In Genf fand die periodische Prüfung der deutschen Menschenrechtslage statt. Die Herbsttagung der Justizministerkonferenz beginnt in Berlin. Türkische Gerichte missachten eine Anordnung des türkischen Verfassungsgerichts.
Thema des Tages
Menschenrechte in Deutschland: Der UN-Menschenrechtsrat prüfte zum vierten Mal seit 2007 die Lage der Menschenrechte in Deutschland. Grundlage war ein Bericht der Bundesregierung. In der Genfer Sitzung konnten sich die im Menschenrechtsrat vertretenen UN-Mitgliedstaaten jeweils 55 Sekunden zur Menschenrechtslage in Deutschland äußern. Unter anderem müsse Deutschland den erstarkenden (auch institutionellen) Rassismus, rassistische Diskriminierung und Gewalt stärker bekämpfen. Zudem müsse der Schutz vor häuslicher Gewalt verbessert und die Istanbul-Konvention vollständig umgesetzt werden. Neben dem Umgang mit Asylsuchenden standen auch die Verbote pro-palästinensischer Demonstrationen in der Kritik. Luise Amtsberg (Grüne), die Regierungsbeauftragte für Menschenrechtspolitik, wies darauf hin, dass einige der Punkte schon im Koalitionsvertrag enthalten seien. Die per Los bestimmten Staaten Luxemburg, Senegal und Qatar werden die zahlreichen Empfehlungen der Staaten nun in einem Bericht zusammenfassen und diesen in der kommenden Woche der Bundesregierung überreichen. Es berichten FAZ (Johannes Ritter), LTO (Hasso Suliak), tagesschau.de (Sandra Biegger) und zeit.de.
Rechtspolitik
JuMiKo: An diesem Freitag beginnt die Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister der Länder in Berlin. Dabei soll es insbesondere um den Kampf gegen Verfassungsfeind:innen in der Justiz gehen, um Jugendgewalt, Hass im Netz und die Nutzung künstlicher Intelligenz für kriminelle Zwecke. Die Minister:innen wollen eine Resolution gegen Antisemitismus beschließen. Bayern will die Sympathiewerbung für Terrorgruppen wieder in § 129a unter Strafe stellen. Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) ließ bereits vorab erkennen, dass er im Kampf gegen islamistische Gruppen keine neuen Gesetze für nötig halte, sondern die Verantwortung bei den Ländern in einer konsequenteren Durchsetzung bestehender Regelungen sehe. Die SZ (Constanze von Bullion) berichtet.
JuMiKo – Externes Weisungsrecht: Anlässlich der JuMiKo fordert der Deutsche Richterbund (DRB) die Minister:innen auf, das externe Weisungsrecht zu Ermittlungen der Staatsanwaltschaften endlich abzuschaffen. Zwar ist im Koalitionsvertrag eine Gesetzesänderung angekündigt, so LTO. Ein vom Justizministerium vorgelegter Referentenentwurf zur Einschränkung des Weisungsrechts der Justizminister:innen gegenüber der Staatsanwaltschaft wurde jedoch bisher nicht weiter verfolgt. Der DRB warnt indes, dass es gerade in Zeiten des Erstarkens rechtspopulistischer Parteien "keine Einfallstore für einen politischen Missbrauch der Strafverfolgung geben" dürfe.
Seenotrettung: Nun schildert auch Rechtsanwalt David Werdermann auf dem Verfassungsblog vertieft den Plan der Bundesregierung, im Rückführungsverbesserungsgesetz die Seenotrettung zu kriminalisieren.
Justiz
EuGH zur Bekämpfung rechtswidriger Inhalte im Netz: Ein EU-Mitgliedstaat darf Online-Plattformen, die ihre Niederlassung in einem anderen Mitgliedstaat haben, keine "generell-abstrakten Verpflichtungen" auferlegen. Das entschied der Europäische Gerichtshof (EuGH) auf ein Vorabentscheidungsersuchen des österreichischen Verwaltungsgerichtshofs (VGH) und erklärte das österreichische Kommunikationsplattformgesetz für unionsrechtswidrig. Andere Mitgliedstaaten als der Herkunftsmitgliedstaat des Online-Dienstes dürfen nur solche Maßnahmen ergreifen, die nötig sind, um die öffentliche Sicherheit und Ordnung, den Schutz der öffentlichen Gesundheit oder den der Verbraucher:innen im eigenen Land zu gewährleisten. Generell-abstrakte Maßnahmen, die unterschiedslos für alle Anbieter einer Kategorie von Diensten gelten, seien hingegen unzulässig. Ansonsten würde der in der Richtlinie über Dienste der Informationsgesellschaft niedergelegten "Grundsatz der Aufsicht im Herkunftsmitgliedstaat" konterkariert. Dem Ersuchen lag ein Rechtsstreit zwischen Google Ireland, Meta Platforms Ireland und TikTok mit einer österreichischen Verwaltungsbehörde zugrunde. FAZ und LTO berichten.
EuGH zu Auslieferung nach Polen: Vollstreckungsbehörden eines Mitgliedstaates müssen Strafurteile aus anderen Mitgliedstaaten nicht anerkennen, wenn begründete Zweifel an der Unabhängigkeit der dortigen Gerichte bestehen, so der Europäische Gerichtshof. Wie die FAZ meldet, hatte ein Stettiner Gericht die Staatsanwaltschaft Aachen ersucht, eine Haftstrafe gegen einen in Deutschland lebenden Polen zu vollstrecken. Das Landgericht Aachen verweigerte jedoch zunächst seine Zustimmung und legte die Sache dem EuGH vor.
EuGH zu GenX-Chemikalien: Die den sog. "ewigen Chemikalien" angehörenden GenX-Chemikalien bleiben auf der Liste der besonders besorgniserregenden Stoffe, entschied der EuGH. Er bestätigte damit eine Entscheidung des Europäischen Gerichts (EuG) und lehnte eine Klage des Herstellers, des US-Konzerns Chemours, ab. Wie die taz (Christian Rath) schreibt, sind die Stoffe aufgrund der Listung Gegenstand eines besonderen Zulassungsverfahren und können ggf. verboten werden.
BVerfG - Bundestagswahlrecht 2020: Das Bundesverfassungsgericht hat angekündigt, am 29. November seine Entscheidung zur Verfassungskonformität der Wahlrechtsreform aus dem Jahr 2020 zu verkünden. Die abstrakte Normenkontrolle hatten 216 Abgeordnete der Bundestagsfraktionen von Grünen, Linken und FDP eingelegt. Sie bemängeln insbesondere, dass das in Art. 1 Nr. 3 bis 5 des 25. Gesetzes zur Änderung des Bundeswahlgesetzes näher geregelte neue Sitzverteilungsverfahren zu kompliziert und für Wählende schwer nachvollziehbar sei. LTO berichtet.
BVerfG zu Wiederaufnahme: Rechtsprofessor Michael Kubiciel lobt auf beck-aktuell das Urteil zu § 361 Nr. 5 StPO aus der vergangenen Woche. Die BVerfG-Mehrheit habe sich mit allen Argumenten auseinandergesetzt und in einer bisherigen Streitfrage stringent geurteilt. Wie das BVerfG-Minderheitsvotum bezweifelt auch der Autor, dass die Lösung der Mehrheit zwingend war.
BGH zu Olearius-Tagebücher: Der Bundesgerichtshof hat eine Anhörungsrüge des in den Cum-Ex-Skandal verwickelten Hamburger Bankiers, Christian Olearius, als unbegründet zurückgewiesen. Olearius sei durch ein BGH-Urteil vom 16. Mai diesen Jahres nicht in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 Grundgesetz (GG) verletzt worden. Der BGH hatte damals geurteilt, dass die Süddeutsche Zeitung aufgrund des überragenden Informationsinteresses der Öffentlichkeit wörtlich aus Olearius‘ Tagebüchern zitieren durfte. Entgegen seiner Rüge sei dem Banker im Verfahren ausreichend Möglichkeit zur Stellungnahme gegeben worden. LTO berichtet.
BVerwG zu Auskunft über BND-Hintergrundgespräche: Der Bundesnachrichtendienst muss einem Journalisten Auskunft über Hintergrundgespräche mit Medienvertreter:innen geben. Das entschied das Bundesverwaltungsgericht auf die Klage des Journalisten. Dieser hatte vom BND Auskunft darüber verlangt, welche fünf Medien in den Jahren 2019 und 2020 die meisten Einzeltermine beim BND hatten, wie viele vertrauliche Gespräche und wie viele davon mit Vertreter:innen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks geführt wurden. Auf Grundlage des verfassungsunmittelbaren Auskunftsanspruchs der Presse stünden dem Journalisten die begehrten Auskünfte zu, so die Leipziger Richter:innen. spiegel.de berichtet.
OLG Koblenz – Umsturzpläne/Vereinte Patrioten: In einer Seite-Drei-Reportage gibt die SZ (Gianna Niewel/Annette Ramelsberger) ausführliche Einblicke in den Prozess gegen fünf Mitglieder der rechtsterroristischen Vereinigung "Vereinte Patrioten". Die einzelnen Angeklagten werden charakterisiert, ihre bisherigen Aussagen zusammengefasst. Ihnen wird vorgeworfen, geplant zu haben, in einem Staatsstreich die Bundesregierung zu stürzen, Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) zu entführen und einen mehrwöchigen bundesweiten Stromausfall herbeizuführen.
VG Köln zu Helikopter-Flug von Lambrecht-Sohn: Das Verteidigungsministerium ist verpflichtet, weitere Unterlagen zu einem umstrittenen Hubschrauberflug der früheren Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD), bei dem auch ihr Sohn mitflog, herauszugeben. Das entschied das Verwaltungsgericht Köln in zwei Urteilen und gab den klagenden Journalist:innen damit teilweise Recht. Danach hat das Ministerium Unterlagen zum Programm des entsprechenden Truppenbesuchs, Berechnungen der Flugbereitschaft und Dienstvorschriften der Bundeswehr zur Nutzung von Luftfahrzeugen zugänglich zu machen. Die taz und LTO berichten.
LG Stuttgart – Tötungen in Mercedes-Fabrik: Vor dem Landgericht Stuttgart hat der Prozess gegen den 53-jährigen Murat D. begonnen. Er räumt ein, zwei Vorgesetzte eines Subunternehmens im Mercedes-Werk Sindelfingen bei einer Auseinandersetzung erschossen zu haben. Zentrales Thema beim Prozessauftakt war das Motiv der Tat. Murat D. ist laut eigener Darstellung Gegner des türkischen Regimes und wird in der Türkei verfolgt, weil er der Gülen-Bewegung zugerechnet wird. Er sei durchgedreht, als er sich von seinem türkischen Vorgesetzten gekündigt fühlte, weil er dadurch sein Aufenthaltsrecht in Deutschland bedroht sah. Zum genauen Tathergang habe er einen Blackout. Die SZ (Max Ferstl), FAZ (Rüdiger Soldt) und spiegel.de berichten.
LG München I - Ex-Wirecard-Chef Braun: Die SZ (Stephan Radomsky) konnte erstmals den Beschluss des Landgerichts München I aus dem Spätsommer lesen, in dem die U-Haft des Hauptangeklagten Markus Braun verlängert wurde. Eine große Rolle habe dabei eine bislang unbekannte Stiftung Brauns mit einem Vermögenswert von 45 Millionen Euro gespielt. Das bisher nicht sichergestellte Vermögen, das vermutlich in der Schweiz liege, erhöhe die Fluchtgefahr.
AG München zu Billigung des Hamas-Terrors: Nun berichtet auch LTO, dass das Amtsgericht München abgelehnt hat, über die Anklage gegen einen deutschen Islamisten, der die Angriffe von Hamas auf Israel gebilligt haben soll, im beschleunigten Verfahren zu entscheiden.
Recht in der Welt
Türkei – Missachtung des Verfassungsgerichts: Das oberste türkische Berufungsgericht für Strafsachen erkennt ein Urteil des türkischen Verfassungsgerichts nicht an und hat den Generalstaatsanwalt angewiesen, Ermittlungen gegen Mitglieder des Verfassungsgerichts aufzunehmen. Mit dem Urteil in der Sache des sich in Haft befindenden linken Abgeordneten Can Atalay hätten die Verfassungsrichter ihre Befugnisse überschritten. Das Verfassungsgericht hatte Ende Oktober entschieden, dass Atalays Rechte als gewählter Abgeordneter unrechtmäßig beschnitten worden seien und die Strafkammer angewiesen, Atalay sofort freizulassen. Wie die taz (Jürgen Gottschlich) erläutert, sind die Verfassungsrichter eine der letzten Instanzen, die einem Umbau des Staates in Präsident Erdoğans Sinne noch im Weg stehen.
Sonstiges
AfD-Parteiverbot: In der SZ erläutert Rechtsprofessorin Michaela Hailbronner, welche Voraussetzungen für ein Verbot der AfD erfüllt sein müssten und welche Konsequenzen ein solches Verbot haben könnte. Sie legt dar, dass jedenfalls ein Teil der AfD-Mitglieder verfassungsfeindliche Ziele iSd. Art. 21 Abs. 2 des Grundgesetzes vertreten. Fraglich sei aber, inwiefern Äußerungen einzelner Mitglieder der Partei zugerechnet werden können. Denn laut Bundesverfassungsgericht kommt es für die Beurteilung einer Partei als verfassungswidrig neben dem Inhalt des Parteiprogramms auch auf Äußerungen und Handlungen der Parteiführung und leitender Funktionär:innen an.
ReNos: Auf LTO-Karriere erläutert Simon Weber, Rechtsanwalts- und Notarfachangestellter sowie Jurastudent, die vielfältigen und vor allem verantwortungsvollen Tätigkeiten von Rechtsanwalts- und Notarfachangestellten (ReNos) in Anwältskanzleien und Notariaten. Das Berufsbild habe sich in den letzten Jahrzehnten stark gewandelt. Zudem erklärt der Autor den Aufbau und Ablauf der Ausbildung. Wie in vielen Branchen herrsche auch hier starker Fachkräftemangel.
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Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.
LTO/ali/chr
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Die juristische Presseschau vom 10. November 2023: . In: Legal Tribune Online, 10.11.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/53125 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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