In einem Migrationspaket II will die Bundesregierung Abschiebungen und Ausweisungen ausweiten und zugleich Arbeitsverbote für Asylbewerber:innen lockern. In Frankreich sollen Volksabstimmungen erleichtert werden.
Thema des Tages
Migration: Innenministerin Nancy Faeser (SPD) hat einen Gesetzentwurf für ein Rückführungsverbesserungsgesetz vorgelegt, mit dem Abschiebungen erleichtert, Ausweisungen ausgeweitet und Ausländerbehörden entlastet werden sollen. So soll die Höchstdauer des Ausreisegewahrsams von zehn auf 28 Tage verlängert werden, damit die Behörden mehr Zeit haben, eine Abschiebung vorzubereiten. Abschiebungen sollen auch nach einjähriger Duldung in der Regel nicht mehr angekündigt werden. Durchsuchungen sollen auch zur Identitätsfeststellung möglich werden. Bei Verurteilungen ab einem Jahr Freiheitsstrafe soll das Ausweisungsinteresse besondes schwer wiegen. Mitglieder krimineller Vereinigungen sollen auch ohne strafrechtliche Verurteilung ausgewiesen werden können. Aufenthaltsgestattungen sollen sechs Monate (statt drei Monate) gelten. Die Aufenthaltserlaubnis von subsidiär Schutzberechtigten soll von einem Jahr auf drei Jahre verlängert werden. Es berichtet u.a. LTO.
Asyl/Arbeitsverbote und Arbeitspflicht: In einem weiteren Gesetzentwurf, den Innenministerin Nancy Faeser (SPD) an Länder und Verbände verschickt hat und der auch zum Migrationspaket II gehört, sollen Arbeitsverbote für Asylantragsteller:innen gelockert werden. Bisher dürfen Asylbewerber:innen drei Monate lang ab Ankunft nicht erwerbstätig sein. Danach dürfen nur diejenigen arbeiten, die nicht in einer Erstaufnahmeeinrichtung leben. Erst nach neun Monaten dürfen grundsätzlich auch diese Asylbewerber:innen arbeiten. Diese Wartefrist will die Bundesregierung auf sechs Monate reduzieren. Arbeitsverbote sollen bestehen bleiben für Antragssteller:innen aus sicheren Herkunftsstaaten und für Personen, die Behörden bei der Klärung ihrer Identität mutwillig getäuscht haben oder bereits rechtskräftig abgelehnt sind. Niedersachsen schlägt darüber hinaus eine Arbeitspflicht für Asylbewerber:innen vor, was aber wohl gegen das Verbot der Zwangsarbeit in Art. 12 Abs. 2 GG verstößt. Die SZ (Constanze von Bullion/Wolfgang Janisch u.a) berichtet.
Asyl/Sachleistungen: Die Doktorandin Rosa-Lena Lauterbach kritisiert auf dem Verfassungsblog die Diskussion über die Umstellung von Sozialleistungen an Asyl-Antragsteller:innen von Geld- auf Sachleistungen. Diese Forderung gehe von falschen Narrativen aus und belaste die Kommunen zusätzlich. Eine vollständige Umstellung auf Sachleistungen sei verfassungsrechtlich kaum machbar.
Rechtspolitik
Parteinahe Stiftungen: Nun berichten auch FAZ (Marlene Grunert), LTO (Christian Rath) und zdf.de (Samuel Kirsch) über den gemeinsamen Gesetzentwurf von SPD, Grünen, SPD und CDU/CSU zur Finanzierung parteinaher Stiftungen. Danach sollen parteinahe Stiftungen erst finanziert werden, wenn die nahestehende Partei zum dritten Mal in Fraktionsstärke in den Bundestag gewählt wurde. Außerdem werden verfassungsrechtliche Mindestanforderungen an solche Stiftungen definiert. Entscheiden soll das Bundesinnenministerium.
Geldwäsche: Zum Jahresbeginn 2024 soll ein neues Bundesamt zur Bekämpfung von Finanzkriminalität (BBF) geschaffen werden. Dies sieht der Gesetzentwurf für ein Finanzkriminalitätsbekämpfungsgesetz (FKBG) vor, den das Bundeskabinett beschlossen hat. beck-aktuell berichtet. Die taz (Kai Schöneberg) schildert zudem die Kritik der NGO Finanzwende. Dem neuen Amt fehlten Zuständigkeiten, Befugnisse und Ressourcen.
Cannabis: Die am Freitag vorgesehene erste Lesung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung für ein Cannabisgesetz wurde abgesetzt. Die Ampel-Koalition begründete dies mit der weltpolitischen Lage (Angriff auf Israel). LTO (Hasso Suliak) berichtet ausführlich über den Vorgang.
Vorratsdatenspeicherung: Der Rechtsausschuss des Bundestags führte eine Anhörung über den Antrag der CDU/CSU durch, eine Vorratsdatenspeicherung für IP-Adressen einzuführen. Die von CDU/CSU und von der SPD geladenen Expert:innen befürworteten den Vorschlag. netzpolitik.org (Leonhard Pitz) berichtet ausführlich.
Schwangerschaftsabbruch: Die Evangelische Kirche (EKD) hat sich für eine teilweise Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs ausgesprochen. Es sei denkbar, den Abbruch in den ersten zwölf Wochen einer Schwangerschaft außerhalb des Strafrechts zu regeln. Die Pflichtberatung soll aber bestehen bleiben. Es berichtet die FAZ (Reinhard Bingener).
Daniel Deckers (FAZ) kritisiert diese Neupositionierung der EKD: sie habe "sich zum ethisch-politischen Steigbügelhalter derjenigen Kräfte in der Ampelregierung gemacht, die es nicht mehr für die Aufgabe des Staates halten, den Schutz des ungeborenen Lebens in bewährter Weise auch mithilfe des Strafrechts zu sichern."
Embryonen: Auf Einladung des Bundesforschungsministeriums und der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina wurde bei einer Tagung über Eckpunkte für eine Gesetzesinitiative diskutiert, die im Umgang mit Embryonen eine "Kultur der Erlaubnis statt einer Kultur des Verbots" und "eine Kultur der Dynamik statt einer Kultur der Lethargie" einführen will. Es geht dabei insbesondere um die Frage, ob die inzwischen rund 50.000 eingefrorenen Embryonen, die bei künstlichen Befruchtungen übrig blieben, künftig für Forschungszwecke genutzt werden können. Die FAZ (Joachim Müller-Jung) berichtet im Feuilleton.
Justiz
BGH zu defekter Erntemaschine: Der Halter einer Traubenvollerntemaschine haftet nicht aus § 7 Straßenverkehrsgesetz (StVG) dafür, dass aufgrund eines Lecks in der Dieselleitung alle geernteten Trauben eines Weinguts kontaminiert waren. Dies entschied jetzt der Bundesgerichtshof und korrigierte das OLG Karlsruhe als Vorinstanz. Wenn ein Fahrzeug als Arbeitsgerät eingesetzt wird, greife nicht die Haftung für die Betriebsgefahr gem. § 7 StVG. Das Risiko, das sich hier verwirklicht habe, falle nicht in den Schutzbereich des § 7 StVG. beck-aktuell berichtet.
VG Schleswig zu Vorsitzendenposten am OVG Schleswig: Das Verwaltungsgericht Schleswig hat dem Land Schleswig-Holstein vorerst untersagt, die beiden freien Vorsitzendenstellen am OVG Schleswig mit den vom Richterwahlausschuss ausgewählten Richtern zu besetzen. U.a. wurde moniert, dass die vom Ausschuss praktizierte Verbundwahl für mehrere Posten dem Prinzip der Bestenauslese widersprechen könne. beck-aktuell berichtet.
VG Berlin – Auskunftsanspruch/Cum-Ex-U-Ausschuss Bundestag: Ein bisher geheimes Gutachten des Bundeskanzleramts kam zum Ergebnis, dass einzelne der 19 Fragen der CDU/CSU zur Cum-Ex-Aufklärung in Hamburg ein tauglicher Gegenstand für einen Untersuchungsausschuss des Bundestags hätten sein können. Dies teilte die Bundesregierung dem Tagesspiegel mit, nachdem dieser eine Auskunftsklage beim VG Berlin gestellt hat. Das Gutachten sei vom zuständigen Fachreferat des Kanzleramts selbständig erstellt und nicht von der Hausleitung in Auftrag gegeben worden. Der Tsp (Jost Müller-Neuhof) berichtet.
LG Berlin zu "Pedo Hunters": Das Landgericht Berlin hat zwei Männer wegen besonders schwerer räuberischer Erpressung zu Freiheitsstrafen von je rund sieben Jahren verurteilt. Sie hatten sich im Internet als 14-jähriges Mädchen ausgegeben und zwei Männer, die sich mit dem vermeintlichen Mädchen treffen wollten, misshandelt und erpresst. spiegel.de (Wiebke Ramm) berichtet.
LG Berlin zu Reichelt vs. Schulze: Max Kolter (LTO) kritisiert die "teilweise haarsträubende" Begründung des Landgerichts Berlin, das vorige Woche einen Tweet des nius-Journalisten Julian Reichelt als Meinungsäußerung wertete. Der Tweet "Deutschland zahlte in den letzten zwei Jahren 370 MILLIONEN EURO (!!!) Entwicklungshilfe an die TALIBAN (!!!!!!)" sei jedoch eine unwahre (jedenfalls nicht beweisbare) Tatsachenäußerung, weil die Bundesregierung das Geld eben nicht an die Taliban zahlte, sondern an UN-Einrichtungen und NGOs. Der Autor fordert Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) auf, Rechtsmittel einzulegen.
LG Frankfurt/M. zu Till Lindemann/SZ: Die SZ (Lena Kampf) berichtet über ein nun vorliegendes begründetes Urteil des Landgerichts Frankfurt/M. von Anfang September. Das LG hatte in einem Eilverfahren die Berichterstattung der SZ über das Casting-System der Band Rammstein für zulässig erachtet. Zum einem habe es aus Präventionsgründen ein öffentliches Interesse an der Berichterstattung gegeben, selbst wenn es nur zu einvernehmlichem Sex von Bandmitgliedern und weiblichen Fans gekommen sein sollte. Zum anderen habe es in einem geschilderten Fall aber auch Zweifel an der Einwilligungsfähigkeit einer erwähnten jungen Frau gegeben.
LG Potsdam – Lunapharm: Am Landgericht Potsdam hat der Strafprozess gegen die Geschäftsführerin des Pharmagroßhändlers Lunapharm wegen illegalen Handels mit Krebsmedikamenten begonnen. Lunapharm hatte die Medikamente in Griechenland eingekauft und in Deutschland mit neuer Verpackung weiterverkauft. Damit sei über den Vertriebsweg getäuscht worden, was ein Vergehen nach dem Arzneimittelgesetz sei. LTO berichtet.
LG Stuttgart – Michael Ballweg: Das Landgericht Stuttgart hat gegen den Querdenken-Gründer Michael Ballweg nur die Anklage wegen Steuerdelikten, nicht aber wegen Betrug und Geldwäsche zugelassen. Ballweg ist angeklagt, weil er rund 500.000 Euro Zuwendungen in die eigene Tasche gesteckt und die Spender über die Nutzung des Gelds getäuscht habe. Die Staatsanwaltschaft will gegen die teilweise Ablehnung ihrer Anklage Rechtsmittel einlegen. swr.de (Dorina Blau/Christoph Kehlbach) berichtet.
Recht in der Welt
Frankreich – Verfassungsreform: Frankreichs Präsident Emmanuel Macron schlägt vor, die französische Verfassung zu ändern. Volksabstimmungen sollen erleichtert, Korsika soll Autonomie zugestanden und das Recht auf Abtreibung soll garantiert werden. Oliver Meiler (SZ) kritisiert, dass Macron dabei eher zögerlich wirke.
USA - Sammelklage gegen Tesla: Die Anwaltskanzlei Labaton Sucharow hat eine Class-Action gegen den Elektroauto-Hersteller Tesla gestartet. Tesla-Eigentümer Elon Musk habe den Kurs des Unternehmens künstlich aufgebläht, indem er die Fähigkeiten des Tesla-Autopilots falsch darstellte. Tatsächlich sei dieser aber gar nicht zum autonomen Fahren in der Lage und Tesla stehe auch nicht kurz vor dem Durchbruch. Das Hbl (Felix Holtermann/Vinzenz Neumaier) berichtet.
Sonstiges
Hamas-Unterstützung: tagesschau.de (Christoph Kehlbach/Max Bauer) und zdf.de (Jan Henrich) geben einen straf-, versammlungs-, vereins- und aufenthalts-rechtlichen Überblick über die Folgen einer Unterstützung des Hamas-Terrors in Israel.
Rechtsprofessor Clemens Arzt erläutert im Interview mit der Welt (Kristian Frigelj), dass Versammlungen zur Unterstützung radikaler Palästinenser:innen rechtlich möglich sind. Die Staatsräson, dass Deutschland an der Seite Israels stehe, schränke die Versammlungsfreiheit nicht ein. Die Grenze definiere vielmehr das Strafrecht, zum Beispiel mit dem Verbot, Verbrechen zu billigen.
DSA/X: EU-Kommissar Thierry Breton hat Elon Musk, den Eigentümer der Plattform X/Twitter, in einem Brief an seine Pflichten nach dem Digital Services Act der EU erinnert. Da X ein sehr großes Netzwerk ist, müsse er verhindern, dass Fälschunen und Desinformationen über den Hamas-Terror in der EU verbreitet werden. LTO berichtet.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen Internet-Angebot des Mediums.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
LTO/chr
(Hinweis für Journalist:innen)
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Sie können die tägliche LTO-Presseschau im Volltext auch kostenlos als Newsletter abonnieren.
Die juristische Presseschau vom 12. Oktober 2023: . In: Legal Tribune Online, 12.10.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/52898 (abgerufen am: 23.11.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag