in einer Mitteilung des Bundespräsidenten, er sei zu dem Ergebnis gekommen, "dass evidente Verfassungswidrigkeit nicht gegeben ist". Der Zeitpunkt der Ausfertigung ist relevant: Am gestrigen Montag wurden nach dem bisherigen Inhalt des Gesetzes Klimaschutz-Sofortprogramme in den Sektoren Verkehr und Gebäude fällig. Diese Pflicht wird nach dem neuen Klimaschutzgesetz entfallen. Es kann nun in Kraft treten, sobald es im Bundesgesetzblatt verkündet ist. Deutsche Umwelthilfe, BUND und Greenpeace sowie Klima-Aktivist:innen haben bereits Verfassungsbeschwerden gegen die Änderung des bisher geltenden Klimaschutzgesetzes angekündigt. Es berichten SZ (Robert Roßmann)taz.de (Susanne Schwarz) und beck-aktuell. Die taz (Nick Reimer) stellt dar, dass weder das Bundesverkehrsministerium noch das Bundesbauministerium bis Montag ein Sofortprogramm vorlegten, obwohl das alte Klimaschutzgesetz bislang noch gelte.

Rechtspolitik

Familiengerichtsverfahren: Justizminister Marco Buschmann (FDP) will Opfer von familiärer Gewalt im Rahmen von Familiengerichtsverfahren besser schützen. Ein Referentenentwurf, der der SZ (Valerie Höhne) vorliegt, sieht die Einführung eines Wahlgerichtsstands vor. Auch sollen Gerichte in Gewaltfällen nicht länger auf ein Einvernehmen der Eltern hinwirken.

Ehegattensplitting: Anlässlich der erneuten Forderung von Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne), das Ehegattensplitting abzuschaffen, spricht sich Reinhard Müller (FAZ) für diese Regelung aus, die "dem Schutz der Eheleute und ihrer Freiheit, ihr Leben zu gestalten" diene. Das Grundgesetz stelle Ehe und Familie aus gutem Grund unter den besonderen Schutz der staatlichen Ordnung.

Geschlechtliche Selbstbestimmung: Die Welt (Matthias Heine) wirft im Feuilleton die Frage auf, ob das Selbstbestimmungsgesetz, das am 1. August in Kraft tritt, auch das "Misgendern" zu einer Ordnungswidrigkeit erklärt. Als solches wird die Bezeichnung einer Person mit einem Pronomen bezeichnet, das nicht ihrer Geschlechtsidentität entspricht. Nach dem neuen Gesetz handelt ordnungswidrig, wer gegen das Offenbarungsverbot verstößt, wer also nach einer Änderung des Geschlechtseintrags die früher eingetragenen Vornamen ohne Zustimmung offenbart oder ausforscht. Die Bundesregierung stellte auf Anfrage allerdings klar, dass ein Misgendern grundsätzlich nicht unter das Offenbarungsverbot falle.

Justiz

OLG Frankfurt/M. zu "Itiotentreff": Die rassistischen und menschenverachtenden Nachrichten, die mehrere Frankfurter Polizist:innen über Monate in der Whatsapp-Gruppe "Itiotentreff" austauschten, stellen keine Straftat dar. Dies entschied das Oberlandesgericht Frankfurt/M., das den Nichtannahmebeschluss des Landgerichts Frankfurt/M. bestätigte. Der Nachrichtenversand in der privaten Gruppe stelle kein "Verbreiten" dar und sei damit weder als Volksverhetzung noch als Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen strafbar. Neben der geringen Zahl von weniger als zehn Gruppenmitgliedern zog das OLG auch den Gruppennamen heran, der zeige, dass die eingestellten Nachrichten die Chatmitglieder 'belustigen' sollten. Dienstrechtliche Konsequenzen werden nun geprüft. Es berichten FAZ (Timo Steppat), spiegel.de, zeit.de und beck-aktuellLTO (Max Kolter) geht zudem auf den Gesetzentwurf des Bundesrates ein, nach dem Äußerungen von Amtsträger:innen in entsprechenden Gruppen künftig unter Strafe stehen sollen, wenn sie geeignet sind, das Vertrauen der Allgemeinheit in rechtsstaatliches Handeln in Frage zu stellen.

BVerfG – Restschuldversicherung: Die Regelung des 2023 vom Bundestag beschlossenen Zukunftsfinanzierungsgesetzes, wonach Restschuldversicherungen erst sieben Tage nach dem Abschluss eines Darlehensvertrages abgeschlossen werden dürfen, ist aus Sicht der Versicherungsbranche europarechtswidrig. 22 Banken und Versicherungen haben eine Verfassungsbeschwerde gegen die Regelung angekündigt, weil die siebentägige "Cooling-off-Phase" einem Verkaufsverbot gleichkomme. Die Regelung soll verhindern, dass Banken die Vergabe von Krediten von einem teuren Versicherungsabschluss abhängig machen. SZ (Jonas Tauber) und FAZ (Archibald Preuschat) berichten.

BGH zu Rechtswegverweisung: Der Bundesgerichtshof hat im April entschieden, dass eine Verweisung nach § 17a GVG auch bei rechtlich zweifelhaftem Vorgehen des verweisenden Gerichts bindend ist. Nur im Falle eines extremen Rechtsverstoßes könne die Bindungswirkung entfallen. Im vorliegenden Fall hatte ein AG einen Prozess ans ArbG verwiesen, nachdem es einen Termin anberaumt und in diesem ein Versäumnisurteil erlassen hatte. Hier wurde die Verweisung bindend, nachdem sie von den Parteien nicht angegriffen worden war. Es berichtet beck-aktuell.

BGH zu Sozialleistungsbetrug: Der BGH hat Mitte Mai die Verurteilung von zwei Brüdern wegen Sozialleistungsbetrug bestätigt, die zusammen mit ihren Eltern von 2014 bis 2021 etwa 407.000 Euro Sozialleistungen bezogen, ohne dass die Voraussetzungen vorlagen. Ein dritter Bruder, der Eigentümer einer mit den Geldern gekauften Immobilie ist, hatte mit seiner Revision Erfolg. Bei der Entscheidung zum Strafausspruch und zur Einziehung hätte das Landgericht erörtern müssen, ob Jugendstrafrecht anwendbar war, so der BGH. beck-aktuell berichtet.

BFH zu Besteuerung von Termingeschäften: Der Bundesfinanzhof hält die 2020 erfolgte Neuregelung der Besteuerung von Termingeschäften für verfassungswidrig. Nach summarischer Prüfung sei sie nicht mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar. Nach der Reform werden Verluste bei Termingeschäften nur bis zu einer Höhe von 20.000 Euro pro Steuerjahr in der Steuerberechnung berücksichtigt. Die FAZ (Martin Hock) berichtet.

Martin Hock (FAZ) wünscht sich nach der klaren BFH-Entscheidung, dass die Parteien das Gesetz reformieren und nicht darauf warten, ob auch das BVerfG die Regelung für verfassungswidrig hält. "Um Murks zu beseitigen, sollte es nicht erst eines Urteils bedürfen."

OLG Frankfurt/M. – Folter in Syrien: Im Verfahren gegen den syrischen Arzt Alaa M. vor dem Oberlandesgericht Frankfurt/M. hat ein wichtiger Zeuge ausgesagt, der 2011 gemeinsam mit dem Angeklagten im Militärkrankenhaus in Homs arbeitete, wo der Angeklagte Kritiker des Assad-Regimes gefoltert und getötet haben soll. Der Zeuge, der aus Angst vor Übergriffen verkleidet vor Gericht erschien, sprach von "organisierter Folter" und gab an, den Angeklagten dabei gesehen zu haben, wie er Patienten mit einem Urinkatheter verprügelte. Es berichtet spiegel.de (Julia Jüttner).

LAG Köln zu verspäteter Zielvorgabe: Ein Arbeitnehmer, der im Arbeitsvertrag eine jährliche Bonuszahlung vereinbart hatte, kann Schadensersatz in Höhe von 100 Prozent des Bonus verlangen, weil ihm der Arbeitgeber erst im September die Zielvorgaben mitteilte. Die Zielerreichung sei durch die späte Mitteilung nicht mehr möglich gewesen, argumentierte das Landesarbeitsgericht Köln. Im Expertenforum Arbeitsrecht stellt die Anwältin Merle Templin das Urteil aus dem Februar vor.

AG Düsseldorf zu Strafvereitelung durch Staatsanwältin: Das Düsseldorfer Amtsgericht hat eine Mitarbeiterin der Staatsanwaltschaft, die monatelang Akten versteckt und eigenmächtig Fristen verlängert hatte, wegen Strafvereitelung und Verwahrungsbruch zu einer Geldstrafe von 140 Tagessätzen verurteilt. In der Verhandlung berichtete die Angeklagte von ihrer erheblichen Überforderung angesichts des Arbeitsaufkommens. LTO (Tanja Podolski) berichtet.

AG Neumünster – Diskriminierung durch Hotel: Die Geschäftsführerin der Sinti Union Schleswig-Holstein klagt vor dem AG Neumünster gegen einen Hotelier, der ihr eine Zimmerbuchung aufgrund ihres Nachnamens versagte. Wie bei der mündlichen Verhandlung bekannt wurde, stand dieser nach angeblich schlechten Erfahrungen "mit der Familie Laubinger" auf einer internen roten Liste. Die taz-nord (Esther Geisslinger) berichtet.

Recht in der Welt

USA – Trump/Dokumente: Das Verfahren gegen Donald Trump wegen Verstößen gegen das Spionagegesetz wurde eingestellt. Die Mitnahme geheimer Regierungsdokumente in sein Privatanwesen könnte für Trump damit folgenlos bleiben. Richterin Aileen Cannon, die einst von Trump ernannt wurde, begründete den Schritt mit Zweifeln an der rechtmäßigen Ernennung des Sonderermittlers. In einer ungewöhnlichen Stellungnahme im Rahmen des Immunitätsurteils zu Trump hatte schon der Supreme Court-Richter Clarence Thomas dieses Argument, das von Trumps Team vorgebracht worden war, aufgegriffen. Es wird von verschiedenen Experten zurückgewiesen. Eine Berufung ist möglich. Es berichten FAZ (Majid Sattar), LTO, spiegel.de, zeit.de und bild.de. Detlef Georgia Schulze (taz-blogs) sieht nach der Entscheidung die Möglichkeit, den rechtlichen Bedenken der Richterin Rechnung zu tragen und dann erneut Anklage zu erheben.

Finnland – Pushbacks: Das finnische Parlament hat am Freitag ein Gesetz verabschiedet, wonach Asylbewerber:innen an der Grenze kategorisch abgewiesen und zurückgedrängt werden können. Federführend war Innenministerin Mari Rantanen, die der rechtspopulistischen Partei der Wahren Finnen angehört. Vor der Abstimmung hatte der Verfassungsausschuss des Parlaments das Gesetz als rechtmäßig eingestuft, obwohl alle 18 befragten Jurist:innen sich gegen das Gesetz ausgesprochen hatten. Da die Regelung wohl unter anderem gegen die EU-Grundrechte-Charta und die Europäische Menschenrechtskonvention verstößt, könnte ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Finnland Erfolg haben. SZ (Alex Rühle) und bild.de berichten.

Österreich – Einflussnahme auf Justiz: Eine Untersuchungskommission in Österreich bestätigt in ihrem Abschlussbericht, dass es seitens der ÖVP, aber auch anderer Parteien, zwischen 2010 und 2023 immer wieder Versuche der politischen Einflussnahme auf die Justiz gab. Unter anderem bei der Inseraten-Affäre habe es eine "Zwei-Klassen-Justiz" gegeben, die abhängig von der Prominenz des Verdächtigen arbeitete. beck-aktuell berichtet.

Georgien – "ausländische Agenten"-Gesetz: Die georgische Präsidentin Salome Surabischwili hat angekündigt, Klage beim Verfassungsgericht gegen das Agentengesetz zu erheben. Sie beruft sich auf eine Klausel in der georgischen Verfassung, wonach die Regierung verpflichtet ist, alle möglichen Anstrengungen zu unternehmen, um der Europäischen Union und der Nato beizutreten. zeit.de und spiegel.de berichten.

Sonstiges

Vertrauen in die Justiz unter Jüd:innen: Wie eine Studie von Forschenden der Polizeiakademien Hamburgs und Niedersachsens zeigt, ist das Vertrauen in Polizei und Justiz unter Jüdinnen und Juden teils gering. Nur zehn Prozent der befragten 548 Jüdinnen und Juden in Hamburg gaben an, die schlimmste antisemitische Tat, die sie erlebten, der Polizei gemeldet zu haben. Auch der Anteil der gestellten Anzeigen ist gering. Die FAZ (Julian Staib) berichtet.

Plagiatssoftware: Um wissenschaftliche Arbeiten auf Plagiate zu untersuchen, dürfen Universitäten grundsätzlich auf entsprechende Software von externen Unternehmen zurückgreifen und in diesem Rahmen auch die Daten an diese übermitteln. Wie der aktuelle Datenschutzbericht für Nordrhein-Westfalen festhält, müssen die Daten allerdings anonymisiert werden – auch die Matrikelnummer darf nicht übermittelt werden. Der Bericht gibt insofern einer betroffenen Person Recht, die bei der Landesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit Beschwerde erhoben hatte. LTO berichtet.

Grenzkontrollen: Die FAZ (Thomas Gutschker/Mona Jaeger) erörtert, inwiefern der Schengener Grenzkodex erlaubt, die EM-bezogenen Kontrollen an den Binnengrenzen fortzuführen. Dieser erlaube Grenzkontrollen unter anderem, wenn „internationale Veranstaltungen großen Umfangs oder mit hoher Öffentlichkeitswirkung“ durchgeführt würden. Nachdem die EM und die Olympischen Spiele beendet seien, falle der Grund für die Maßnahmen aber weg. Die Kontrollen an den Grenzen zu Österreich, der Schweiz, Polen und der Tschechischen Republik seien dagegen auf irreguläre Migration gestützt und könnten daher fortlaufen.

El Hotzo-Tweet zu Trump: Ein inzwischen wieder gelöschter Post des Satirikers Sebastian Hotz ("El Hotzo") zum Mordversuch an Donald Trump sorgt für Diskussionen. Hotz fragte in einem X-Post nach einer Gemeinsamkeit zwischen dem letzten Bus und Donald Trump und antwortete: "beide knapp verpasst". 15 Minuten später folgte das Statement "Ich finde es absolut fantastisch, wenn Faschisten sterben". Wie Michael Hanfeld (FAZ), spiegel.de und bild.de berichten, geht Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki (FDP) davon aus, "dass die Staatsanwaltschaft sich mit diesem Tweet beschäftigen wird." Die öffentliche Billigung von schweren Straftaten sei nach § 140 StGB strafbar.

 

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LTO/pna/chr

(Hinweis für Journalist:innen) 

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 16. Juli 2024: Klimaschutzgesetz ausgefertigt / Rechtsextreme Polizei-Chats nicht strafbar / Verfahren gegen Trump eingestellt . In: Legal Tribune Online, 16.07.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/55005/ (abgerufen am: 16.07.2024 )

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